Hier soll es um Inhalte nicht gehen, obwohl Florian Havemanns Geschichten, zum Beispiel wie der Wolf Biermann dem Ernst Honecker mal Hörner aufgesetzt haben soll, recht lustig sind, dann wieder form- und stillos wie die Inneneinrichtungen der untergegangenen DDR. Auch geht es nicht um die Verbotsgeschichte. Die findet sich hier. Es geht mir um diesen Stil oder ‚Unstil‘, in dem das Buch gehalten ist. Der vielen Kritikern sauer aufstößt. Es geht um einen "sprachlich extrem danebengegangenen Redeschwall", wo der Lektor "bestimmt bezeiten in dieser 1100-Seiten-Suada ertrunken (ist)", um eine "monströs aufgeschwemmte Klatschkolumne". Im Detail ist diese kritische Empörung der Schlipsgeraderücker im deutschen Föjetong beim Perlentaucher nachzulesen.
Mich erinnert an dem Text vieles an die Schreibtechnik im Web 2.0. Es ist – um es auf den Punkt zu bringen – im Grunde ein monströser Blogtext von 1.100 Seiten, der nach dem ‚Prinzip der allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Schreiben‘ vorgeht. Der Schreibprozess selbst meldet sich zum Wort – der Autor schreibt im ‚Flow‘, im Fluss seines Schreiberlebnisses, meditativ, ohne Zwischenstopps, manisch getrieben. Er vergisst dabei Raum und Zeit, und er weigert sich hinterher konsequenterweise, den Text zu kürzen oder zu redigieren. Letztlich stellt er ihn so, wie er ist – nein, nicht ins Netz – sondern dem erstaunten Verlag vor die Tür. Der resultierende wahnwitzige Sound klingt dann so:
"Das kann doch nicht wahr sein. Ich glaub, mich tritt ein Pferd – nein, kein Pferd weit und breit zu sehen, in Berlin doch nicht. Aber mich sticht der Hafer – das schon eher, das sogar ganz erheblich, und weckt mich auf, macht mich wach, reißt mich aus meiner frühmorgendlichen Müdigkeit heraus, ich habe nur drei Stunden Schlaf hinter mir. Doch nun das! So ein Mist! Was für ein Desaster, das wirft mir doch einfach meine ganze, jahre-, jahrzehntelang vertretene Theorie über den Haufen. Ein Kleintransporter schiebt sich ins Bild, ins Blickfeld meiner müde verquollenen Augen, weiße Farbe, weiß lackiert, und hinten, auf dem geschlossenen Teil mit großen blauen Lettern geschrieben, ein Name: HAFERMANN – die Ampel schaltet auf Grün, und schon braust er davon, dieser Kleintransporter, so schnell, daß ich in meinem Schock gar nicht die Zeit habe, nachzuschauen, was denn das nun für eine Firma war, die mit dem Namen HAFERMANN in der Gegend rumfährt".
Die verwendeten Wörter sind eher Artikulationsversuche, Vokabelsplitter, die versuchsweise in die Tastatur flossen, über das zunächst gebrauchte Wort ‚Aufwecken‘ schiebt sich prompt das ‚Wachmachen‘, was wiederum durchs ‚Rausreißen aus der Müdigkeit‘ ersetzt wird, alle drei Versionen bleiben aber nebeneinander bestehen. Keine Zeit, keine Zeit! suggeriert der Text, alles wird atemlos, der Duktus rennt um sein Leben, ‚weiße Farbe‘, nein besser ‚weiß lackiert‘, das Wort ‚Mist‘ ist zu schwach, lieber ‚Desaster‘, mit allen Schlacken und Rückständen bricht sich Havemanns Wortstrom über Geröll und Klippen seinen Weg. Hier redet sich wirklich jemand etwas von der Seele – und er hat weder Lust noch Geduld, sich um Grammatik zu kümmern, um schönen Stil, um Wahrheit gar … eigentlich ganz ähnlich wie manche Blogger.
Als Beispiel einer großen ‚Confessio‘, wo sich ein Mensch etwas vom Herzen redet, finde ich das Buch übrigens gar nicht schlecht. Die Freunde der gepflegten Diktion allerdings, auf deren Schreibtischen nur frisch Geföntes und adrett Gedrechseltes zu landen pflegt, die sind natürlich zu Recht über das literarische Gossenkind empört, das einfach keine Manieren kennt und ihnen vors Tischbein pinkelt. Außerdem müssen sie allesamt mit ihrer lauten Kritik ein wenig ihre nagenden Zweifel übertönen, ob denn die Dissidentenszene wirklich so wenig moralisch integer war, wie der Florian Havemann sie zeichnet. Denn natürlich ist es ein ‚Vatermord‘, den der Sohn hier begeht. Auch das aber ist seit den Zeiten des seligen Expressionismus nichts Neues.
Solche Texte werden übrigens immer spät nachts geschrieben, oft auch ‚unter Einfluss‘. Es ist gewissermaßen Nachtromantik, die bei Genet Anleihen nimmt, die das bürgerliche Heldenleben auch des ‚Dissidenten‘ als Nachtmahr zeichnet, manchmal rührt der Text uns auch wie einst Jean Paul – und er steht immer in maximaler Distanz zur sprachpedantischen Welt eines Goethe, Thomas Mann oder auch Wolf Schneider.
Wenn ihr Zeit und Muße habt’s, versucht’s mal mit dem Flow: Nicht anhalten, immer weiterschreiben, weiterschreiben, weiterschreiben, weiterschreiben, weiter…
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FLORIAN HAVERKAMP ALS VIDEO-LIVE-KUNSTMit seinen Herfindungen und Wildeen (abgeleitet von Ideen) trägt Klausens = Klau|s|ens zu einer Ehrschmutzung der Welt unserer An-Sinne nachhaltig, aber stetig und heftig bei. Dazu müssen wir ihm dankbar sein, weil ohne ihm und an ihn jedwede Verhebung ihres Glückes zu finden verböte, weil er allein die Weilung hervorreibt, wie ein schwindelndes Tier, und da muss die Seinswelt ihrerseits entlöst werden. Klausens schrufte am 16.3.2008 in Königswinter-Oberdollendorf die LIVE-VIDEO-KUNST zu LEIPZIG, vermittels der er das LIVE-Streaming in Leipzig bei der Buchmesse auf dem BLAUEN SOFA zu einem Kunstwerk eigener Warte und Worte verarbeitet, den LIVE-Stream des Internets dazu LIVE nutzend, schafferte er eine neue Vison der Welt als ein Traum-Haus des Wohlvermögens.