Ich als selbsternannter «Schriftgelehrter» sehe hinter solchen Texten immer den kleinen Angeber mit der dicken Rolex klunkern, obwohl die hier natürlich nur aus Worten besteht. Wie er aus jedem »Problem« eine »Problemstellung« macht, aus der »Zeit« zwischen Frühstück und Feierabend einen fast schon philosophischen »Zeitraum«, wie er fordert, dass das »Gesamtinteresse« einer Organisation bei jeder »Einzelentscheidung« am »Endverbraucher« auszurichten sei, statt das Interesse bei jeder Entscheidung auf den Verbraucher zu richten.
Kurzum: Ich weiß, dass dort, wo die Wörter so lang werden, dass sie Perspektive bekommen, regelmäßig ein Männlein als Mann posiert (Frolleins gibt's auch). Ich spieße das seltsame Wesen dann vorsichtig auf und sortiere ihn an passender Stelle in meine Käfersammlung ein.
Generell gilt übrigens das Gesetz der reziproken Wortlänge: Bei diesen voluminösen Big-Mac-Wörtern, die solche Mistkäfer vor sich her zu rollen pflegen, um ihr wahres Wesen zu verbergen, sinkt der Informationsgehalt im selben Ausmaß, wie der Schwulst steigt. Noch schlimmer: Der schlichter gestrickte Leser ist nicht in der Lage, zu sehen, dass sich hinter der »Fortentwicklung« die gute alte »Entwicklung« verbirgt, die er natürlich kennt. Er vermutet, dass er es mit einem neuen, andersartigen, ihm noch unbekannten Sachverhalt zu tun hat und versteht folglich »Bahnhof«. Mit anderen Worten: Je pompöser die Wortwahl, je länger die Wortgirlande, desto weniger erreicht ein Text sein Ziel – das Verstandenwerden.
Hier einige solcher Substantive »mit Perspektive«, die ich ohne große Mühe in ein und demselben Bericht unseres örtlichen Gesundheitsamtes erlegte:
Perspektivwörter
Grundinformationsaufgabe
Salutogenesekonzept
Hilfeempfängergruppen
Hygienehilfsparameter
Informationsmaterialverteilung
Ordnungswidrigkeitsverfahren
Stagnationswasserprobenentnahme
Eine hübsche Sammlung hast du da aufgespiesst. Ob die Salutogenese allenfalls zur Stultogenese befördert werden kann? Oder gar mit mit „Gesundwerden“ zu übersetzen ist?Multimorphogene Fragestellungen, für die ich das notwendige Widmungszeitbudget nicht allokatieren kann. Verschiedene sprechaktuntaugliche Begrifflichkeiten wie die altbewährten Koffeinierungszeitfenster meiner Profession verhindern leider einen retrograd nachhaltigen Auseinandersetzungsprozess mit diesem Themenkomplex.;-)
Willst du mich mit dieser chthonischen Synektik etwa zu deiner koffeinmorphologischen Entelechie bekehren?
Mir wurde vor ein paar Monaten ein „Verwaltungszwangsverfahren“ angedroht. So blödsinnig das unverdauliche Substantiv klingt, ist auch die damit ausgestoßene Drohung, ich würde bei Wasser und Brot in einer Gefängniszelle schmachten müssen, bis ich endlich ein bestimmtes Formular ausfülle.Das Tolle daran ist, daß ich das Formular nur dann auszufüllen hätte, wenn ich etwas bestimmtes darin ankreuzen müßte. So harre ich denn bis heute vergeblich meiner Verhaftung.
In offiziöser Funktion markiert der deutsche Beamte gern auf diese Art den dicken Max, bevor er feierabends dann wieder vor seinem Reihenhäuschen die Gänseblümchen aus dem Zierrasen pflückt.