Von der berechneten Zukunft zur Betrachtung der Möglichkeiten

Diese Entwicklung hat mehrere Ursachen. Die eine sehr einfache Ursache ist, dass es heute sehr viel schwieriger ist, sich die Veränderung der Zukunft vorzustellen. Es gibt eine schöne Zeichnung von einem frühen Futuristen, der sich vorgestellt und gezeichnet hat, wie der Friseur durch einen Haare schneidenden Roboter ersetzt wird. Man konnte sich leicht vorstellen, dass es Raketen geben könnte, mit denen man durch den Weltraum fliegen kann. In den 1950er Jahren galt es als plausible Zukunftsprognose, dass wir heute alle Hubschrauber haben werden oder zumindest fliegende Autos. Doch da war der Wunsch Vater des Gedankens, denn ein Auto hat zuviel von dem, was ein Flugzeug nicht braucht und umgekehrt. Es macht technisch praktisch keinen Sinn.

Die technologischen Zukünfte der Vergangenheit waren zumeist reine Extrapolationen. Dann hat man begonnen, die Dinge etwas komplexer zu sehen. In den 60er und 70er Jahren waren Weltmodelle beliebt, mit denen man den zukünftigen Gang der Welt zu berechnen versuchte. Zukunftsforscher beschrieben unter anderem die Entwicklung zur Freizeitgesellschaft: Weil die Maschinen und die Computer uns die Arbeit abnehmen, werden wir weniger arbeiten müssen.

Heute spricht man davon, dass wir uns mit hoher Geschwindigkeit auf die Singularität zu entwickeln, einen Zustand, in dem quasi alles mit allem vernetzt, die Rechnerkapazität unendlich und Innovation nicht mehr erkennbar ist. Die Annahme dahinter ist, dass Rechenleistung das Einzige ist, was nicht irgendwann eine Sättigung erfährt, weil sie praktisch keine natürliche Ressource verbraucht und daher keiner Wachstumsbegrenzung unterliegt. Der Laie kann sich die Singularität aber nur sehr viel schwieriger vorstellen als damals fliegende Autos und Friseur-Roboter.

Schließlich ist die Welt aber viel zu komplex, als dass man sie in dieser Form berechnen könnte. Heute ist diese Illusion weitgehend passé. Spätestens seit der Chaosforschung wissen wir, dass der Gang der Welt nicht berechenbar ist. Wir können noch nicht einmal berechnen, wie eine Flipperkugel läuft, geschweige denn, wie sich eine Gesellschaft entwickelt. Damit hat auch das Nachdenken über die Zukunft begonnen sich zu wandeln. Es erfolgte ein Paradigmenwechsel, der immer noch im Gange ist, nämlich von der Idee, es gäbe irgendwen, der die Zukunft sehen kann, so wie sie wahrscheinlich ist, hin zu der Einsicht, dass wir nicht wissen können, wie die Zukunft wird, uns aber vorstellen können, zu welchen alternativen Zukünften gegenwärtige Entwicklungen führen könnten. Szenarien als Ergebnis fortgeschriebener Trends und ins Kalkül gezogener Überraschungen sind das hierzu nötige Denkwerkzeug. Sie helfen uns, von der Zukunft weniger überrascht zu sein.

Es gibt heute weit mehr Chancen als früher und in Zukunft noch viel mehr. Nur sind sie immer schwieriger erkennbar.

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