22:30 Berlin Mitte: Der Klassenkampf fällt aus

Thema des Abends: Die Große Koalition mitten im neu entdeckten Klassenkampf – [Zum Livestream]

Das menschliche Inventar des Polittalks: Volker Kauder (CDU), Peter Struck (SPD), Carola Vollmar (arbeitslose Lageristin), Götz Werner (Unternehmer) und Paul Nolte (Historiker)

Zunächst berichtet Frau Vollmar von ihren Bemühungen, sich aus der Arbeitslosigkeit zu befreien. Die 48-jährige alleinerziehende Mutter ist eine Vorzeigearbeitslose. Frau Vollmar artikuliert klar verständlich und schildert eindrücklich ihr erfolgloses Engagement um eine dauerhafte berufliche Perspektive. Herr Kauder und Herr Struck sind offensichtlich sprachlos, denn Carola Vollmar entspricht so gar nicht dem viel- beschworenen Bild vom verwahrlosten Sozialschmarotzertum. Daher wollen die Koalitionäre lieber über Bildung referieren. Die Talkmasterin versucht die Herrn trotzdem wieder auf das Thema der Sendung zu refokussieren. Nun ergehen sich die Politprofis in den üblichen Phrasen. Was sie nicht aussprechen wollen/können, ist die Tatsache, dass für Frau Vollmar die derzeitige Erwerbsgesellschaft schlicht keine Verwendung mehr hat.

Auch Herr Nolte darf jetzt sprechen. Man bemerkt gleich, Paul darf nicht so oft etwas sagen – vermutlich zurecht. Der Mann ist nervös und bleibt unverständlich. Warum ausgerechnet ein Historiker als Experte eingeladen wurde, bleibt unklar. Substrat seiner Äußerungen ist die Vermutung, dass ein paar hundert Euro Frau Vollmar nicht wirklich helfen könnten. Das sieht Frau Vollmar vermutlich anders. Immerhin könnte sie mit dem Geld ihren unansehnlichen Poncho ersetzen und den zwei Töchtern Monatskarten für den Schulweg kaufen. Aus der historischen Perspektive sind solche kleinen Nöte maximal marginale Kollateralschäden. Eigentlich würde Professor Nolte das der Lageristn gerne sagen, aber das wäre zu brutal.

Nun greift Professor Werner ein. Zunächst attestiert er dem deplazierten Historiker Zynismus. Eigentlich erwartet der Zuschauer nun, der Anthroposoph und Unternehmer würde mit Verve sein Konzept vom bedingungslosen Grundeinkommen  vorstellen. Tja – eigentlich und falsch gedacht. Herr Werner ist ein höflicher Mensch, er unterbricht andere Redner nicht und er antwortet einfach nur kurz auf die ihm gestellten Fragen. Zum Modell „Grundeinkommen" wird er nicht befragt. Dem Herrn Werner ist die robuste Diskussionsführung offensichtlich nicht vertraut. Unglücklicherweise ist ihm auch die Mathematik nicht vertraut, denn er beziffert ein zehnjähriges Wirtschaftswachstum von drei Prozent per anno in der Summe mit 30 Prozent. Wo sollte er Polemik und Zinsrechnung auch gelernt haben, in der Waldorfschule? Allerdings zeigt diese rechnerische Unsicherheit Werners schlampige Vorbereitung. Tatsächlich hatte er das Rechenproblem am 30. Juni bei einer Rede im Gundeldinger Casino in Basel schon einmal – [Zum Video].

So vergeht die Sendezeit. Einspieler mit Ergebnissen der jüngsten Studien zu diesem und jenem Ungemach lockern das „Nichtgespräch" auf.

Irgendwann entschuldigt sich Frau Illner bei Herrn Werner, weil der sein Modell vom Grundeinkommen, in Ermangelung von Sendezeit, nicht erklären durfte. Herr Kauder hingegen kann und darf das und zwar schnell. Der Mann ergreift beherzt das Wort, erläutert das Modell in 25 Sekunden und verwirft es in 5 Sekunden. Offensichtlich ist Herr Kauder kein Anthroposoph. Herr Kauder ist Rechtsanwalt, wie mehr als 20 Prozent seiner Parlamentskollegen.

Jetzt ist Herr Werner etwas befremdet von Kauders schlechten Manieren. Also versucht Werner, auf esoterisch umständliche Art, doch noch etwas zum Grundeinkommen zu sagen. Selbstverständlich fallen ihm die Mitdiskutanten ins Wort. Sogar Herr Nolte quatscht dazwischen. Auf Werners Bemerkung: „Ich habe sie doch auch ausreden lassen." kontert er eloquent: „Stilisieren sie sich doch nicht so!" (Der war gut!). Damit ist das Thema dann auch endgültig abgebügelt. Herr Werner hat leider die mediale Durchschlagskraft einer Weinbergschnecke. Mit einem Paul Nolte müsste man fertig werden können, auch als Anthroposoph!

Schließlich versucht Frau Illner noch einmal die Herren Kauder und Struck auf Konfrontationskurs zu bringen. Die Fraktionsvorsitzenden erklären aber die Koalitionsdisziplin zum Primat und verweigern ostentativ das Gefecht. Eine absolute Parlamentsmehrheit muss nicht öffentlich diskutieren, mit niemandem. Beide Herrn sitzen zurückgelehnt mit verschränkten Armen da. Die Beine haben sie lässig von sich gestreckt. Nicht nur ihre Körperhaltung ist identisch, auch die Physiognomie ähnelt sich verblüffend. Die Männer sind kahlköpfig und schlank -"lean, mean and german". Ihre Blicke fallen trotzig durch Designerbrillen auf das versammelte Wahlvolk. Ihre Arroganz ist einträchtig. Die Sendung ist zu Ende.

