Berlin Festival 2011: FREITAG
Mit James Blake ging es los, während ich noch in der Journalisten Lounge saß und mit Bandmitgliedern von Clap Your Hands Say Yeah und der Frontfrau von Yelle schwatzte, dröhnten die Pophymnen im Electrogewand bereits quer durch den Hangar, subtile Sounds würden beim Berlin Festival eher nicht zu finden sein, denn auch wenn die offenen Bühnen besser als die klaustrophobischen Hallen von 2010 waren, taten sie dem Sound keinen Gefallen, der immer wieder mehr dröhnend als tönend daher kam.
Gereicht hat es dennoch, selbst wenn die danach aufspielenden Waters ein wenig im Klangbrei untergingen, emotional war es dennoch und ein wenig Witz ließ sich zwischen den aggressiven Performances auch noch finden, als Frontmann Van sich bei James Blake für seinen guten Job als Vorband bedankte. Gute Laune bei den Bands und beim Publikum, der Zeitplan war ausgeklügelt, so überschnitten sich die Bands der Hauptbühne mit den Nebenbühnen derartig, dass man notfalls beide Acts sehen konnte. Nur mit Hangar 4 und 5 musste man Münzen werfen, da dort regelmäßig zur gleichen Zeit gespielt wurde, weshalb der mit Sicherheit charmante Auftritt des neuen Popsternchens Alex Winston zugunsten des Waters Auftritts verpasst werden musste. Dafür kommt die Dame jedoch im Winter wieder, denn das Debütalbum steht schon in den Startlöchern.
Weiter ging es mit den Hipster Mädchen von Austra, Katie Stelmanies überraschte nicht nur mit experimenteller Gaderobe, sondern auch mit einer glasklaren Stimme, die die beiden hübsch tanzenden Backgroundsängerinnen zu keiner Zeit gebraucht hätte. Während sich die Securities unbeeindruckt abwanden, wurde die neue Trendband aus Kanada von den Fans frenetisch gefeiert. Aber Zeit zum Schwärmen blieb nicht, denn schon warteten Dry the River auf, die Londoner boten sehr hörfreundlichen alternative Pop mit Violinenbegleitung und nostalgischen Harmonien, man stelle sich eine Mischung aus den Fleet Foxes und Broken Records vor. Ein Highlight klingt anders, dafür konnte man so von späteren Acts auf der gleichen Bühne umso mehr umgehauen werden.
Neue Alben wurden dieses Jahr überall gefeiert, so auch das neuste Werk von The Rapture, die zwar klanggewaltig, aber ein wenig gelangweilt auf der Bühne standen, lediglich Gabriel Andruzzi (im Denim-Look) gab alles am Saxophon und gab das wieder, was vor der Bühne geschah: Ein Tanzmarathon am Nachmittag. Viel Konkurrenz hatten The Rapture auf den Nebenbühnen auch nicht zu verzeichnen, im Hangar 5 versammelten sich zwar viele Fans von Oh Land, aber ihr Indiepop zeigte sich ob nicht allzu starker, stimmlicher Qualitäten etwas kurzatmig und daher nicht so mitreissend, wie eben noch Katie Stelmanies Arienkünste. Und auch Hangar 4 zeigte mit Rainbow Arabia die Sorte Musik, die auf dem Papier besser klingt, als auf der Bühne. Das Ehepaar schockierte mit erstaunlich wenig Rhythmusgefühl, eine Schande, da der extra mitgebrachte Drummer erste Sahne war, sich aber nicht gegen die dissonanten Ausbrüche der eigentlichen „Künstler“ durchsetzen konnte. Avantgarde Dance Pop? Das geht aber besser.
Viel Pop, wenig Avantgarde zeigten daraufhin die Beach Boys des New Wave, The Drums spielten routiniert aus ihrer ebenfalls brandneuen Scheibe „Portamento“ (den Namen bitte auf der Zunge zergehen lassen), während Sänger Jonathan Pierce einem arroganten, gleichwohl einnehmenden jungen Morrissey glich und dramatisch über die Bühne glitt. Bis zum Ende konnte ich die Show jedoch nicht sehen, da ich unbedingt zum Auftritt von HEALTH springen musste, die einzige Band, die mir empfohlen wurde und die mir noch aus 2010 und ihrem damals erschienenen Album „Get Color“ als angenehmer Electroact im Hinterkopf schwirrte.
Ach, wie irrte ich, gesundheitlich gefährlich zwischen zwei Boxen platziert, würden mir die nächsten 60 Minuten bombastische Electro-Noise Monster entgegenrollen, was Energie, Intensität und atmosphärische Stimmung angeht, sollten HEALTH der beste Auftritt des gesamten Festivals werden. Die Band aus LA schraubt die Dezibel gerne etwas höher, während gigantische Drumparts quer durch den Raum prasseln, fallen Effekte und eingängige Melodien über einen her, der einzige versöhnliche Aspekt sind die fließenden Vocals von Sänger Jake Duzsik. Gigantisch.
Ein wenig benommen verharrte ich danach vor derselben Bühne, da man zugunsten des Primal Scream Auftritts die famosen Clap Your Hands Say Yeah auf den Hangar 4 verstoßen hatte, der mittlerweile zu meiner zweiten Heimat geworden war. Fünf Jahre mussten Fans der sonnigen Indiegruppe warten, bis neues Material das Licht der Welt erblickte, diverse andere Projekte der Bandmitglieder waren vorerst wichtiger. Und so probierte sich Sänger Alan an Flashy Python aus, schraubte Lee an Soundtracks herum und produzierte Schlagzeuger Sean diverse befreundete Bands. Doch alte Liebe rostet nicht und so fand sich zusammen, was zusammen gehörte, die Kindheitsfreunde gesellten sich wieder zueinander und kreierten mit „Hysterical“ ein Album, das laut Alec von all den kleinen Dingen handelt, die einen nicht aufregen sollten, es aber dennoch tun. Wie Lee und Sean im Interview gestanden, versuchte die Band außerdem, die leicht diffuse Herangehensweise des vorigen Albums „Some Loud Thunder“ zu bündeln. Neue Songs wie „Same Mistakes“ oder „Maniac“ bewiesen eindeutig, dass das nicht zum Nachteil geschah, eines der definitiven Highlights des Berlin Festival 2011 senkte sich glücklich, strahlend auf uns herab.
