Mehr als zwei Jahre arbeiteten die Maccabees an „Given to the Wild“, darunter auch ein paar frustrierte Monate, in denen sie alles völlig neu produzieren und abmischen mussten. Doch die harte Arbeit hat sich gelohnt, denn – wie schon in der Review zu lesen – das Drittwerk der Engländer ist eines der ersten umwerfenden Alben für 2012.
Im Fritz Club Postbahnhof saß ich mit Gitarrist Hugo White zusammen zwischen der Herren- und der Damentoilette (true story) und habe über das Album und die Entwicklung der Band geredet.
„Given to the Wild“: Ausdiskutiert
Mit „Given to the Wild“ sind die Maccabees einem völlig neuen, gleichwohl natürlicheren Prozess im Songwriting nachgegangen, anstatt sich von Anfang an zusammen zu setzen und an Songs zu arbeiten, sammelte jeder erst einmal für sich Ideen, die dann multimedial per Mail ausgetauscht und schlussendlich im Studio von allen ausdiskutiert wurden.
Und mit Diskutieren ist genau das gemeint. Zumindest meiner Erfahrung nach unüblich, ist der gemeinsame kreative Weg durch Gruppendiskussionen, in denen es auch mal etwas heißer her gehen kann. Ein sicherlich nicht immer leichter Weg, der aber dafür sorgt, dass aus einzelnen, individuellen Ideen ein gesamtes Konzept wirken kann.
Wie würde ein Soloalbum von Orlando Weeks oder Hugo White klingen? Während man bei Bands wie den Red Hot Chili Peppers oder Incubus relativ sicher sein kann, ist es bei einer derartig demokratischen Herangehensweise schwer und genau dadurch beeindruckend.
Hugo: Es ist keine Diskussion in dem Sinne, dass jemand verliert oder so, aber ein ungeschriebenes Gesetz ist, dass man seine Meinung argumentieren muss und wir machen das auf einer relativ erwachsenen Art und Weise – hoffentlich, meistens. Man kann eine Stunde lang über etwas streiten und sagen, warum man es so und nicht anders haben will und dann geht man aus dem Raum und kehrt danach wieder, um sich ganz normal über etwas anderes zu unterhalten. Es ist kein echter Streit, obwohl es natürlich auch Momente gibt, in denen es etwas angespannter zugeht und wo man erstmal Pause machen muss.
Die Idee zu einer anderen Art von Songwriting kam ihnen übrigens, als sie noch während „Wall of Arms“ zusammen saßen und den letzten Track auf dem Album als auch der gesamten Produktion, „Bag of Bones“, schrieben.
Hugo: Beim Songwriting von „Wall of Arms“ waren wir immer mit unseren Instrumenten in einem Raum und das erzeugt viele Diskussionen und wir schreiben so auch unsere Musik, indem wir diskutieren, aber wir wollten das für die Anfänge dieses Albums vermeiden, denn jeder hat Ideen, die er beitragen kann, aber wenn diese Idee bereits in einer Diskussion beginnt, passiert es sehr schnell, dass man die Richtung für sie verliert.
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Die Maccabees flicken eigenständige Ideen zu einem Ganzen
Sobald eine Idee stand, wurde sie in einer Rundmail an die Band verschickt, woraufhin sich üblicherweise mindestens ein Kollege meldete, um gemeinsam daran zu arbeiten, so dass sich nach und nach Songgerüste entwickeln konnten. Das klingt einfach, wenn man es flimmernd auf seinem Computerbildschirm liest, aber tatsächlich waren diese Ideen so individuell, dass sie kaum dem Maccabees-Sound entsprachen und daher viel Arbeit benötigten.
Hugo: Es war merkwürdig, weil die originalen Ideen, die wir geschrieben hatten, voneinander sehr unterschiedlich waren und noch weniger nach den Maccabees klangen und ich glaube so arbeiten wir als Band einfach: Wenn wir alleine schreiben, schreiben wir sehr individuell und nichts davon klingt anfangs wie die Maccabees aber sobald wir gemeinsam daran arbeiten, klingen wir wie eine Band.
Im Studio von Jesus and the Mary Chain
Zusammen kamen sie im ehemaligen Studio von Jesus and the Mary Chain, das von den Alternative Helden „Drugstore“ getauft wurde. Abenteuerliche Anekdoten hatte Hugo zwar nicht, dafür spekulierte er, dass es damit zu tun gehabt haben könnte, dass das Studio direkt gegenüber einer Polizeistation situiert ist. Für Drogenexperimente weniger vorteilhaft, dafür sind aber zumindest die Instrumente vor Einbrüchen sicher.