Viel Spaß beim Vermehren der gewonnenen Einsichten…." Danke Frau Illner!

Die Chefarztfrau

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10 Meinungen

  1. Ja – das, was die Politiker dort gestern geboten haben, ist ehrlich gesagt MIST.In jeder Talkschau wird von allen Beteiligten versichert, dass man ja eigentlich weiss, dass das Hauptproblem die Arbeitslosigkeit ist – aber keiner sagt oder weiss, wie er sie beseitigen will.Das geht seit Jahren so – seit vielen, vielen Jahren !!!Die einzig vernünftigen Diskussionsteilnehmer waren Frau Vollmer und Herr Werner – aber die kamen garnicht richtig zu Wort.Die Politiker und auch der Historiker vertraten Ansichten, die jeder vernünftige Mensch eigentlich vertreten kann.Der einzelne Arbeitslose oder Hartz 4-Empfänger ist der Politik doch völlig egal. Herr Kauder prahlte nur damit, dass man ja schliesslich 30 Milliarden in die ganze Misere gesteckt habe – nur bei den Betroffenen kommen diese Milliarden ja überhaupt nicht an, weil alle Gelder in immer mehr Bürokratie gesteckt werden.Jetzt sollte uns allen nun endlich der Kragen platzen.Schönen Abend !

  2. Es muss -ich bitte um Nachsicht- in meinem Beitrag natürlich richtig heisssen:… und auch der Historiker vertraten Ansichten, die jeder vernünftige Mensch eigentlich n i c h t vertreten kann.

  3. Solche Talkshows und vor allen Frau Illner sollten endlich verschwinden….eine Schande für den ehrlichen Gebührenzahler dieses Staates…Warum steht so ein Talkshowtrottel nicht mal auf und schreit die Wahrheit in die Kameras….dieser Welt…?.was passiert eigentlich wenn das nächste mal keine zur Wahl gehen würde oder nur die Mitglieder der Parteien also ca. 1 Million …setzt man die dann zu 100 % ….? warum regen sich alle vor oder nach der Wahl auf…es ist doch Ihr Wille wenn sie dahin gehen…

  4. „Sobald die Gesellschaft im Besitz aller Arbeitsmittel sich befindet, wird die Arbeitspflicht aller Arbeitsfähigen, ohne Unterschied des Geschlechts Grundgesetz … Die Gesellschaft kann ohne Arbeit nicht existieren..August Bebel….na da haben wir aber abdere Erfahrungen in Schlappland….nicht existieren…lol

  5. Am Anfang waren wir eine Gruppe von Jägern und Sammlern. Irgendwann hatten wir dann soviel Nahrung produziert, dass wir sesshaft wurden, einen Staat gründen und uns Polizei, Soldaten und Politiker leisten konnten.WIR leisten uns POLITIKER, also sollten wir über die Bedingungen deren Arbeit bestimmen (z.B. Offenlegung ihrer Nebeneinkünfte, Rausschmiss bei Inkompetenz oder Missbrauch ihrer Befugnisse, Veto bei unsozialen Gesetzen, usw). Kein Politiker wird gezwungen, Politiker zu werden. Wenn denen die Bedingungen nicht passen, können sie ja was anderes machen.Manchmal habe ich den Verdacht, daß Politiker uns inzwischen wie eine Herde Vieh halten. Wir werden registriert, bewacht, verwaltet, beschwichtigt und für dumm verkauft – und das nur, um uns regelmässig melken zu können. (Vieh, was tot ist, von der Weide abgehauen ist oder sich versteckt hat, kann man nicht melken :-)Wer ist denn für wen da? Wir leisten und Politiker – nicht umgekehrt. Sie werden von uns alimentiert. Wann passiert endlich was?

  6. Genau das ist es – ganz, ganz dumm sind wir – man muss sich wirklich noch einmal den Ablauf der Sendung bei Illner vor Augen führen.Da wirklich alle dieser Diskussionsrunden nichts bringen, sollten sie wirklich abgesetzt werden.Aber dann nicht nur Illner, sondern auch Christiansen und…und…und…–Überlegen wir ehrlich – alles, was dort geschwafelt wird, wird seit vielen Jahren geschwafelt und es ändert sich nichts.Da wollen wir doch was anderes sehen und uns wie gestern an Mike Krüger und Co. erfreuen – die machen zwar auch Blödsinn – aber gegenüber den Politikern den sehr viel besseren.Schönen Abend !

  7. „““die machen zwar auch Blödsinn – aber gegenüber den Politikern den sehr viel besseren.““““Und sehr viel preiswerter…

  8. Um Himmels Willen! Bloß nicht solche Sendungen absetzen! Nirgendswo blamieren sich die Deppen effektvoller als in solchen Talkshows. Das ist doch mal eine positive Version der Manipulation durch die Medien.-Übrigens: In einer Demokratie hat jedes Volk die Politiker, die es verdient.

  9. @BeobachterJa wirklich, absetzen dieser Sendungen würde vielleicht wirklich schlecht sein – sehe ich unter diesem Gesichtspunkt wirklich ein.

  10. Das Besondere an der Sendung war, um der Chronistenpflicht zu genügen, als die Langzeitarbeitslose Carola Vollmar dem neben ihr sitzenden Prof. Paul Nolte den Ellenbogen in die Seite gestoßen und sehr bestimmt das Wort ergriffen hat, als dieser Spinner leichtfertig dahersagte, dass sie für IRGENDEINEN Job dankbar wäre. – Nichts anderes als eine Umschreibung des Auschwitz-Lagermottos „Arbeit macht frei“ aus dem Mund eines Historikers!

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