Berlin. Einfach.

Ich komme aus Karlsruhe, der selbst ernannten „Fächerstadt“. Der Stadt, die außer mit ihrem Grundriss mit ihrem „Parkleitsystem“ wirbt. An ihren Eingängen hat sie für die Autofahrer große Schilder aufgestellt. „Parkleitsystem Karlsruhe“ ist darauf zu lesen. In den Grundfarben blau, gelb und rot wird das System systematisch mit Rechtecken, Linien und Kreisen erklärt. Was man bei all der pädagogischen Zuwendung vergessen hat: Der gemeine Karlsruhe-Reisende findet das Parkleitsystem nicht annähernd so spannend wie die Entscheider und Entscheiderinnen, die irgendwann entschieden haben, die von anderen Entscheidern entschiedene Anordnung der Parkplätze marketingmäßig zu verwursten. Als ob Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof nicht schon genug Imagearbeit leisten würden!

Ganz anders Berlin: kein Fächergrundriss, kein Parkleitsystem, dafür ein dicht gesponnenes Netz aus Linien in Blau, Grün, Orange, Lila… Sogar drei verschiedene Brauntöne gibt es! Wieso eine rot-rote Regierung braun-braun-braune Bahnlinien toleriert, noch dazu, wenn es sich um die Ringbahnen handelt, um Linien also, die die ganze Stadt umschließen, sollte im aktuellen Wahlkampf unbedingt thematisiert werden. Am besten mit Demo und Gegendemo und so. Mein Tipp an die PR-Strategen: Die Nazis freuen sich sicher über ein kleines Zubrot, und die Gegen-Nazis sowieso. Und Radio „Motor FM“ hätte für den Tag zwei weitere Veranstaltungshinweise.

Die Demo-Tipps von „Motor FM“ werde ich in Karlsruhe vermissen. Ich werde versuchen, den dortigen „Querfunk“ zur Nachahmung zu animieren. Wird allerdings schwierig, bei im Schnitt 0,7 Demonstrationen pro Monat. Diese Zahl ist natürlich frei erfunden, trifft aber ungefähr den Kern. Wogegen soll man demonstrieren, wenn es einem gut geht? Wenn man alles kann außer Hochdeutsch und alles hat außer Sorgen? Das stimmt natürlich so auch nicht, aber der Mut zum Klischee ist eine Tugend, die der Markt gebietet. Wer was werden will, wer Glück, Glanz und Ruhm – mit anderen Worten: Geld – verdienen will, muss sich einen gewissen Mut zur Platitüde bewahren. Anderenfalls landet er in Berlin.

Und dann?

Dann sucht er sich ein Projekt. Und wenn das mit dem Projekt nicht gleich klappt, entwirft er erstmal ein Konzept. Oder besser: eine Konzeption. (Merke: Willst du ernst genommen werden, benutze keine zu kurzen Wörter, am besten auch keine deutschen. Ersetze jedes deutsche Wort in der Beschreibung deines Projekts mit einem englischen oder einem Fremdwort. Das wertet das Image auf, und weil die Sache meist aus nichts anderem besteht als aus dem Image, das sie transportieren soll, kannst du dabei nur gewinnen, und der Glanz deines aufpolierten Image-Projekts bzw. Projekt-Images fällt auf dich zurück.)

Aber wenn alles nichts hilft, kein Konzept und keine Konzeption, kein Projekt und keine Projektion? Was dann?

Dann macht man eben „was mit Kunst“. Kunst geht immer. Denn Kunst ist eine Frage des Rahmens, und bei den unzähligen Galerien mit den noch unzähligeren Verni-, Fini- und sonstigen –ssagen, die das Mittepublikum in Proseccoatem halten, muss man sich schon sehr blöd anstellen, wenn man es nicht schafft, irgend etwas Zerbeultes aus der Tonne zu fischen, als objet trouvé verglasen zu lassen und aus den papiernen Lobeshymnen der Kunstkritiker eine Horde niedlicher Schäfchen aus Pappmaché zu formen, die bei der nächsten Dokumenta zum Saisonskandal werden, weil herauskommt, dass der Gründer der Firma, die den Tapetenkleister herstellt, der das Kunstwerk zusammenhält, ein Duzfreund von Göbbels war.

Oder etwa nicht?

Oder ist alles doch nicht so einfach, wie man es sich vorstellt, wenn man aus dem „Ländle“ kommt und knapp vier Wochen in der Hauptstadt war?

„Ich pass partout in keinen Rahmen“. Der Spruch ist von Susanne. Susanne hat gerade 20 Stunden Interviewmaterial vom Berliner Theatertreffen abgetippt. Geld bekommt sie dafür nicht. Ist ja schließlich „für die Kunst“. Das gute Gefühl, für die richtige Sache zu kämpfen, tröstet über die kommenden Stunden Entwürdigung im Callcenter hinweg. Es ist wie bei den meisten Freunden und Freundesfreunden, die irgendwann in Berlin gelandet sind: Sie alle haben dem keimtötenden Mut zum Klischee den Kampf angesagt. Sie alle waren die Leitsysteme mit den geraden Linien satt, manche früher, andere später.

Und ich?

Ich habe den 18:30-Zug genommen, bin in Karlsruhe ausgestiegen und mit der Straßenbahn am Zoo vorbeigefahren. „Karlsruher Zoo – die wilde Seite der Stadt“ habe ich auf dem Schild am Außenzaun gelesen. Dann habe ich die Augen zu gemacht und mir vorgestellt, wie ich meine Sachen in Kisten verpacke, einen Nachmieter suche und wieder zum Bahnhof fahre. „Berlin Hauptbahnhof“, sage ich am Schalter. „Einfache Fahrt.“

 

Eine Meinung

  1. Liebe Ariane, liebe Berlin-Blog-Leser,Ende des Monats fahre ich (www.ethansen.de) nach Amerika und nehme dort an einer Podiumsdiskussion über „das neue Berlin“ teil. Kein Problem: Ich wohne seit zehn Jahren im immer neuen, immer alten Berlin. Doch da fiel mir auf: Hoppla, es gibt viele Berlins und ich kenn nur eine. Einerseits würden die Amerikaner das gar nicht merken, andererseits frage ich mich, ob es Aspekte vom „neuen, jungen“ Berlin gibt, die man doch erwähnen sollte, die ich gar nicht kenne. Meine Frage an Sie, falls Sie ein paar Minuten Zeit haben, darüber nachzudenken: Was würden Sie einem jungen amerikanischen Publikum über Berlin heute erzählen? Nix historisches, nix mit Checkpoint Charlie und Reichstag… ich suche Geheimtipps, persönliche Anekdoten, Do’s und Don’ts, Go’s und No-Go’s. Ich freue mich auf jede Antwort. (Meine E-Mail: eric(at)ethansen.de). Ich poste sie auch im Blog und berichte auch später über die Reise und über die Reaktion in Amerika auf Ihre Antworten. Lust drauf? Ihr ergebener Mit-Blogger, ETH

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