Mir hängen die Jakobsmuscheln zum Hals raus

Zwischen zwanzig und dreißig, als Freunde in WGs oder
Mini-Wohnungen lebten, reichte für einen fröhlichen Abend ein großer Pott
Spaghetti mit aufgewärmten Tomaten-Stückchen aus der Dose. Und eine Kiste Bier
auf dem Balkon. Heute (zwischen dreißig und vierzig) hat jeder es zu irgendwas
gebracht, vor allem zu Familie und Eigenheim oder einer stylish möblierten Mietwohnung
mit Parkett. Und während ein Dutzend TV-Kochsendungen gute Quoten einfahren,
avancieren die Küchen daheim zum Protzobjekt. Bizarrerweise schrumpfen die
Künste am Herd im gleichen Maße, wie immer mehr Geld in die Taschen von
Bulthaup, Gaggenau und Co. fließt. Toller Artikel zum Thema letzten Sonntag in
der WamS: „Die Fassade muss stimmen“ von Gabriele Thiels.
Passend zum Designer-Induktionsherd und den
Black-Pearl-Granitplatten
soll nun aber das Essen für die eingeladenen Freunde aus dem gleichen
oberen
Regal stammen. Ob man es zubereiten kann oder nicht. Wozu gibt es
Kochbücher von Tim Mälzer bis Jamie Oliver und Zeitschriften wie
„Living at home“? Hier ein Zitronengrashälmchen, da ein
morgens um sechs direkt vom Kutter geholtes Jakobsmüschelchen. Dazu
gibt es statt
Flaschenbier erlesenen Wein mit XXL-Geschichte. Beinahe zwangsläufig
müssen die
Gespräche bei Tisch sich angemessen um die edlen Speisen drehen.
Gleichzeitig
gilt es das eigene erschrockene Gesicht wegen der Augenränder der
überforderten
Gastgeber unter Kontrolle zu halten. Auch albernes Gegacker oder
Frotzeleien
wirken in einem solchen Ambiente irgendwie deplatziert.
So macht das doch keinen Spaß! Und wer hat das unter wahren
Freunden denn nötig? Wer erwartet ernsthaft, von seinen Kumpels wie in einem
Sterne-Gourmettempel bewirtet zu werden? Also ich habe vor lauter Konkurrenzdruck
schon gar keine Lust mehr, die Luxusgastgeber zu mir zu bitten. Aber vielleicht
sollte ich gerade. Auf den Tisch kommt dann die altbewährte Pastapampe mit
Pesto aus dem Glas.

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