Ein lebenslanges Kind war Karl Philipp Moritz, ewig zum Staunen und Wundern geneigt, in der Jugend bis zum Erbrechen mit kaltherzigster Religion traktiert. Dazu mit einem Elefantengedächtnis und ewig wechselnden Interessen ausgestattet, Begründer der Psychologie, Verfasser der ersten Autobiographie, die auf seelische Aspekte abstellt, Ästhetiker, Volkspädagoge, Reiseschriftsteller, Goethefreund (wer konnte das damals schon von sich schon sagen?) und auch Sprachkundler – vor allem in drei Werken: "Versuch einer deutschen Prosodie", "Grundlinien zu meinen Vorlesungen über Stil" und "Vorlesungen über den Stil". Alle genannten Texte finden sich dankenswerterweise in Horst Günthers dreibändiger Moritz-Ausgabe (Insel-Verlag 2/1993), der bisher besten "Leseausgabe" des Autors.
Ich schätze vor allem das Material zu unterbelichteten Aspekten der Sprache, die bei Sick, Schneider & Co. nicht nur zu kurz kommen, sondern gar nicht vorkommen, wahrscheinlich weil sie dort gar nicht im Fundus existieren. Bei Moritz aber finden sich die wertvollsten Hinweise: zum Beispiel zu THemen wie Sprachmelodie, Periodik, Duktus. Aber auch Merksätze von ergreifender Wahrheit, die uns klar machen, weshalb jemand trotz höchster grammatikalischer Weltweisheit niemals einen geraden Satz auf die Beine stellen wird: So sei «jede Übung im Stil mit der Übung im Denken unzertrennlich verknüpft» und schade ohne diese mehr als sie nützt. Anders ausgedrückt: Inhaltsleer ist schöner Stil keiner.
Wer also den leichten Modergeruch der Historie nicht scheut, der soll ruhig zu Moritz greifen. Er wird einen frühgeborenen Zeitgenossen entdecken. Und blöder wird man auch nicht. Das ist mehr, als man von SAT 1, RTL II und auch manchen Blogs sagen kann …
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«Kaltherzigste Relion» – das hast du geschrieben? Du, der Rächer des Superlativs? Wirklich du?;-)Ich werde mir Herrn Moritz trotzdem besorgen. Auf deine Buchempfehlungen ist ja Verlass.
Wenn die Steckenpferde der Hafer sticht, geht’s auch mit mir manchmal seitab ins kitschnasse Gelände …;-)