Von den Maccabees erwartet man ja eher keine Drogengeschichten, weshalb sie den Räumlichkeiten – die sie auch noch für ein paar Jahre behalten wollen – einen anderen Namen gegeben haben, bevor der verraten wurde, hatte Hugo jedoch noch etwas zur Rolle des ersten eigenen Studios zu sagen (uh, es wird spannend):
Hugo: Das Studio war sehr wichtig für die Art und Weise, wie wir das Album aufgenommen haben. Zu Beginn haben wir viel in unseren Wohnungen gemacht und dann später Studiozeiten gemietet, aber da kann man dann nur zwischen 12 und 18 Uhr arbeiten und es ist sehr schwer, kreativ zu arbeiten, wenn man weiß, dass man irgendwann alles zusammen packen muss, weil man nur einen bestimmten Zeitrahmen hat. Und in unserem Studio – das wir hoffentlich noch Jahre haben werden – gibt es kein Zeitlimit und alle Instrumente sind immer aufgebaut, wir haben dort alles, was wir brauchen und können so lange arbeiten, wie wir wollen und wenn mal einen Tag lang nichts funktioniert, kann man später zurück kommen und weiter machen. Ich glaube nicht, dass das Album ohne das Studio fertig geworden wäre. Das ist wirklich der Traum und ein Glück, wenn man sich ein eigenes Studio leisten kann.
[youtube erhismQHPGk]Und der Spitzname?
Hugo: Wir haben es „Elephant Studios“ genannt, aber wir überlegen, ob wir es „Fridge Freezer“ (Eisschrank) nennen wollen, weil es so kalt ist, da es dort keine Heizung gibt.
Die Kunst der harmonischen Vielfalt
Vom Debüt „Colour it in“ an war der Stil der Band vor allem eins: bunt. Gerade zu einer Zeit, als der gitarrenlastige Britpop überlief und eingängige Ohrwürmer lieferte, die sich auf ein einziges, zuverlässig unterhaltsames Thema verließen, brachten die Jungs einen Haufen Ideen in jeden einzelnen Song und ließen damit auf einer sehr abstrakten und verpoppten Ebene sogar ein wenig Progressive einfließen. Mit „Given to the Wild“ hat sich dieser Eindruck mehr als bestätigt, allerdings sind die Breaks nicht mehr so offensichtlich, die Ideen fließen ineinander und entwickeln so ein schillerndes Ganzes.
Hugo: Wir wollten das Album geduldiger gestalten und auch einen Fluss kreieren, so dass Dinge sich miteinander vermischten, wir wollten, dass die Ideen klar heraus klingen, ohne musikalisch das Offensichtliche zu versuchen. Wenn es um die Arrangements der Songs geht, haben wir uns da definitiv herausgefordert. Es hat zwei Jahre gedauert und wir haben nur an diesen Songs gearbeitet, an keinen anderen. (…) Wir hatten beispielsweise fünf Versionen eines Songs und am Ende hatte er Teile der ersten Version und Teile der dritten Version und das alles ist harte Arbeit, wir haben auch meistens alles aufgenommen, was wir ausprobiert haben, es gab also nicht direkt nur einen Schreibprozess, sondern immer auch das Aufnehmen und Produzieren, aufnehmen und arrangieren mit dem Computer, Loops kreieren und Teile heraus schneiden und sobald wir es einigermaßen in Form gebracht hatten, haben wir es erst zusammen gespielt.
Orlando Weeks und die Gitarrenstürme der White Brüder
Die erste Single und damit auch der offensichtlich „traditionellste“ Song der Band „Pelican“ hat es absichtlich nicht ins erste Drittel des Albums geschafft, denn das „Child“ (der übrigens mehr als 18 Monate bearbeitet wurde) und „Grew up at Midnight“ den Rahmen des Albums bilden würden, war schon von Anfang an klar. „Pelican“ sollte dabei das Tempo in der Mitte wieder etwas anziehen, aber dabei soll man nicht denken, dass das Album ruhiger als die Vorgänger geworden ist, auch wenn es beim ersten Durchhören so erscheinen mag.
[youtube r3xLEdeefvs]Denn durch eine sehr geschickte Mischung von treibenden Drums und energetischen Gitarren, sowie Orlando Weeks' so eigener, warmer und vor allem weicher Stimme, wird man so manches Mal überrascht, wie hinterrücks sich eine verträumte Ballade in klimaktische Höhen windet.
