Zur Lektüre empfehlen möchte ich die Pro und Kontra Diskussion in der heutigen „taz" und auch den Beitrag von Tilmann Kraue in der Welt von heute (siehe bitte Teil 2).
Hat Günter Grass uns betrogen?
ja
Dass Günter Grass vor mehr als 60 Jahren für einige Monate Mitglied der Waffen-SS war – geschenkt. Im Alter von 17 Jahren sind auch ganz andere Mitglied dieser verbrecherischen Organisation gewesen. Aber dass es dem Nobelpreisträger erst nach mehr als 60 Jahren eingefallen ist, das auch einzugestehen – das ist eine Unverschämtheit. Denn Grass stellt als Schriftsteller eine moralische Instanz für die Deutschen dar. Oder sollte man besser sagen: stellte? Es war Grass, der immer wieder eine Bewältigung der Vergangenheit eingeklagt hat, die über allgemeine Volkstrauermienen hinauszugehen hat. Es war Grass, der im Ausland den Deutschen verkörperte, der eindeutig mit personellen und ideologischen Kontinuitäten zwischen Hitlers Reich und der Bundesrepublik abgerechnet hat. Und es ist Grass, der als Schriftsteller wie kein anderer für eine Thematisierung der NS-Vergangenheit steht. Grass hat Maßstäbe gesetzt.
Wieso fällt es dem Mann dann erst heute ein, sich öffentlich zu erinnern, wenn es um seine persönliche Waffen-SS-Mitgliedschaft geht? Dass Grass sich seiner Vergangenheit geschämt hat, kann man ihm abnehmen. Aber soll das etwa die Jahrzehnte währende Sprachlosigkeit dieses so Sprachgewaltigen legitimieren? Grass hat seine eigenen Maßstäbe verletzt. Denn er war nicht ehrlich, wo er doch gerade Ehrlichkeit im Umgang mit der NS-Vergangenheit verlangt hat. Er hat schlicht gelogen. Und diese Tatsache bleibt – auch wenn rechtskonservative Krücken jetzt glauben, mit dem unbequemen Mann abrechnen zu können.
Doch die Angelegenheit hat noch eine weitere Dimension, und die macht die Sache umso schlimmer. Der geneigte Grass-Leser wird den Verdacht nicht los, dass die groß publizierte Tatsache seiner Waffen-SS-Mitgliedschaft auflagefördernd wenige Wochen vor Erscheinen seiner Autobiografie publiziert worden ist. Das wäre dann allerdings der Gipfel der Unverschämtheit – die Waffen-SS als Werbemaßnahme. So viel schäbige Eitelkeit mag man Grass nicht zutrauen. Doch der Verdacht bleibt. Günter Grass muss keinen seiner vielen Preise zurückgeben. Er muss auch seine Bücher nicht umschreiben. Aber wenn er künftig redet, werden wir skeptischer hinhören. Und ihm nicht mehr glauben. KLAUS HILLENBRAND
nein
Ach, Günter, warum hast du nur so lang geschwiegen? Diese ganze Litanei vom Betrug, ja Verrat von Grass an allen, die in ihm ein politisches und moralisches Vorbild gesehen haben, ist unglaubwürdig. Dass Grass als 17-Jähriger ein Nazi war, kriegsbegeistert, vom Sieg der "deutschen Waffen" überzeugt, das hat er längst gesagt und geschrieben. Seine jetzt eingestandene Mitgliedschaft in der Waffen-SS, bei der nicht klar ist, ob sie freiwillig erfolgte, würde das uns bekannte Bild von Grass als Jungnazi nur verändern, wenn er an Verbrechen seiner Einheit beteiligt gewesen wäre. Dafür spricht nichts.
Warum hat Grass nicht bei einer der zahlreichen sich bietenden Gelegenheiten die Wahrheit enthüllt? Antwort: Er hatte Angst, dass die Mitgliedschaft auch eines Halbwüchsigen in einer verbrecherischen Organisation ihn diskreditieren würde – vor allem innerhalb der Linken. Diese Einschätzung war sicher nicht ganz unberechtigt, allzu lange fühlte sich die Linke als die moralisch überlegene Seite. Aber nie war es so, dass innerhalb der Linken Unterscheidungsvermögen und Sensibilität für die jeweilige historische Situation gänzlich unbekannt gewesen wären. Grass hat die ganze Zeit seine Freunde unterschätzt.
Hinzu kommt: Entgegen der jetzt verbreiteten Vorstellung über Grass' Rolle als Präzeptor im Nachkriegsdeutschland galt er als herausragender Schriftsteller – während seine politischen Interventionen gerade innerhalb der Linken häufig umstritten waren. Nicht wenige unterschieden zwischen Grass als scharfsichtigem, fantasiebegabtem Autor und seinen eher konventionellen, meist am Rande der Sozialdemokratie angesiedelten politischen Interventionen.
Bezeichnenderweise kommt die Rede von Grass' "Betrug" auch zumeist nicht von Linken, sondern sie ist ein Schlagstock, mit dessen Hilfe Rechtskonservative wie Joachim Fest einen Prominenten aus dem gegnerischen Lager der moralischen Zweideutigkeit überführen wollen. Die Angriffslinie lautet: Jemand, der lange "die moralische Keule" geschwungen hat, der für sich und die Seinen in Anspruch genommen hat, das bessere Deutschland zu repräsentieren, ist jetzt der Heuchelei überführt. Dieses Manöver sollten wir nicht mitmachen. CHRISTIAN SEMLER
taz Nr. 8048 vom 15.8.2006, Seite 5, 55 Kommentar KLAUS HILLENBRAND / CHRISTIAN SEMLER
Mein Onkel Albrecht Leonhardt war auch bei der SS und wohnt lustigerweise auch in Lübeck. Konnte aber Karriere in Dänemark machen. hihi,
Ich verstehen Ihren Kommentar nicht. Warum „lustigerweise“ und warum „hihi“?Dies fragt Sie die Passantin
Und warum »auch in Lübeck«? Grass wohnt nicht in Lübeck.