Das Phantom des Grand Hotels – Auf „Safari“ im Hotel Atlantic Kempinski Hamburg

Von Carsten Hennig

Es ist aufregend, ein wenig gruselig und ein himmlischer Genuss. Wir sind auf Abwegen – in den geheimsten Ecken und Gängen des Atlantic Hamburg. Das Traditionshotel an Hamburgs Außenalster benötigt zwar an einigen Ecken dringend eine Auffrischung, aber besticht durch seinen unverwechselbaren Charme, der über Jahrzehnte im Auf und Ab der Weltgeschichte gereift ist. Auf einer „Hotelsafari“ dringen wir in Teile des weitläufigen Hotels vor, die vor uns nur wenige betreten haben. Hier könnte sich sogar noch der Direktor verlaufen.

Die weltberühmte Weltkugel dient stets zur Orientierung an der Alster – doch wer durfte schon von der verborgenen Dachterrasse dahinter den Blick über die Hansestadt genießen?

Die berühmte Weltkugel am Giebel dient jedem Hamburger und Besucher der Hansestadt zur Orientierung. Weltweit ist der markante Fassadenschmuck bekannt durch Stuntszenen im James-Bond-Kinostreifen „Die Welt ist nicht genug“. Just hier, wo Bond nur mit einer kühnen Kletterpartie seinen Verfolgern entkommt, stehen wir nun und genießen ein Glas Champagner mit weitem Blick über Alster und die Dächer von Hamburg. Die „Hotelsafari“ nimmt just mit einem Empfang im Dachgeschoss ihren fulminanten Start. Hier lagern alte Möbel, Bilder und Partykulissen – eine Fundgrube für den geschichtsbewussten Direktor Peter Pusnik. Er gesteht, zuweilen hier oben in den reichen Erinnerungen des Grand Hotels zu graben und hat schon erstaunliche Dinge wieder entdeckt, kürzlich ein Foto von Josefine Baker, die sich an die berühmte Weltkugel räkelte.

Die „Hotelsafari“ ist mehr als ein außergewöhnliches Gruppenevent. Es ist mehr als ein wenig Selbstinszenierung. Der Blick hinter die Kulissen und Vorhänge offenbart den anderen Teil der gediegenen Luxushotellerie, gewährt selbstsicher Einblick in Küche und Lager, lässt erstaunen durch neue Blickwinkel über Skyline und in unbekannte Treppenschluchten – und dies genussträchtig bei Menü und besten Weinen. Schade nur, dass der reichhaltige, rund 30.000 Flaschen umfassende Weinkeller kein Ziel der „Safari“ ist. Aber der Garten Eden der guten Tropfen liegt sehr versteckt und ist eben doch ein letztes Geheimnis, das nicht gelüftet werden soll.

Die „Hotelsafari“ wird bereits seit Jahren unternommen – bislang nur auf Anfrage für geschlossene Gruppen und ist nun für jeden beflissenen Hotelliebhaber erschwinglich. Unser Rundgang wird zum Deluxe-Erlebnis unter Begleitung von zwei Direktoren, der Pressechefin und des Küchenchefs. Mehr erfahrene „Askaris“ kann sich ein Expeditionsteilnehmer nicht wünschen.

Unterwegs wird vor fast nichts Halt gemacht. Ein alter Lastenaufzug – rustikal ohne Türen – lässt uns durch die Stockwerke sausen. Alles darf angefasst und begutachtet werden, so auch ein geradezu historisches Modell einer mit spitzen Stacheln ausgestatteten Trommel, mit der einst per Handkurbel Daunen für die Kissen aufbereitet wurden. Zu jeder Tür passt ein Schlüssel – nur eine bleibt uns verschlossen, ins sogenannten Spitzweg-Stübchen. Hier sind die unfertigen Werke und Skizzen von Hotel-Dauergast Udo Lindenberg verborgen. Der Rocker ist Feingeist und künstlerisch durchaus begabt, wie seine zahlreichen Gemälde in den (öffentlichen) Hotelgängen beweisen. Doch sein Atelier, in dem schon Max Liebermann den Pinsel geschwungen haben soll, ist verständlicherweise tabu.