Berlin Festival 2011: SAMSTAG
Austra durften Samstag noch einmal auf die Bühne, das regelmäßige Highlight für Tanzwütige sollte aber an diesem Tag der Auftritt der Wahlberliner Retro Stefson sein, die finnische Gruppe aus Schulfreunden gibt nämlich mit Weltmusik-orientierten Dancesongs alles, was sie aus ihren Leibern schütteln können. Sowieso war der Samstag zu großen Teilen Hip Hop und Electro geprägt, den Anfang durfte Aloe Blacc auf der Hauptbühne machen, im Anschluß gaben The Naked and the Famous ihren stark 80er orientierten Electropop an die Menschen weiter, Feelgood für den John Hughes Fan.
So spärlich er dieses Jahr gesät war, ein wenig Rock gab es dann wieder im Hangar 4, dieses Mal 70er inspiriert mit den psychedelic Rockern The Black Angels, die sich im Folkrock gut machen, aber besonders mit ihren bedrohlichen Rocksongs, etwa „Young Men Dead“ dank der The Doors Anleihen begeisterten.
Danach war ein Stimmungswechsel angebracht, von apokalyptischen Endzeithymnen zu versöhnlichen Indiesongs, Beirut stieg auf die große Bühne und verzauberte mit Chanson-artigen Liebesliedern und einer gut aufgelegten Bläsertruppe. Die seufzenden Mädchen in der ersten bis zur letzten Reihe werden noch Monate von Zach Condon und seinen perfekten Locken schwärmen.
Danach wurde es etwas schwer für den Fan der Gitarren, denn bis auf Altrocker und Indielegenden dEUS, die ihr kommendes Album mit jedem Auftritt Stück für Stück komplettieren, würden nur noch DJs und Hip Hopper die Bühnen bevölkern.
Ein kleiner nicht mehr ganz so geheimer Geheimtipp darunter dürften die Jungs und vor allem die Dame von Buraka Som Siesta sein, die nicht nur dutzende, tanzwilliger Mädels auf die Bühne holten, sondern auch mit Wasserpistole für eine Abkühlung sorgten. Zum Glück war Alice Schwarzer nicht da, denn der wäre das gewagte Outfit der heißen MC-Biene wohl übel hochgekommen. Nun, wenn man in Portugal so auf die Bühne geht, dann ist das eben so, denn mit derartig dicken Beats können die Herrschaften den amerikanischen Acts mehr als Konkurrenz machen.
Während Boys Noize auf der großen Bühne spielten, dEUS im Hangar 4 rockten und Casper im Hangar 5 smarte Raps mit großem Ego vortrug, nutzte ich die Gelegenheit und wanderte ein wenig durch die Kunstlandschaft, die extra für das Festival entstanden war. Dabei kreierten Künstler ihre Werke während der zwei Tage, wer also immer mal wieder an den Leinwänden vorbei spazierte, konnte die Entwicklung live mit erleben.
Mehr interessant, als einnehmend war dann auch noch die Hipster-Disco, eine Art Käfig, in dem man Kopfhörer ausgehändigt bekam, um an einer für Zuschauer stummen Trashparty beizuwohnen. Neid für Außenstehende entstand nicht wirklich, wenn dutzende Stimmen „Everybody, yeah yeah“ sangen und sich gegenseitig mit ihren iPhones fotografierten.
Und dann war es soweit, während Mogwai auf der Rockstage schrammelten und die Bloody Beetroots im Electro Hangar explodierten, stiegen die Beginner nach jahrelanger Abstinenz auf die Bühne und boten einige ihrer größten Hits, leider nichts aus ihrer Prä-Bambule Phase, aber man nimmt, was man kriegen kann. DJ Mad war legendär wie eh und je und auch Denyo und Eißfeldt konnte man keine Ermüdungserscheinungen ansehen. Der eine große, gigantische Wehrmutstropfen für Hardcorefans: Die Gerüchte, dass auch Martin (der „Absolute“ unter den Beginnern) wieder dabei sein sollte, bewahrheiteten sich nicht fürs Erste, stattdessen wurde zum Ende hin One-Hit-Wonder D-Flame auf die Bühne gezerrt, um einen Song über Nike mitzurappen (anscheinend schon vorher von Jan Delay im Netz publik gemacht). So euphorisch mein Kopf die Songs davor genickt hatte, melancholisch an den deutschen Hip Hop der 90er erinnernd, so schnell verwandelte sich meine Euhporie in Verwirrung und Enttäuschung, denn wenn das neue Material der einstigen Überflieger noch mehr Huldigung von Markenklamotten beinhaltet, wäre es wohl doch besser, sie würden bei den Klassikern bleiben. Ein großes Festival mit bitterem Nachgeschmack verlassen? Nein, so nicht!
Als ich – durch die Eingangshalle des Flughafens im Strom der Menschen mitgerissen – über diese wunderbare Noise-Entdeckung namens HEALTH nachdachte, hellte sich meine Stimmung wieder auf, das muss Liebe sein. Ein neues Festival, eine neue Lieblingsband. Wir sehen uns im nächsten Jahr.
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