much better

Einen Ehrenplatz unter den Produzenten unausgegorener Verbalkreationen nehmen all jene Studenten ein, die von sich selbst behaupten, dass sie "irgendwas mit Medien" studieren, aber (auf Nachfragen hin) nie genau sagen können, wie dieser Studiengang nun eigentlich richtig heißt. Gerade erst heute Vormittag musste ich wieder auf besonders schmerzhafte Weise erfahren, welche extremen Formen es annehmen kann, wenn Deutschlands "zukünftige Eliten" unkontrolliert daherreden.
Ich befand mich in der Bibliothek auf der Suche nach einem ruhigen Notebook-Arbeitsplatz – also einen, an dem keine Rudel asiatischer Austauschstudenten herumsitzen, die lautstark per Videochat mit ihren Lieben in Peking schnattern. Also schlich ich durch die verstecktesten, nur absoluten Insidern bekannten Winkel der Bibliothek, als ich urplötzlich und ohne Vorwarnung zum Zeugen des folgenden Dialogs zweier fotokopierender Studentinnen wurde:

(Mädchen 1): "Du, ich muss das jetzt erstmal researchen, bevor ich Dir mehr dazu sagen kann"
(Mädchen 2): "Ja, mach das mal. Ich zieh mir in der Zeit noch die restlichen Copies."

Meine erste Reaktion war – wie so oft – Skepsis. Hatte es diesen schrecklichen Wortwechsel wirklich gegeben, oder war es – trotz der guten Fortschritte in meiner Gesprächstherapie – immernoch unangebracht, meiner Wahrnehmung 100prozentig Glauben zu schenken? Ich zweifelte und begann, angestrengt nachzudenken. Welches Motiv könnte dahinterstecken, dass Menschen, die an einer Universität eingeschrieben sind, so belanglose Tätigkeiten wie eine Literaturrecherche oder das Kopieren eines Buches verdenglischen – noch dazu in einem derart ernsthaften Tonfall? Wollten sie dem öden Alltagsleben ihres Erstsemesterdaseins damit einen (natürlich zweifelhaften, aber aufgrund des Alters absolut verzeihlichen) kosmopolitischen Anstrich verpassen? Wird die Literatursuche durch die Umbenennung in "research" zum hippen Trendsport, auf den die anderen Mädchen aus der Medien-Vorlesung neidisch sind? Ja, das konnte die Lösung sein. Nichts ist mehr trivial, wenn es nur erstmal in einem neuen, transatlantisch anmutenden Gewand daherkommt. Nach diesem Prinzip produzieren fertigstudierte Medien-Lemminge ganze Abendshows fürs Privatfernsehen. Die Erkenntnis traf mich wie der Werbespruch eines großen Elektronik-Marktes: gütiger Gott, ich muss diesem Trend folgen – sonst werde ich schon bald ein armseliger Loser sein, der arte auf einem Fernseher mit Röhrenmonitor kuckt und – was noch viel unverzeihlicher ist – an den unpassendsten Stellen deutsch redet!

— Genug für heute. Da ich keinen ruhigen Arbeitsplatz gefunden habe, researche ich jetzt erstmal ein paar Englisch-Wörterbücher, und dann gehe ich in den Bathroom, mein Mittagessen outsourcen.

3 Meinungen

  1. Ich ahnte es doch: Hinter dem kastrierten Kirchentagsmotto, in dem Gott und alles andere, was evangelisches Profil bedeuten würde, sorgfältig herausredigiert wurden, steckt eine der Werbeagenturen, die uns auch „Du bist Deutschland“ geschenkt haben.Ganz prima, EKD! In der Gesellschaft steigt die Zahl der Sinn suchenden stündlich; weil die religiöse Grundbildung bei den meisten völlig fehlt, wird irgendwelchen seltsamen New Age-Müll nachgerannt, der Religion light anbietet oder zu Bewegungen, die direkt aus dem Mittelalter zu kommen scheinen – und wir evangelische Christen lassen eine Werbeagentur die frohe Botschaft zu einer Headline degradieren, die auch auf einer Packung Pepproni-Chips stehen könnte! Was sagt das denn über den Wert aus, den wir der christlichen Botschaft zu messen? Und was sagt das aus über die ganzen amtlichen, halbamtlichen und vor allem auf staatliche Kosten ausgebildeten Theologen, denen wir unseren Laden überlassen haben? Es scheint uns peinlich zu sein, von Gott und dem Evangelium zu reden – vielleicht sind wir aber auch schon selbst so vom Konsumerismus durchdrungen, dass selbst für Kirche Gott und Glaube nur noch eine Lifestyle-Option ist?Schöner Beitrag übrigens. Danke für die Links.

  2. Danke fürs Lob. Noch eine kleine Anmerkung: Nicht Scholz & Friends hat das kastrierte Kirchentagsmotto erfunden, sondern die Veranstalter des Kirchentags selbst. Scholz & Friends hat wirklich nur die Werbung zu diesem Motto und für den Kirchentag entworfen. Das Motto wurde also nicht von einer Werbeagentur aufgezwungen, weil das besser klingt. Die Organisatoren selbst denken anscheinend so.Vielleicht wäre es am besten, gar keine Werbung zu machen. Kommen eh immer dieselben Leute.

  3. Da hast du Recht, allerdings hättest du in dem Satz „gütiger Gott, ich muss diesem Trend folgen – sonst werde ich schon bald ein armseliger Loser sein“ die englischen Wörter „Trend“ und „Loser“ vielleicht besser weglassen sollen.

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