Kaiserschnitt
oder Gebärhocker, Stillen oder Flasche, Waldorf- oder katholische Schule.
Manches, was einst scharfe Kritik hervorrief, wird heute stolz als einzig wahrer Wert propagiert.
Klinikwahl
Wo
soll das Kind geboren werden? Wer sich für eine Klinik entscheiden
möchte,
findet sich schon bald in nervenzehrenden Infoveranstaltungen wieder.
Vor zehn
Jahren entbrannten in den stickigen Sälen hitzige Debatten um
K-Augentropfen,
wurde die Kaiserschnittrate kritisch unter die Lupe genommen. Niedrige
Rate war
gut, hohe Rate übel. Was ist daraus geworden? Nicht nur Hollywood-Stars
und
Fußballerehefrauen entscheiden sich bewusst und mit wachsender
Begeisterung für
Kaiserschnitte, wo unsereins sich niemals um die „Freuden“ einer
natürlichen
Geburt hätte bringen lassen. „Tut nicht weh, das Kind wird nicht
gequetscht und
man hat keinen Ärger mit Dammrissen und Ausleiern“, erklärt mir eine
Bekannte.
Aha. Na dann. In meinem Geburtsvorbereitungskurs vor – wie gesagt –
zehn Jahren bekamen wir Schwangeren noch gelehrt unser Recht auf eine
natürliche Geburt auch gegen miese Kaiserschnitt-„Schlitzer“ zu
verteidigen. Waren wir denn total blöd?
Heilige Muttermilch
Meine
Kinder sind Flaschenkinder, wenngleich ich lieber gestillt hätte. Ging aber
einfach nicht. Und das zu einer Zeit, als La Leche Liga-Expertinnen auf Bäumen
wuchsen, Krankenhäuser sich für Stillplaketten anstellten. Während um mich
herum Stilleinlagen und Brustwarzenschoner diskutiert wurden, stand ich
geächtet daneben. Ganz zu schweigen von der unterschwelligen Sorge um mein
Kind, das nun nicht die „beste Nahrung“ bekam. Bis die Hebamme, die ich mit
meinen Fragen bald in den Wahnsinn trieb, mit der Faust auf den Tisch schlug:
„Früher haben Damen der Gesellschaft nie selbst gestillt, sondern dafür Ammen
beschäftigt, weil es unfein war. Nach Tschernobyl (1986) galt Muttermilch als wahnsinnig
belastet. Und nun ist es eben mal wieder modern – wer weiß wie lange!“
Frontalunterricht für alle!
Die
Grundschule um die Ecke trägt den Untertitel „Integrative Regelschule“. Prima, dachten
wir, vonwegen der sozialen Komponente, Integration und so – und rauschten damit
zielsicher am aktuellen Trend vorbei. Nach dem PISA-Schock ist Kuschelmuschel
out und Leistung wieder in. Die Gründe dafür sind nachvollziehbar: Der
Arbeitsmarkt gibt reichlich Anlass für Zukunftsängste. Und was ist mir der
schleichenden Überalterung, an deren Ende jedes unserer Kind für zwanzig Rentner
zahlen muss? Auch die Verkürzung der Schulzeit von 13 auf 12 Jahre in den
meisten Bundesländern, kriegen angehende Abiturienten bereits in der fünften
Klasse knallhart zu spüren. Wer kann sich bei diesem Stress noch soziales
Denken oder gar Handeln leisten?
Wachsam bleiben
Natürlich gibt es noch Dutzende weitere Beispiele, an denen sich
Erziehungstrends festmachen lassen. Und zweifelsohne, man denke an
prügelnde Lehrer in den Schulen unserer Großeltern, wirken
sich Entwicklungen oft zum Vorteil der Kinder aus. Dem einen oder
anderen positiven Ansatz dogmatisch zu verfallen, nenne ich aber einen
Fehler. Holzauge, bleib wachsam. Besinnt Euch auf Euch, guckt Euch Eure
Kleinen genau an. Perfekte Kinder sind eine Illusion und niemand passt
in eine Schablone. Leben und leben lassen!