Von der Revolution der Karten schrieb schon Stefan Kaiser in GDI-Impuls, als Digiscapes bezeichnete er das Phänomen. Das blanke Herumsurfen auf Google Earth war ja schon spannend genug. So konnte ich meinem koreanischen Freund sagen, dass mir der Strand bei ihm nebendran in Buzan gut gefällt und es bestimmt in seinem Viertel so wie es von oben aussieht gute Fischrestaurants gibt. Ich tummelte mich virtuell in norwegischen Seen, an denen ich vor fast dreißig Jahren war oder beim Tio Pepe in Granada, dem früheren Stammlokal meines koreanischen Freundes.
Es folgte die Bedeutungsaufladung der Karten, die Mehrdimensionalität. Aufgrund des hackerfreundlichen Aufbaus der Google Maps sprossen unendliche Parallelwelten aus dem Boden, die bis ins Genauste über regionale Dinge informierten, egal ob über Restaurants, Einkommensinformationen, Kulturszene oder wer von irgendeiner Community wo wohnt. Statt schnöder echter „natürlicher“ Erd-Oberfläche wird die Tiefe visualisiert, die unsere Gedanken und unsere Kultur der Welt hinzufügen. Und die digitale erweiterte Karte wird plötzlich echter als die Welt die sie zeigt.
Second Life und alle ihr vorausgehenden Avatarwelten gehen umgekehrt vor: Sie erfinden die Welt gleich direkt und erbauen die alternative Geographie. Im großen und ganzen ähnelt sie allerdings unserer normalen Welt, es gibt bisher auch keine radikal andere Lebensformen (von einigen fröhlich herummarschierenden Bots abgesehen, soweit sind wir in der Realität noch nicht). Man bewegt sich fliegend fort, ist aber sonst ganz normal. Die Geographie ist aber nicht desto trotz interessant: schließlich sitzt man mit Leuten auf einer Terrasse und genießt die Aussicht, die gerade Tausende von Kilometern auseinander sind. Lauter Wormholes durch die Raumzeit sozusagen, die unsere realen Geographien verzerren und neu zusammenkleben.
Aber was passiert jetzt eigentlich auf Dauer mit unserer Wahrnehmung, wenn man diese beiden Welten zusammenklinkt? Sie turnen z.B. gerade auf einer Google-Map herum, die digital aufgeladene Versionen der Mongolei zeigt und sind plötzlich nahtlos in Neo-Andalusien, was ein künstlicher Ort in einer Avatarwelt ist. Was ist dann real, die Karte oder das Territorium?