Leider bekommen es die wenigsten Eltern hin, sich so zu trennen, dass der Schaden für den Nachwuchs einigermaßen gering bleibt. Rachegefühle, verletzter Stolz und der Streit ums Finanzielle machen die guten Vorsätze allzu oft zunichte. Die Opfer sind die Kinder.
Zum Thema Scheidung gibt es zwar inzwischen immer wieder mal ein Kinderbuch, allerdings richten sehr viele sich an die Älteren. Wirklich gute Bilderbücher, wie zum Beispiel „Wir bleiben eure Eltern" von Julia Volmert und Susanne Szesny, gibt es nur selten. Allerdings scheint man sich ganz allgemein mit dem Thema schwer zu tun. Und das merkt man auch bei „Morgen ist er weg" von Do van Ranst.
Lenas Papa wird ausziehen. Morgen ist er weg, sagt Mama. Lena wundert sich, denn diese Worte lösen nicht das in ihr aus, was sie erwartet. An diesem letzten Tag lernen Lena und ihr Bruder ihren Vater eigentlich erst richtig kennen und so gesehen ist die neue Situation letztendlich für die beiden fast schon ein Vorteil.
Hmmm. Ist ja an sich ein schöner Gedanke. Das mit dem positiv in die Zukunft sehen und die Vorteile einer Trennung betrachten. Aber der Ansatz, den der Autor gewählt hat, ist etwas seltsam. Die meisten Kinder haben deutlich mehr Kontakt zu ihrem Vater und leiden fürchterlich unter dem Gedanken, dass er sie verlassen wird. Viele machen sich selbst dafür verantwortlich, reagieren mit Wut und Verzweiflung. Sicher ist es so, dass manch ein Elternteil, das die Familie verlässt (muss ja nicht immer der Vater sein), erst dann so richtig hinsieht und merkt, was er verlieren wird. Doch ist das wohl nicht die hier angepeilte Zielgruppe und diese Tatsache kommt mir persönlich nicht deutlich genug raus. Man kann das Buch gut als Gesprächsgrundlage verwenden, es einem Kind allein in die Hand zu drücken und sich nicht darüber auszutauschen, könnte sich aber sehr ungünstig auswirken. Aber immerhin ist es überhaupt mal wieder ein Kinderbuch, das sich an das heikle Thema Trennung herantraut.
Do van Ranst: „Morgen ist er weg", erschienen im Juni 2008 bei Coppenrath, das gebundene Buch kostet rund zehn Euro.
Sehr zu empfehlen ist auch „Scheidungskindern helfen“ aus dem Juventa Verlag.
Sehr zu empfehlen ist auch „Scheidungskindern helfen“ aus dem Juventa Verlag.
Wohlfeile Lebenshilfe für minderjährige Scheidungsopfer (Do van Ranst, Morgen ist er weg)
In den fünf Besprechungen, die Mitte März 2009 im Internet zu diesem Buch zu finden sind, äußern sich vier sehr positiv: daß es eine „einfühlsame, leise Geschichte “ (Amazon) sei, „verspielt und tiefsinnig zugleich“ (FAZ.net), „leise und ganz auf Augenhöhe (der) Leserschaft“ (Kinderbuch-Couch), begleitet von „klaren, zarten Illustrationen, sehr einfühlsam“ (Kinderbuch-Couch) respektive „kleinen, poetischen Aquarellen“ (titel-magazin).
Wie paßt dieser ästhetisierende Umgang mit dem Thema Scheidung zu dem Leiden von über einer Million Kindern, deren Zahl Jahr für Jahr um weitere 90.000 wächst (noch nicht mitgezählt die Kinder, deren Eltern unverheiratet zusammengelebt hatten) und die in der Mehrzahl schwer an der Trennung ihrer Eltern und den dann folgenden Auseinandersetzungen zu tragen haben? – Das paßt nur deshalb, weil der Autor sich eine Geschichte ausgedacht hat von einem Vater, der aus beruflichen Gründen (er ist Naturfotograf, Spezialgebiet Vögel) still und am Ende praktisch inexistent geworden ist. Da fällt es Lena (11) natürlich schwer, traurig zu sein, daß „er morgen weg ist“. Und als der Vater an seinem letzten (!) Tag plötzlich doch noch mit ihr und ihrem siebenjährigen Bruder (zum ersten Mal?) spielt – wie schön für Lena [bitte kursiv] und [Ende] Leser, daß seinem Auszug auch noch ein positiver Aspekt abgewonnen werden kann, nämlich „Raum für Hoffnung“ (Kinderbuch-Couch).
