Der Doppelagent

In den achtziger Jahren stellte man an der  Universität Kiel mehr oder weniger durch Zufall fest, dass es in bestimmten Studienfächern eine gehäufte Anmeldung der Studenten bei der Beratungsstelle gab und damit verbunden eine häufigere Abmeldung von der jeweils bevorstehenden Prüfung wegen "Prüfungsangst". Die eindeutigen Spitzenreiter waren die Studienfächer Medizin und Jura.

Einige Überlegungen zu einer treffenden Differenzierung des Phänomens "Prüfungsangst"  führten vereinfacht gesagt zur Feststellung eines generellen Stress-Syndroms, bei dem die Konzentrations- und Gedächtnisleistungen rapide sinken auf der einen Seite. Diesen Menschen kann mit Entspanungstechniken o.ä. durchaus zuverlässig geholfen werden. Auf der anderen Seite aber zur Entdeckung  einer Art Panik, die eher durch eine innere Verweigerungshaltung geprägt schien und bereits das Lernen extrem schwer machte oder sogar unmöglich. So dass man eigentlich nicht von der immer wieder diagnostizierten "Prüfungsangst" sprechen konnte. Aber wovon dann?

Zum meiner Studienzeit hatte sich dafür bereits der Ausdruck "Doppelagent" durchgesetzt (siehe dazu meinen letzten Beitrag "Führungskraft oder Experte?"). Ein passender Ausdruck, wie ich am Beispiel eines Jurastudenten, der einmal mein Kunde war, selbst erlebt habe.

Er hatte sich in den Kopf gesetzt Richter sein zu wollen. Er hatte einen ausgesprochenen Sinn für Gerechtigkeit und er wollte werden wie ein Onkel von ihm: Erfolgreich, gerecht, bekannt. Natürlich hatte er auch das Einkommen eines Richters dabei im Auge. Sein Jurastudium, das ihm nur mit exzellenten Zensuren und Abschlüssen zu einer Karriere als Richter verholfen hätte, scheiterte daran, dass er keinerlei Interesse an der Beschäftigung mit juristischem "Kleinkram", wie er das selber nannte, hatte. Die ungeheuren Gedächtnisleistungen, die einem "paukenden" Jurastudenten aber abverlangt werden, kann man ohne Leidenschaft, ohne Lust am Detail, ohne extrem hohe Motivation zum "Büffeln" aber nicht erbringen. Und damit verhielt es sich damals bei den Medizinern ganz ähnlich: Ein erfolgreicher Arzt ist wohl auch ein Menschenfreund, was das Studium aber angeht, ist er vor allem eins: Ein wandelndes Lexikon und ein exzellenter Handwerker und Techniker. Und er hat im Studium mehr mit Leichen und monotonen Trainingseinheiten als mit strahlenden Patienten zu tun.

Auch mein Kunde, der Jurist, war also, das wurde ihm im Laufe des Coachings klar, einem "Phantom" hinterher gejagt: Dem Bild eines erfolgreichen angesehenen Richters. Er verfolgte als "Doppelagent" einerseits das Ziel Richter sein zu wollen, aber unbewusst hate er ganz andere Ziele, die ihm den Weg versperrten. Der Weg zum Richteramt interessierte ihn so wenig, dass er das Ziel verfehlen musste.

Gott sei Dank konnte er sein Studium noch rechtzeitig abbrechen, um umzusatteln auf etwas, was ihn wesentlich mehr interessierte: Meeresbiologie. Relativ schwierig war es, der Familie diesen Sinneswandel beizubringen. Denn die meisten Mitglieder hatten sich bereits darauf eingestellt, dass ihre unausgesprochene "Forderung", dass auch dieser Spross im Sinne der Familientradition – wie fast alle anderen – Jurist werden würde, erfüllt würde. Und Sie hatten bereits Druck ausgeübt.

Übrigens: Die Souveränität und Selbstsicherheit, an der es ihm sehr stark mangelte, die er sich im Laufe dieser Monate aber erarbeitet hatte, um sich seiner Familie gegenüber durchsetzen zu können, konnte mein Klient genauso gut als zukünftiger Meeresbiologe einsetzen!

Ihr

Detlef Scheer

9 Meinungen

  1. Interessante Aspekte. Danke fuer diesen Hinweis. Stehe mit meinen Toechtern vor aehnlichen Problemen.-m*sh-

  2. Heinz-Detlef Scheer

    Danke! Gern geschehen!obwohl ich natürlich weder Sie noch ihre Töchter kenne, möchte ich Ihnen raten, genau darüber ein klärendes Gespräch zu führen. Ganz offen. Vielleicht ergibt sich die Möglichkeit, ein Praktikum so zu gestalten, dass durch die praktische Beschäftigung mit dem Thema die spätere Tätigkeit selbst und die momentane Motivationslage individuell klarer und damit tragender wird?Viel Glück und gute väterliche oder mütterliche Coachinggespräche!Ihr Detlef Scheer

