Privatpatienten leben gefährlich

Als ich heute den Beitrag in F.A.Z. Net mit dem eindeutigen Titel Privatpatienten: In den Klauen der Halbgötter las dachte ich mir, was ein Glück, dass ich nur ganz normal versichert bin. Werde ich mal krank, bekomme ich ja alles, was nötig ist – Ulla Schmidt sei Dank. Doch als Privatpatient? Oh weh, da die privaten Krankenkassen (noch) die Spendierhosen anhaben und eine andere Gebührenordnung zu Grunde legen, mutiert der Meldung zufolge so mancher Mediziner zum geldgierigen Dagobert Duck. Dieser fiese Weißkittel verarztet seine privat versicherten Goldhennen so konsequent, dass sie unter Umständen von der Premiumversorgung krank werden. Überversorgung nennen Insider dieses Phänomen, das nur möglich ist, weil das meiner Meinung nach unsinnige System diese Selbstbedienungsmentalität nahezu provoziert.

Ich habe im Bekanntenkreis erlebt, dass bei einer privat versicherten Brustkrebspatienten viele Behandlungen gemacht wurden, die sich bei ihrer Krebsform als nicht sinnvoll erwiesen. Die Dame hatte ihrerseits recherchiert und herausgefunden, dass so manche Therapie bei ihrem Krankheitsverlauf überhaupt keinen Erfolg versprach. Einer anderen Frau, die leider an Knochenkrebs verstorben ist, wollten die Ärzte noch 6 Wochen vor ihrem Tod ein Bein amputieren. Begründen konnten sie die Entscheidung nicht. Die Dame, übrigens die Tante eines guten Freundes, lehnte den Eingriff jedoch vehement ab, zumal ihr niemand sagen konnte, warum man die Sterbende noch verstümmeln wollte. Die Amputation hätte weder ihr Leben verlängert noch die Schmerzen reduziert. Die tapfere Frau zog es vor, als vollständiger Mensch zu sterben. Doch nicht jeder kann in einer solchen Extremsituation so pragmatisch denken und agieren.

Wer jetzt glaubt, dass ich zu einer großen Ärzteschelte ansetze, der irrt. Was würde das bringen? Ärzte sind auch nur Menschen. Sie haben Stärken und Schwächen. Deshalb sollten wir nicht zu viel von ihnen verlangen. Und doch tun wir es. Kann es eventuell sein, dass wir in jedem Mediziner einen Albert Schweitzer sehen, jenen berühmten Arzt, der in seinem afrikanischen Spital Lambaréné so viel Gutes bewirkte? Hey, aufwachen! Es soll auch Ärzte geben, die ihren Beruf nicht als Mission für die Menschheit sehen oder reihenweise Schwerstkranke heilen, sondern schlichtweg Geld damit verdienen wollen. Wer will es ihnen verdenken?

Das Problem sehe ich an anderer Stelle, denn wie so oft stinkt der Fisch vom Kopf her. Meiner Meinung nach versagt jedes System, das auf das Modell "Guter Mensch" setzt. Der Geist ist – wie wir alle wissen – stets willig, doch das Fleisch ist nach wie vor schwach. Ein anderer Aspekt: Unsere Gesellschaft zahlt den Preis für die monetäre Bewertung des Menschen. Er ist zum "Humankapital", zum Kostenfaktor oder zur Cash Cow geworden. Entscheidend ist nur noch, was er kostet, was er einbringt oder was es kostet, ihn loszuwerden. So lange dieses Denken gesellschaftlicher Konsens bleibt und die Gier (im Buddhismus wird die Gier übrigens als "Seelengift" bezeichnet, was ich sehr treffend finde) die Sinne benebelt, werden wir auch mit der "überbordenden Medizin" und ähnlichen Exzessen in anderen Lebensbereichen leben müssen. 

Wer jetzt Angst vor Übertherapierung hat: Es ist nicht verkehrt, wenn sich der Patient auf das Gespräch mit dem Arzt/der Ärztin vorbereitet und sich traut, Fragen zu stellen. Es geht schließlich um die eigene Gesundheit. Schon Kinder singen: "Wieso – weshalb – warum? Wer nicht fragt bleibt dumm!" Also, bitte! Fragen Sie, von mir aus stellen Sie Ihre Frage auch singend. Doch tun Sie es. Die meisten Mediziner sind meiner Erfahrung zufolge ziemlich mundfaul. Zeigen Sie deshalb Inititiative. Die Gesundheit ist ein kostbares Gut – und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Deshalb sollte auch nichts dem Zufall überlassen werden.

2 Meinungen

  1. das ist ja auch ein echter witz zu glauben, daß DER CHEF grundsätzlich die meiste ahnung hat. wer gut versorgt sein will, fährt am besten mit assistenzärztInnen, die das täglich machen. DER CHEF ist ein vor sich hin gärender appendix in einem verknöcherten hierarchischen system, was schon längst abgeschafft – oder in den arztroman -gehört.

  2. Schlimm an solch einer Erkrankung ist, wenn sie aus dem Nichts auftritt und die Person schwere Nachfolgen ertragen muss. Auf einmal sind völlig gesunde Menschen vom Schlaganfall für ihr restliches Leben gebrandmarkt. Gibt es den Faktoren, die das Schlaganfallrisiko erhöhen ?

Schreiben Sie Ihre Meinung

Ihre Email-Adresse wird Mehrere Felder wurden markiert *

*