Kennen Sie Ann Sophie? Nein? Nicht schlimm! Ganz Europa und Umland anscheinend auch nicht. Denn beim großen Gesangswettbewerb, dem Eurovision Song Contest (ESC) am vergangenen Samstag, ging die deutsche Kandidatin Ann Sophie mit null Punkten komplett leer aus. Der einzige Trost besteht darin, dass selbst das Gastgeberland Österreich ebenfalls keine Punkte bekommen hat. Als Gewinner ging schließlich der Schwede Måns Zelmerlöw mit 365 Punkten nach Hause.
Harter Kampf um die vorderen Plätze
Am Samstagabend versammelten sich Millionen von Zuschauern vor den Fernsehbildschirmen und bildeten sich ihre Meinung über die mal guten, mal weniger guten Gesangsauftritte der Kandidaten. Europäische und angrenzende asiatische Länder hatten ihre besten Sänger und Sängerinnen ins Rennen geschickt, um den Titel „Gewinner des Eurovision Song Contests 2015“ mit in die Heimat zu nehmen und somit im nächsten Jahr den beliebten Gesangswettstreit austragen zu dürfen. Als am Samstag die 26 Kandidaten ihre Lieder vorgetragen hatten, leisteten sich Russland, Italien und Schweden ein heißes Kopf-an-Kopf-Rennen während die Jurymitglieder der teilnehmenden Länder nacheinander ihre Punkte vergaben. Die drei Länder erhielten am Ende am häufigsten acht, zehn oder zwölf Punkte.
In der ersten Hälfte der Jurybewertungen deutete alles darauf hin, dass die schöne Russin Polina Gagarina mit ihrem Song „A Million Voices“ als Siegerin aus dem Wettkampf hervorgeht. Zu Tränen gerührt grüßte sie in einem Interview mit der Vorjahressiegerin und jetzigen Moderatorin Conchita Wurst ihre Mutter, als sei sie schon vom Sieg überzeugt. Nach den letzten Punktevergaben hatte sie jedoch einen anderen Grund zum weinen – die Siegesfahnen, die geschwenkt wurden waren blau-gelb. Schwedens Sieg stand schon fest, noch bevor die letzten vier Länder ihr Urteil verkündeten.
Der Auftritt von Ann Sophie
Und Deutschland? Als Mitbegründer des ESC erhielt die Republik nicht einen einzigen Punkt. Der Auftritt von Ann Sophie war gesanglich nicht schlecht, stand aber von Anfang an unter einem schlechten Stern. Schließlich wurde sie von den Deutschen nicht auserwählt, um nach Wien zu fahren. Eigentlich hätte der „The Voice of Germany“-Gewinner Andreas Kümmert Deutschland repräsentieren sollen. Doch der wollte dann doch nicht. Bleibt die Frage, ob er überhaupt inmitten der breiten Lächeln und tiefen Ausschnitte der Konkurrenz hätte standhalten können? Wahrscheinlich wäre er auf der großen Bühne kläglich verkümmert. Da war Ann Sophies Hinterteil, das sie am Anfang in die Kamera hielt, schon eher konkurrenzfähig. Zugegebenermaßen war der Rest ihres Auftritts aber sehr steif. Da ist sogar die korpulente Bojana Stamenov aus Serbien in ihrem grauen Tüllkleid mehr über die Bühne gewirbelt und hat schließlich auch den zehnten Platz belegen können.
Deutschlands ESC-Geschichte
Eine Nullnummer wie für Ann Sophies „Black Smoke“ gab es für Deutschland vorher nur zweimal: 1964 für Nora Nova mit „Man gewöhnt sich so schnell an das Schöne“ und ein Jahr später für Ulla Wiesner mit „Paradies wo bist Du?“. Doch die Deutschen schnitten schon öfter sehr schlecht ab. So landete Cascada 2013 auch nur auf Platz 21, die No Angels 2008 auf Platz 23, Gracia 2005 auf Platz 24. Auffällig ist, dass Kandidaten, die von Stefan Raab ausgesucht wurden, immer erstaunlich gut abschnitten. Er selbst belegte 2000 mit „Wadde hadde dudde da“ Platz 5, Max Mutzke 2004 Platz 8, Lena Meyer-Landrut gewann 2010 glorreich und Roman Lob zwei Jahre später immerhin noch Platz 8. Sollte der Entertainer also wieder die Auswahl übernehmen?
Brücken bauen?
Wie ein Song und der Auftritt gestaltet werden muss, um zu gewinnen, bleibt ein Rätsel. Die Jury stimmte letztendlich für den netten Schweden von nebenan, der mit Schlabber-T-Shirt und glänzender Lederhosen in einer sehr einstudierten Choreographie mit weißen animierten Strichzeichnungen auf schwarzer Leinwand interagierte und den mehr oder minder gewöhnlichen Song „Heroes“ sang. Selbst Großbritannien und Frankreich erhielten fünf beziehungsweise vier Mitleidspunkte und landeten so auf Platz 24 und 25 vor Deutschland und Österreich. Die langweilige Französin und der unterirdische Auftritt der beiden Briten konnten nun wirklich weniger überzeugen als Ann Sophie. Auch die gehandicapte Polin Monika Kuszynska bekam kaum Punkte, obwohl man hier größere Erfolge wegen Political Correctness hätte erwarten können. Schließlich wird Conchitas Sieg letztes Jahr auch darauf zurückgeführt. Aber anscheinend sind sämtliche Brücken innerhalb Europas trotz des Mottos „Building Bridges“ eingekracht. Stattdessen wurde die vorherige Favoritenrolle wieder einmal bestätigt.
Bildnachweis: Eurovision/EBU, Thomas Hanses
Was mir noch auffällt ist die ätzende Frustriertheit, die sich unsere Journaille (von „stern“ bis „WELT“) beim diesjährigen ESC von der Seele schreibt. An keinem der TOP 3 wird auch nur ein gutes Haar gelassen. Die Anklageliste ist lang, die Rede geht von Homophobie über Putin bis Knödelkitsch und blablafaselsülz. In Wahrheit gibt es an Måns Zelmerlöw, Polina Gagarina und Il Volo nichts auszusetzen; das ist die beste TOP 3 der letzten Jahre überhaupt! Aber gerade ihre Talentiertheit, Professionalität und Wohlgeratenheit ist es, die die Mißratenen in den Redaktionsstuben zur Weißglut treibt. Laßt die Hunde kläffen (und ann-sophisticated Null-Punkte-Wunden lecken), die Karawane zieht weiter! ceterum censeo: Wir haben ein Journalistenproblem!