„Hotelsafari“ im Hotel Atlantic Kempinski Hamburg: Ein Champagnerempfang im „Phantomzimmer“ im Dachgeschoss des Grand Hotels stimmt auf die Expedition hinter den Kulissen stilecht ein.

Die Menükreationen des jungen Küchenchefs Oliver Pfahler entschädigen für die entgangene Offenbarung. In der großzügigen Präsidenten-Suite genießen wir bei bestem Ausblick feine Flusskrebse auf gebratenen Melonenscheiben oder erdig-frischen Rindertartar. Dazu wird einer der besten Rieslingsorten ausgeschenkt, der nach Meinung vieler Weinliebhaber in Deutschland zu erstehen ist – der edle Tropfen stammt vom Schwesterhotel Schloss Reinhartshausen im Rheingau. Ein Gurkensüppchen – mit Chuzpe kredenzt im Reagenzglas – nehmen wir in der hauseigenen Wäscherei zu uns, bei gestärkten Hemden und goldenen Manschettenknöpfen mit Atlantic-Prägung, die vielleicht irgendwann einmal im Hotelshop erhältlich sein werden.

Der kulinarische Höhepunkt findet im Bankett-Anrichtebereich statt – eine hallenähnliche Küche, die just hinter dem berühmten Ballsaal liegt. Bei einer Großveranstaltung herrscht hier dichtes Gedränge von erhitzten Köchen und beflissenen Servicegeistern. Zwischen Eismaschine und computergesteuerten Heißlufterhitzer richtet „Chef“ Oliver Pfahler den Hauptgang an: Sauté vom Loup de Mer auf Minestrone. Die Kreation der neuen deutschen Küche gelingt perfekt durch eine geeiste Tomatenessenz, die unter dem auf den Punkt gedünsteten Meerestier das noch bissfeste Gemüse zur saftigen Unterlage fusioniert. Bravo!

Und immer wieder geht es im ordentlichen Tempo weiter – die Wege hinter den Kulissen sind lang. Ein Blick in die heiligen Hallen der Küche wird ohne Umschweife genehmigt. Selbst alle internen Unterlagen, wie eine selbst für erfahrene Hotelgäste erhellende Anweisung im Umgang mit den Kunden, dürfen ausführlich begutachtet werden.

Die Rückkehr ins Gourmetrestaurant – hier regiert wieder die Eleganz des Restaurantchefs und seiner überaus zuvorkommenden Servicebrigade – wird durch Dessert und feinem Geist versüßt. Der weiche Polstersessel, die gedämpften Gespräche, der fein gedeckte Tisch – wir sind wieder zurück in der wundersamen Welt des Grand Hotels. Doch auf allen wackeligen Bohlen, steilen Treppen, engen Kellergängen haben wir uns stets als Könige gefühlt. Auch das kann Hotellerie sein – herrlich erfrischend und ein kleines Abenteuer!

„Hotelsafari“ im Atlantic Hotel Kempinski Hamburg
Eine kulinarische Hausführung hinter den Kulissen des Grand Hotels. Offene Gruppen mit max. 20 Teilnehmern.
Nächste Termine: 18. September, 2. Oktober, 6. November, 4. Dezember, 15. Januar 2010
Preis: 159 Euro inkl. Fünf-Gänge-Menü und Getränkeauswahl
Information: Veranstaltungsbüro, Tel. +49 (0)40 2888-811, www.kempinski.atlantic.de

Carsten Hennig (Jahrgang 1970) ist Hoteljournalist und berichtet kritisch-wohlwollend über die Tophotellerie bevorzugt in seinen Onlinepublikationen hotelier.com und im Hotelblog. Seine Hintergrundberichte werden im Hotelmanagement (und nicht nur dort!) weithin beachtet.

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