Hugo: Ja, wir wollten, dass das Album sich etwas mehr Zeit nimmt, so dass die aufregenden Momente – wenn sie dann zünden – kräftiger hervorstechen und die ruhigen Momente dadurch noch ruhiger wirken. Und Lands' (Orlando) Stimme – so wie wir uns instrumental antreiben wollten, wollte er die Art und Weise, wie er singt verändern und deshalb klingen die Gesangslinien so schwebend und leicht. Und die Drums und Gitarren im Gegenzug wirken so, als könnten wir ein sehr viel härteres Rockalbum machen, aber Orlandos Reaktion dazu ist, dass er seine Stimme noch weicher hält, als sie so schon ist.
Ein gutes Beispiel dafür ist das vielschichtige „Ayla“, das in den Händen von Orlando und Schlagzeuger Sam Doyle nur mit einer Pianospur einen hübschen, zurückhaltenden Song gab, bis die Brüder Felix und Hugo die Gitarren dazu erklingen ließen und am Ende – nach einigen gesunden Diskussionen – einen Song zusammen brachten, der mit einem glasklaren Piano und Orlandos Stimme sehnsüchtig beginnt, um am Ende in Gitarrenstürmen zu atemlosem Herzklopfen zwingt.
Das Goldsworthy Debakel
Im Vorfeld des Albums gab es vor allem die Verbindung mit Electro Produzent Tim Goldsworthy, die für hochgezogene Augenbrauen sorgte, tatsächlich schwieg die Band bis kurz vor dem Release des Albums darüber, dass diese Zusammenarbeit eher nicht so glücklich endete.
Zwar schien es kein böses Blut gegeben zu haben, aber als die Maccabees ihr Album im Sommer 2011 Song für Song und frisch produziert von Goldsworthy geschickt bekamen, war schnell klar, dass sie nicht zufrieden mit dem Ergebnis waren, weshalb das ursprünglich für September 2011 geplante Release ein paar Monate aufgeschoben werden musste.
Hugo: Als wir die Mixe nach und nach zurück bekamen, haben wir sie uns angehört und niemand hat wirklich etwas gesagt und sobald wir anfingen, darüber zu reden, wurde es sehr offensichtlich, dass jeder derselben Meinung war. Und je mehr Songs wir zurück bekamen, desto unglücklicher waren wir damit und dann haben wir uns sofort wieder an die Arbeit gemacht. Wenn es das erste Album gewesen wäre, wären wir sicherlich damit einverstanden gewesen, aber jetzt wissen wir ganz genau, wie wir alles haben wollen und niemand sonst wird es so hinkriegen, wie wir es uns vorstellen und deshalb haben wir es selbst in die Hände genommen.
2 Monate lang saßen sie 15 Stunden pro Tag im Studio, um das Album neu zu produzieren und abzumischen, zwar blieben einige von Goldsworthys Ideen bestehen, aber im Grunde war das Motto „alles neu“ und auch wenn es anstrengende und gestresste Arbeit war, hat es sich gelohnt. So weit, dass die Band auch für nächste Alben den Produzenten geben will.
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Eine kleine Ode an die Maccabees
Ein gutes Album zu schreiben und zu produzieren – das ist viel Arbeit. Und auch wenn die Maccabees sich höchstwahrscheinlich einen der schwierigsten und enervierendsten Arbeitsprozesse heraus gesucht haben, den man sich vorstellen kann, zeigt das Ergebnis, wie gut es einem Werk tut, wenn es keinen Frontmann gibt, der den Ton angibt, wenn man sich mit nichts zufrieden gibt, das nicht in das gemeinsame Bandkonzept passt, wenn man die – Entschuldigt bitte – Eier hat, die Arbeit eines anerkannten Produzenten einzustampfen, wenn man das Gefühl hat, das sie nicht mit der eigenen Vision einher geht.
Und genau das macht die Maccabees nicht nur zu einer der wenigen Bands, die sich mit jedem Album weiter aus der Masse heraus spielen, sondern auch zu Musikern, die ihre Kreativität nicht durch ihre Popularität einbüssen, sondern ganz im Gegenteil die neu erlangten Mittel nutzen, um das Beste aus sich heraus zu holen.
Eine sehr gute Track by Track Erläuterung der einzelnen Songs von Hugo und Felix kann man sich auf Englisch HIER anhören und besonders zu empfehlen ist der Maccabees Blog, auf dem Orlando regelmäßig in einer Art künstlerischem Tagebuch Skizzen der Tourorte postet.
Und ein wenig Eigenwerbung darf auch sein, auf unserer Facebook Seite gibt es regelmäßig Neuentdeckungen, Musiknachrichten und mehr.
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