Wie kommt es, daß die vier Rezensenten (kritisch hingegen: Eltern Blog) von einer so wenig realistischen Geshichte derart begeistert sind? – Man kann geradezu ihre Erleichterung spüren, daß die Geschichte „keine(m) schuld gibt“ (titel-magazin), denn man weiß ja: der Verlust eines Elternteil ist „kein Schicksalsschlag, es ist nichts anderes als traurige Normalität“ (FAZ.net). Diese Einstellung hilft natürlich sehr, Fragen nach der gemeinsamen Verantwortung der Eltern für ihre Kinder zu vermeiden. Sie läßt sogar übersehen, wie brutal diese Geschichte mit dem ‚Kindeswohl‘, das bekanntlich ‚im Mittelpuntkt steht‘, tatsächlich umgeht: Die Eltern holen sich keine Hilfe von außen; sie entscheiden über die Köpfe ihrer Kinder hinweg über das Ende ihrer gemeinsamen Familie und verkünden ihre Entscheideung beim Frühstück; Lenas Widerspruch (Seite 52: „Dann bleib doch einfach hier.“) ist selbstverständlich zwecklos.
Fazit:Dieses Buch ist auf keinen Fall für Kinder empfehlenswert, da die hier erzählte Geschichte ihren Schmerz nicht ernst nimmt. Ob es „ein tolles Trennungsbuch – für Erwachsene“ (Amazon) ist, mögen diese selbst entscheiden.
Michael Roeder
Wohlfeile Lebenshilfe für minderjährige Scheidungsopfer (Do van Ranst, Morgen ist er weg)
In den fünf Besprechungen, die Mitte März 2009 im Internet zu diesem Buch zu finden sind, äußern sich vier sehr positiv: daß es eine „einfühlsame, leise Geschichte “ (Amazon) sei, „verspielt und tiefsinnig zugleich“ (FAZ.net), „leise und ganz auf Augenhöhe (der) Leserschaft“ (Kinderbuch-Couch), begleitet von „klaren, zarten Illustrationen, sehr einfühlsam“ (Kinderbuch-Couch) respektive „kleinen, poetischen Aquarellen“ (titel-magazin).
Wie paßt dieser ästhetisierende Umgang mit dem Thema Scheidung zu dem Leiden von über einer Million Kindern, deren Zahl Jahr für Jahr um weitere 90.000 wächst (noch nicht mitgezählt die Kinder, deren Eltern unverheiratet zusammengelebt hatten) und die in der Mehrzahl schwer an der Trennung ihrer Eltern und den dann folgenden Auseinandersetzungen zu tragen haben? – Das paßt nur deshalb, weil der Autor sich eine Geschichte ausgedacht hat von einem Vater, der aus beruflichen Gründen (er ist Naturfotograf, Spezialgebiet Vögel) still und am Ende praktisch inexistent geworden ist. Da fällt es Lena (11) natürlich schwer, traurig zu sein, daß „er morgen weg ist“. Und als der Vater an seinem letzten (!) Tag plötzlich doch noch mit ihr und ihrem siebenjährigen Bruder (zum ersten Mal?) spielt – wie schön für Lena [bitte kursiv] und [Ende] Leser, daß seinem Auszug auch noch ein positiver Aspekt abgewonnen werden kann, nämlich „Raum für Hoffnung“ (Kinderbuch-Couch).
Wie kommt es, daß die vier Rezensenten (kritisch hingegen: Eltern Blog) von einer so wenig realistischen Geshichte derart begeistert sind? – Man kann geradezu ihre Erleichterung spüren, daß die Geschichte „keine(m) schuld gibt“ (titel-magazin), denn man weiß ja: der Verlust eines Elternteil ist „kein Schicksalsschlag, es ist nichts anderes als traurige Normalität“ (FAZ.net). Diese Einstellung hilft natürlich sehr, Fragen nach der gemeinsamen Verantwortung der Eltern für ihre Kinder zu vermeiden. Sie läßt sogar übersehen, wie brutal diese Geschichte mit dem ‚Kindeswohl‘, das bekanntlich ‚im Mittelpuntkt steht‘, tatsächlich umgeht: Die Eltern holen sich keine Hilfe von außen; sie entscheiden über die Köpfe ihrer Kinder hinweg über das Ende ihrer gemeinsamen Familie und verkünden ihre Entscheideung beim Frühstück; Lenas Widerspruch (Seite 52: „Dann bleib doch einfach hier.“) ist selbstverständlich zwecklos.
Fazit:Dieses Buch ist auf keinen Fall für Kinder empfehlenswert, da die hier erzählte Geschichte ihren Schmerz nicht ernst nimmt. Ob es „ein tolles Trennungsbuch – für Erwachsene“ (Amazon) ist, mögen diese selbst entscheiden.
Michael Roeder