Nicht verpassen: Sartres Die schmutzigen Hände im Thalia Theater


Die Story
spielt im fiktiven Balkanstaat Illyrien. Der junge
Hugo (Hans Löw, genial!) tritt der kommunistischen Partei bei, um den Duft seines
bürgerlichen Zuhauses loszuwerden und für „wahre“ Werte zu kämpfen. Um sich zu
beweisen will er raus aus der Schreibstube und mit einer mutigen Tat zur Not
sogar sein Leben riskieren. Die misstrauischen Genossen erteilen ihm
schließlich den Auftrag den Parteifunktionär Hoederer (Jörg Pose), der für die
Überzeugung steht, dass mit Glacéhandschuhen und Ehrlichkeit in der Politik
nichts zu erreichen ist, zu töten. So zieht er als Privatsekretär getarnt,
begleitet von seiner faszinierenden Frau Jessica (Judith Hofmann), in dessen
Haus. Je besser Hugo aber sein potenzielles Opfer kennen lernt, desto mehr ist
er von ihm beeindruckt und verschiebt den geplanten Mord von Tag zu Tag. Der
tödliche Schuss fällt letztlich, als Jessica und Hoederer inflagranti von Hugo erwischt
werden. Ein Eifersuchtsdrama oder doch eine politische Tat? Um genau das zu
klären, klopft Hugo, zwei Jahre später frisch aus der Haft entlassen, bei Parteigenossin Olga an
die Tür. Von ihr erfährt er, dass Hoederer posthum rehabilitiert wurde, dessen
alten Ziele und Strategien plötzlich als Nonplusultra in der Partei angesehen
werden. Hugos vermeintliche Heldentat mutiert zur Peinlichkeit.
 

Und, wie war es?
Das Thalia-Theater verkauft seine Karten nicht nur an die
versierte Intellektuellen-Elite, sondern auch an kulturinteressierte Normalos
wie mich. Und auch wenn ich nicht lückenlos alle Stücke des Regisseurs Andreas Kriegenburg oder zwölf
verschiedene Inszenierungen der „schmutzigen Hände“ sah, konnte ich die Frage,
ob es mir gefallen hat, hinterher stotterfrei beantworten. JA!

Wo fange ich an?
Karge Holzbühne in Schräglage (offenbar en vogue bei modernen Regisseuren) mit
einem gewaltigen höhenverstellbaren Multifunktionslüster aus langen
Glasperlenketten und Lichtschläuchen in der Mitte. Bei einem professionellen Theaterkritiker  lese ich: die Stilmittel seien hinlänglich
bekannt und kann nur sagen: mir nicht. Mir macht es Spaß, wenn vier
Stiefelpaare per Hand auf Holz gedonnert werden und in meinem Kopf das Bild von
marschierenden Truppen entsteht. Oder: Der Erzähler spricht am Bühnenrand
schnell die bildreiche Beschreibung eines Zimmers, es stehen aber nur zwei
Stühle auf der Bühne. Wieder muss der Kopf ran. Dann sagt der Erzähler, Olga
berührt Hugo am Arm. Die echte Olga aus Fleisch und Blut steht aber zehn Meter
von Hugo entfernt. Der Erzähler sagt „Olga steht auf und …“, tatsächlich bleibt
sie wie festgeklebt auf ihrem Stuhl sitzen. Zwischendurch wird gesungen. Nicht
immer schön, aber darum geht es auch nicht. Es braucht nur die ins Mikrofon
geröchelte erste Strophe von Gloria Gaynors „I Will Survive“, um Hugos
Gefühlslage zu verstehen. Common sense nennt man das wohl. Zwischendurch gibt
es Comedy-Einlagen von den clownesken Leibwächtern Hoederers, aber – VORSICHT
-, nicht entspannen, nicht albern mitlachen, es hat (fast) alles einen tieferen
Sinn. (Die Sache mit dem Bananenessen auch?). Und nach dem zu Forsten macht mir
ein diebisches Vergnügen – wie damals in den stundenlangen Laberrunden des
Deutsch-Leistungskurses. Darüber mögen manche erstaunt oder abgestoßen den Kopf
schütteln. (An dieser Stelle ein Gruß an alle Mathe-LKler). Tatsächlich geht es
doch bei so einem Abend im Thalia-Theater kaum darum nett unterhalten zu werden
oder eine Geschichte erzählt zu bekommen. Das Vergnügen (meins) besteht darin
sich in einen Zustand geistiger Offenheit zu beamen, mit allen Sinnen
wahrzunehmen und nach Kräften (anstrengend!) zu interpretieren, in den
Zusammenhang zu bringen usw.  Das ginge
übrigens noch besser, wenn die Stühle in der Loge bequemer wären. Nach drei
Stunden Spielzeit fühlte sich jedenfalls nicht nur meine Seele irgendwie gebeutelt
an. Die Darsteller mussten unglaubliche Mengen Text lernen (Chapeau!), das
Publikum viel Text hören (Räuspern ging erst in der Pause). Virtuos gespielt
haben alle Akteure. Besonders anrührend natürlich der schöne Hans Löw. Unglaublich
verspielt, liebenswert und super präzise in Ton und Gestik: Judith Hofmann.

Weitere Termine: 26.5., 11.6.,25.6. Karten gibt es hier.

Eine Meinung

  1. Grandios. Kann der Rezensentin nur beipflichten. Ich habe gestern die letzte Vorstellung gesehen. Das Haus war fast ausverkauft. Gelacht habe nicht nur ich! (Lachen darf man auch, wenn es Dinge gibt, die einen noch tieferen Sinn haben …) Der Dialog und die Zigarette danach:R: Wo war da denn nun der Existenzialismus von Satre im Sinne von Verantwortung übernehmen für all sein Handeln?D: Na, vielleicht so – inwieweit steht man bei dem Eintreten für eine Idee trotzdem noch in der Pflicht, das, was man tut, in Bezug auf sich selbst zu reflektieren. Oder: inwieweit entlastet dich die Idee von der eigenen Verantwortung. Und: wie stark sind Ideen an das Charisma ihrer Vertreter gebunden? Und auch: welche Störfaktoren (Frauen) können Ansichten verschieben? Außerdem: wieviel Handeln ist zufälliges Handeln (Das Ding mit dem Revolverabzug … ganz bekannt.)R: Hmm.D: Ich glaube, dass jedes gute Buch, das man liest und jede gute Aufführung, die man sieht, den Horizont (Phrase, ich weiß …) des Einzelnen erweitern.R: Und was ist der Nutzen davon?D: Um so mehr Wörter man hat, um die Welt zu beschreiben, um so deutlicher kann man zu dem, was passiert, eine Haltung einnehmen.

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