Franz Walter ist sich im Klaren darüber, wie kritisch die
werten Kollegen seine außeruniversitären Aktivitäten beäugen werden. In einem Artikel für SPIEGEL ONLINE bekennt er sich zu seiner semi-journalistischen
Schreibleidenschaft. Für seine Zunft hat er indes einige Spitzen übrig:
„Medien sind nicht
sehr beliebt unter universitären Soziologen und Politologen. Über nichts kann
ein durchschnittlicher Professor dieser Fachrichtung so formvollendet
indigniert die Nase rümpfen wie eben über die Medien. Nichts fürchtet er,
mindestens im Stillen, mehr als journalistischen Stil und feuilletonistische
Sprache. Denn ihm selbst ist Sprache mehr Qual als Vergnügen.“
Normalerweise halten
sich Professoren doch sehr zurück mit ihren Beiträgen zu den großen öffentlichen
Debatten, an denen sie ganz sicher gewinnbringend teilhaben könnten. Und wohl
auch teilhaben sollten. Denn so mancher Diskurs in den Mainstream-Medien
zeichnet sich nicht gerade dadurch aus, dass er differenziert geführt wird.
Häufig erstickt er am allgemeinen Talkshow-Larifari der Politiker, dem selbst
die informiertesten und theoretisch beschlagensten Journalisten nur wenig
analytische Würze beimengen können.
Gegen die
intellektuelle Verödung muss etwas getan werden, wird sich der streitlustige
Professor gesagt haben. Schluss mit dem Standesdünkel, der wirkungslosen Geistesakrobatik
in hermetischen Diskurswelten, und nichts wie rein ins Vergnügen fachkundiger
Aufklärung fürs interessierte Volk. Feuilletonismusvorwurf hin oder her – mehr
Weltzugewandtheit der Wissenschaft kann nicht verkehrt sein. Die Gesellschaft
lechzt nach produktiv verwertbarem Wissen, das wirklich wegweisend ist und
nicht nur Futter eines sinnentleerten Pragmatismus darstellt, wie ihn die
einstige Schröder-SPD lange Zeit mustergültig vorexerzierte.
So stürzt sich Franz
Walter denn auch thematisch aufs Zentrum der Macht: auf die
Parteienkonstellation(en), die Programmatik der Parteien, die Regierungsarbeit,
das Führungspersonal in den Parteien sowie die Paradoxien der
Mehrebenen-Demokratie. Er sorgt sich um die Gouvernementalität des politischen
Systems insgesamt, das sich im Kleinklein des machtpolitischen Austarierens
mehr und mehr selbst blockiert. So unstrukturiert wie die Politik vonstatten
geht, ist auch die Gesellschaft: planlos, uninspiriert, unmotiviert, auf den
Augenblick fixiert. Von einer klaren Linie keine Spur. Irgendwie wird’s schon
vorangehen. Man mauschelt sich so durch, die harten Konflikte werden unter den
Teppich gekehrt. Das Volk hält still, niemand muckt auf, nicht einmal die
Marginalisierten, die Arbeitslosen, oder die „Kreativen“ und Intellektuellen,
die Jugendlichen, die um ihre Zukunftschancen fürchten müssen. Die Menschen
haben die Politik, die ihnen entspricht.
Deutschland ist
„krank“. Das meint nicht nur der Politologe Franz Walter. Das denken allen
voran die wirtschaftswissenschaftlichen Stichwortgeber unserer Zeit: die
Miegels, Rürups, Sinns, Straubhaars und einige andere, die die „German Disease“
schon vor Jahren diagnostiziert haben. Walter setzt ihren Analysen eine nicht
weniger wichtige sozialwissenschaftliche Ursachenforschung entgegen.
Das Nährbett der
„deutschen Krankheit“, der mentalen Depression, ist die gesellschaftliche
Ziellosigkeit und nicht so sehr die überaus ernste wirtschaftliche
Gesamtsituation. Seiner Meinung nach müssen sinnstiftende Ziele her: „Denn ohne
Ziele fehlt die Richtschur, gleichsam die Grammatik jeglichen Handelns. Ziele
orientieren, sie motivieren, assoziieren Individuen. Sie reduzieren
Komplexität, sie ordnen und hierarchisieren das Tun; sie setzen Prioritäten,
bündeln Energien, entfachen Anstrengungen. Sie geben Horizonte vor, stiften die
regulative Idee, welche überindividuelle Zusammenschlüsse wohl brauchen, um
kraftvoll, sinnträchtig und bewusst zu agieren. Ziellosigkeit dagegen
produziert Leere, Ängstlichkeit, den Extremismus purer Gegenwärtigkeit.
Menschen und Gesellschaften ohne Ziele fehlt es an Schwung, Temperament,
Kühnheit.“
Das hat er schön
gesagt, der Franz Walter. Und er dürfte Recht haben. Seine Artikel aus den
Jahren 2003 bis Anfang 2006, die jetzt für die Buchveröffentlichung kompiliert
worden sind, drehen sich immer wieder um die Frage, wohin dieses Land steuert,
mit den Parteien, die es hat. Mit den Bürgerinnen und Bürgern, die sich
seltsamerweise weitestgehend desinteressiert zeigen. Und in dem
institutionellen Rahmen, der es gestattet, dass die politisch Verantwortlichen
die erkennbaren Konflikte nicht etwa konstruktiv angehen, sondern dazu
angehalten sind, ihre Positionen abzuschwächen und auf Konsenstauglichkeit
hinzubiegen, sprich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, das Mittelmaß.
Einer Republik, der
die Ziele abhanden gekommen sind, fällt es schwer, sich selbst in Bewegung zu
setzen. Die Trippelschritt-Politik der Großen Koalition ist Ausdruck dieser
allseitigen Desorientierung. Bloß nicht zu weit vorwagen, das Volk könnte sich
überfahren fühlen. Die Jahre der Schröder/Fischer-Regentschaft waren turbulent
genug. Jetzt ist wieder Harmonie angesagt. Ein bisschen Kuscheln.
Wahrscheinlich
entspricht die zögerliche und seltsam zurückhaltende Arbeit der Regierung
Merkel nur der allgemeinen Gemütsverfassung in der Bevölkerung. Politik und
Gesellschaft haben tatsächlich zueinander gefunden: in allgemeiner
Ziellosigkeit, im Zaudern, in Ängstlichkeit.
Gut, dass wir mit
Franz Walter einen engagierten Aufklärer auf dem Spielfeld haben. Wir bräuchten
mehr von seiner Sorte. Denn wenn etwas Not tut in diesem, unseren Land, dann
diskursive Ordnung. Fürs erste. Sozusagen als Ausgangspunkt für kraftvolles und
zielbewusstes Policy-Making.
Franz Walter: Die ziellose Republik
Gezeitenwechsel in
Gesellschaft und Politik
Verlag Kiepenheuer
& Witsch
Köln 2006
Herr Walter und „kluge Kommentare“? Mir stockt der Atem. Hier hatte ich mal auseinandergenommen, was dieser gute Mann an unglaublich verschwurbeltem Geschwafel absondert.Und davon ein ganzes Buch? Welch grausige Vorstellung!