CINDY AUS MARZAHN – ein Talent droht zu verglühen

Berliner Originale finden sich leider nur noch als verkleidete Leierkastenmänner im Touristentrubel am Pariser Platz (für Nichteinwohner: vor dem Brandenburger Tor) oder als Toilettenfrau mit durchschlagender Stimmgewalt in allen Karstadt-Warenhäusern, besonders laut in Neukölln. Selbst bei den im Allgemeinen äußerst weltgewandten Taxifahrern der Hauptstadt ist die Spezies des Original-Schandmaul-Berliners bedroht, wenn nicht auf endgültigem Rückzug. Rettung schien zu nahen, als vor 2 Jahren eine junge, gut gewachsene Dame auf die Comedy-Bühne des Quatsch-Clubs in der Friedrichstrasse trat, die rosa Leggins hochzog, das ebenfalls quietschend pink-farbene Tshirt leicht über den festen Bauch schob und ein abgeklärtes, vollkommen überschminktes Gesicht ins Rampenlicht hielt. Ilka Bessin (35) hatte ihre Kunstfigur in einem Talentwettbewerb des Clubs zum Sieg geführt: Cindy aus Marzahn. Komik mit Herz trotz Hartz und Sprüche, deren Ursprung die Strasse, deren Ziel aber immer die Lachmuskeln ihres Publikums waren. In Zeiten schwindender Berlin-Originalität, zumal derer aus dem Ostteil der Stadt, war und ist Cindy ein Lichtblick. Ilka Bessin wurde nicht nur der Star der Kleinkunst-Liebhaber, sondern auch Moderatorin der "Talentschmiede" im QCC. Und das wird nun zum Problem. Cindy aus Marzahn ist nämlich so heftig eingeschlagen, dass keine noch so dumme Comedyshow im deutschen Fernsehen mehr ohne die rosarote Versuchung auskommen mag. Ab 16. April gibt es ein erstes Soloprogramm und sicher auch bald eine Cindy-Tournee. Cindy verkauft im Internet T-Shirts. Cindy schmollt von Titelblättern und Plakaten. Die Idee der "Talentschmiede", mehr oder weniger bühnen-geeignete Quasselstrippen einem wertenden Publikum vorzuführen, droht aber unterzugehen, wenn im zumeist Marzahn-affinen Publikum Leute sitzen, die keine der gebotenen Leistungen annehmen, sondern nur Cindys Sprüche hören wollen. Als Moderatorin zeigte Cindy bei ihrer letzten "Talentschmiede" (6.4.07) denn auch eindeutig Nerven und – fehlende Erfahrung. Ilka Bessin ist sehr zu wünschen, dass sie die Zeit hat, alles zu lernen, was es braucht, um auf der Bühne und im Fernsehen als Künstlerin mit Spaß und Anspruch wahrgenommen zu werden. Dazu gehört womöglich auch, Cindy aus Marzahn irgendwann zurück zu schicken – in die Hartz IV-Ursprünge, aus denen die Figur kommt. Denn Ilka Bessin hat mehr drauf, als die große Ost-Berliner Klappe – man muss sie nur lassen.  

Eine Meinung

  1. Aufruf zur großen Berlin-Umfrage: Was würdet Ihr einem Ami über Berlin erzählen? Liebe Berlin-Blog-Leser: Ende des Monats fahre ich (www.ethansen.de) nach Amerika und nehme dort an einer Podiumsdiskussion über „das neue Berlin“ teil. Kein Problem: Ich wohne seit zehn Jahren im immer neuen, immer alten Berlin. Doch da fiel mir auf: Hoppla, es gibt viele Berlins und ich kenn nur eine. Einerseits würden die Amerikaner das gar nicht merken, andererseits frage ich mich, ob es Aspekte vom „neuen, jungen“ Berlin gibt, die man doch erwähnen sollte, die ich gar nicht kenne. Meine Frage an Euch, falls Ihr ein paar Minuten Zeit habt, darüber nachzudenken: Was würdet Ihr einem jungen amerikanischen Publikum über Berlin heute erzählen wollen? Nix historisches, nix mit Checkpoint Charlie und Reichstag… ich suche Geheimtipps, persönliche Anekdoten, Do’s und Don’ts, Go’s und No-Go’s. Ich freue mich auf jede Antwort. (Meine E-Mail: eric(at)ethansen.de). Ich poste sie auch im Blog und berichte auch später über die Reise und über die Reaktion in Amerika auf Eure Antworten. Euer, ETH

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