  3. [Persoenliche Meinung]Das ist IMHO eine nicht wuenschenswerte Entwicklung.Der Verbindungsaufbau kostet Geld, das Haendy sowieso und aus Datenschutzgruenden lehne ich Produkte mit RFID-chip grundsaetzlich ab.Wieso wird der Verbraucher nicht einfach durch eine Produktbeschreibung informiert. Ueberall stehen riesige Displays, die die Produkte bewerben. Da werden Millionen zum Fenster rausgeschmissen fuer bunte Etiketten und Trallalla. Und nun sollen technische Errungenschaften, die niemand wirklich braucht einer reichen Oberschicht Unterscheidungsmerkmale zugaenglich machen?Sehr fragwuerdig das Ganze.[Off]-m*sh-

  4. @m*shSo kann man die Sache natürlich auch deuten. Ich erwarte das die Funketiketten usw. sich nicht aufhalten lassen. Zu groß sind die logistischen Vorteile. Übrigens handelt es sich bei der Schweizer Technik noch um eine Methode, um die Waren an den EAN-Codes zu bestimmen. Da der „Gläserne Kunde“ unvermeidbar scheint, sollte zumindest auch das „Gläserne Angebot“ realisiert werden. Dann piept das Handy auch, wenn das Produkt in Kinderarbeit oder ohne soziale Mindeststandards erzeugt wurde. Solche Angaben werden sich wohl niemals auf den Hersteller-Etiketten finden…

  5. Die Frage ist, wer stellt dann welche Informationen ueber die Produkte zusammen?Wem vertraue ich?Warum ist das glaeserne Angebot nur fuer bestimmte Menschen verfuegbar.Statt also die Logistik technisch aufzuruesten (oder zig Millionen fuer Sicherheitswahn und sog. Terrorbekaempfung auszugeben), muesste das Verbraucherschutzministerium schlicht dafuer sorgen, dass der Verbraucher die relevanten Informationen erhaelt.Immerhin bezahlen wir mit unseren Steuern auch das Verbraucherschutzminsterium-m*sh-

  6. <>Wir stellen die zusammen. Die wirklich interessanten Infos werden nie auf den Produkten direkt gespeichert sein, aber durch die eindeutige Identifizierung des Produktes lassen sich sofort Infos zuordnen. Da wird es reichlich Initiativen geben, die Listen nach den unterschiedlichsten Kriterien zusammenstellen…Diese Vision kommt ganz ohne Staat aus, der Kunde bekommt einfach bessere Möglichkeiten bei der Kaufentscheidung.

  7. Das ist mir schon klar, sowohl dass die wirklichinteressanten Infos nicht auf den Produkten gespeihert sein werden, aber der Kunde muss dafuer extra bezahlen. Und das obwohl ihm diese Informationen eigentlich zur Verfuegung gestellt werden muessten.———Jetzt habe ich mal einen Schritt weiter gedacht. Das was Du geschildert hast ist EINE Moeglichkeit.Wenn die Daten aber zu den Produkten verfuegbar sind, kann man sich die Informationen hierzu evtl. aus dem Internet ziehen.Dann ist es dem Verbraucher ueberlassen, ob er sich selbst organisiert und seine Einkaeufe gruendlich(er) plant.Nur wie gesagt, denke ich, dass das Verbraucherschutzministerium hier die Instanz ist, die wir bezahlen und die schon vorhanden ist und die dafuer sorgen muesste, dass die Informationen den Buergern zugaenglich gemacht werden.-m*sh-

  8. Da sind typisch zwei Jungs am Werk: Gleich wieder die Welt verändern. ;o) Dabei wäre die neue Anwendungsmöglichkeit einfach nur praktisch. Wer auf kleinen Produkten versucht hat, die Inhaltsstoffe zu entziffern, wird froh um eine grössere Auflösung und klare Angabe auf einem Handydisplay sein. Vor allem, da in der Schweiz mit ihrer Viersprachigkeit alles mindestens dreisprachig angeschrieben sein muss. Da fallen die Texte derart winzig aus, dass nur mit Lupe lesbar.Allergiker sind auf dem Vormarsch, Diabetiker auch. Für diese Gruppe Konsumenten wäre diese Software auch in erster Linie gedacht. Sie piepst sofort, wenn ein Allergen in den (deklarierten) Inhaltsstoffen enthalten ist. Also nichts mit Oberschicht (ein hässliches Wort notabene). Als das Handy auf den Markt kam, war es zuerst auch eine teure Spielerei für Besserbetuchte, heute hat jedes Kind eines (ob das gut oder weniger gut ist, sei dahin gestellt). Dass das Handy immer mehr (wichtige!) Zusatzfunktionen übernehmen wird, liegt in der Natur der technischen Weiterentwicklung. Wäre ich Allergiker, würde ich drauf pfeifen, ob ich über mein Handy den GZSZ angucken kann, aber es könnte durchaus pfeifen, wenn sich irgendeine Nuss im Plätzchen verbirgt.

  9. Ach Mädels sind so bodenständig!Wir planen die Weltrevolution und Du suchst das Backwerk nach Nüssen ab! Aber immerhin noch besser, als die Kleider Knöpfe nach „Swastiken“ absuchen: Strickjacken mit Hakenkreuzknöpfen – die Staatsanwaltschaft ermittelt

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