Eigentlich waren die Fronten ja klar: auf der einen Seite der Paternalismus, also die Meinung, ein Staat müsse für den Einzelnen sorgen, weil der ja selber nicht so recht wisse, was gut für ihn ist. Ein gerade im Europa der EU vertrauter Ansatz.
Auf der anderen Seite der liberale Ansatz: die Leute sollen selber entscheiden, was sie wollen. Wahlfreiheit bleibt gewahrt und wenn überhaupt, darf man die Leute nur durch umfassende Information beeinflussen, um ihre Entscheidungsbasis zu verbessern. Der Rest wird sich schon richten.
Nur hat die Sache einen Haken: So genial ist die durchschnittliche Fähigkeit zu entscheiden nicht ausgeprägt. Und sie hängt vom Rahmen und den Startwerten ab. Sollen wir z.B. bei einer Versicherung entscheiden, wie viel Geld uns eine zukünftige Sicherheit wert ist, hängt die Antwort von dem ersten Wert ab, der uns gesagt wird. Ist der niedriger, ist auch unsere Wahl niedriger. D.h. wir können nicht die Präferenzen einer Person herausfinden, indem wir sie fragen. Unsere Frage beeinflusst die Wahl.
Und so agieren große Organisationen und damit auch der Staat paternalistisch, auch wenn sie das gar nicht beabsichtigen. Wird z.B. in Unternehmen ein hoher Beitrag zur Altersversorgung beim Vertrag als Standardwert eingegeben, den man aber jederzeit reduzieren kann, dann ist die durchschnittliche Altersversorgung höher, als wenn man einen niedrigen Wert angibt und die Leute später einen höheren Wert wählen können. Klar, weil der normale Angestellte zum Wechseln eine Anstrengung unternehmen müsste und so bei dem bleibt, was er schon hat.
Wieso sollte die Organisation also nicht das als Default wählen, was ihrer Ansicht nach dem Betroffenen und der Allgemeinheit besser dient? Das nennen Forscher der Universität Chicago Libertarian Paternalism. Die Organisation legt den Rahmen so, dass es wahrscheinlich ist, dass die „bessere" Wahl getroffen wird, das Individuum kann aber jederzeit ohne Einschränkungen etwas anderes wählen.
Dieser Ansatz könnte das zukünftige Design vieler gesellschaftlichen Prozesse verändern. Weiß man aus der Entscheidungsforschung, dass in einer Cafeteria immer die Sachen bevorzugt gewählt werden, die in einer Reihe weit vorne angeboten werden, könnte man die Nahrungsmittel nach Gesundheitswirksamkeit sortieren.
Oder bei Organspenden: In Ländern, wo das Spenden von Organen nach tödlichen Unfällen vorgegebener Standard ist, der aber durch einen Eintrag in den Führerschein wieder ausgeschlossen werden kann, ist die Akzeptanz enorm hoch und freiwilliges Organspenden die Norm. In Ländern wie in Deutschland muss man sich umgekehrt dazu entschließen und dementsprechend niedrig ist die Rate.
Also wie wär's: statt europäischer Kontrollwut lieber gute Standards mit Wahlfreiheit?
Paper der Universität Chicago