In Schreibseminaren löst die Aufforderung, stilbewusst zu schreiben, bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern immer den gleichen Anfangsimpuls aus: Die Texte wandeln sich – die Sätze werden länger, die Wörter «gewählter» und der Duktus «gestelzter», der Sinn drapiert sich in ein verbales Theaterkostüm, der Ton klingt pathetisch. Kurzum – die Texte wirken plötzlich ebenso ulkig, wie sie zuvor langweilig waren. «Manierismus» heißt dieses Stilmerkmal, das unter bestimmten Bedingungen einem Rilke erlaubt sein mag, nicht aber uns: «Du Ängstlicher, hörst Du mich nicht mit meinen sanften Sinnen an Dir branden (…)?». Wo aber einem großen Dichter die Unsterblichkeit schwül um die sanften Sinne brandet, umplätschert uns Erdensöhne nur das Lächerliche.
Bei minderen Dichtern – wie bei dem seinerzeit viel gelesenen Albrecht Schaeffer, führte das manieristisch Geschraubte auf direktem Wege in die Vergessenheit: «Ja, wer wüsste je? O schwierige Frage. Der Ernst des Lebens trat nun an Einen heran. Man war ein Prinz, was hatte das zu bedeuten, insbesondere? Wie ging es weiter?». Fragen sind das!
Wir sollten daher nicht unseren poetischen Spleen pflegen, sondern zunächst einen akzeptablen Alltagsstil entwickeln und beherrschen. Dann erst sollten wir uns «mehr» zutrauen – wenn wir das dann überhaupt noch wollen. Um diese Grundlagen, die keine manieristische Stelzenläuferei kennen, geht es zunächst. Um einen Text, der so lange «poliert» wurde, bis er ganz und gar mühelos wirkt, obwohl viel Mühe in jedem Satz steckt. Ein Text, der alles «Ergrübelte» meidet, anders als in jenen Seminarbeispielen, wo Schreiber sich die Lizenz zum «Dichten» erteilten.
Ein guter Stil kommt niemals »von oben herab«, schon gar nicht vom Parnass, er schließt sich an einen allgemeinen Sprachgebrauch an, ohne ihn zu kopieren. Er verleiht dem Text sozusagen «unsichtbare Qualitäten», weil er sich dadurch auszeichnet, dass der Leser ihn im Lesefluss gar nicht mehr bemerkt. Salopp formuliert: Stil ist das, was nicht auffällt.
Stilgesetze sind dabei weniger wandelbar, als viele denken, sie bleiben aber wichtig – und werden trotzdem immer weniger gelehrt. Ihre Zahl ist überschaubar, sie sind einfach zu verstehen – und vielleicht deshalb nicht ganz so einfach anzuwenden. Noch nicht einmal zwischen den verschiedenen Sprachen bestehen grundsätzliche Unterschiede: Elementare Regeln guten Stils gelten im Deutschen ebenso wie im Englischen oder Spanischen.
Ein russisches Beispiel: In einer Polemik gegen die Schreiber und Journalisten seiner Zeit greift Alexander Puschkin das alltägliche Stilverständnis seiner Autorenkollegen scharf an: «Was soll man von unseren Schriftstellern sagen, die es für unwürdig halten, die allergewöhnlichsten Dinge einfach beim Namen zu nennen, und meinen, sie könnten ihre naive Prosa durch Zusätze und welke Metaphern beleben. Diese Leute können nicht «Freundschaft» sagen, ohne hinzuzufügen: dieses heilige Gefühl, dessen edle Flamme usw. Es müsste heißen: «früh am Morgen» – aber sie schreiben: kaum erhellten die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne die östlichen Ränder des azurblauen Himmels – ach, wie ist das alles neu und frisch, ist es etwa schöner, nur weil es länger ist? (…) Genauigkeit und Kürze – das sind die vornehmsten Eigenschaften der Prosa. Sie braucht Gedanken und wieder Gedanken, ohne Gedanken sind die glänzendsten Formulierungen unnütz.»
«Genauigkeit», «Kürze», «die Dinge beim Namen nennen», «Inhalt haben» – alles Gesetze, die heute genauso über die Wirksamkeit eines Textes entscheiden, wie im Jahr 1822, als Puschkin diese Polemik schrieb: Noch heute beginnt ein guter Stil am besten damit, dass er sich entschlossen von «missverstandener Literatur» distanziert, von Manierismen, Ausschmückungen und Tricks. Guter Stil bildet einen Boden, auf dem mit geradem Pflug durch Klarheit, Einfachheit und Ordnung alles zur Aussaat von Inhalten vorbereitet ist.