Hab Dank Frank!

Er hat es geschafft! Keine 40-Stunden-Woche im Öffentlichen Dienst und dazu noch eine Gehaltsteigerung von fast 3 Prozent. Ein Wahnsinnsergebnis für mehr als drei Monate Streik.
 
Nein, Frank Bsirske hat sich verkalkuliert. Gewerkschaften haben einfach nicht mehr die Macht, die sie noch in den 70er Jahren hatten. Seinerzeit forderten die Gewerkschaften, heute wehren sie sich nur noch gegen Forderungen. Die Waagschalen Kapital und Arbeit haben sich eindeutig zu Gunsten ersterer geneigt – auch in den öffentlichen Haushalten. Gehaltserhöhungen von 15 Prozent waren gestern, heute halten sie kaum noch mit der Inflation Schritt. Forderungen von 30-Stunden sorgen mittlerweile sogar unter Gewerkschaftsvertretern für Lacher.
 
Noch konnten sie den 40-Stunden-Deich halten, aber die Wassermassen werden noch lange gewaltigen Druck ausüben. Da ist es mehr als problematisch, dass Helfer fehlen, die den Damm verstärken, oder ihn zumindest stabilisieren. 12 Millionen Mitglieder zählten die Gewerkschaften einst, heute sind es noch sieben Millionen – Tendenz fallend.
 
Dass ihnen die Ziele ausgegangen sind, merkt man auch an den Streikkassen. Stolz verkündete Bsirske, dass die Kassen gut gefüllt sind und man sich einen langen Streik leisten kann. Nun sind die Kassen wieder leer und ein Arbeitgeberfreundlicher Kompromiss gefunden. Bsirske wird die Einigung trotzdem als Sieg verkaufen – er muss. Er wird sich feiern lassen, dass er das Symbol 40-Stunden verteidigt hat, und sich neue Symbole suchen, für die es sich zu kämpfen lohnt. Neue Mitglieder werden die Gewerkschaften durch diese Einigung nicht gewinnen. Aber vielleicht schon bald einen Vorsitzenden verlieren, wenn dieser auch seine Schlacht um Mindestlöhne verliert.

19 Meinungen

  1. „Die Waagschalen Kapital und Arbeit haben sich eindeutig zu Gunsten ersterer geneigt – auch in den öffentlichen Haushalten.“Mal abgesehen von akuter Langeweile beim Lesen des abgedroschenen Klassenkampfbegriffspaares „Kapital vs. Arbeit“ – wer wären denn die Kapitalisten im öffentlichen Haushalt? Die Bürger, die alles das bezahlen müssen, was Bsirske und seine Folkloretruppe herausschlagen? Bin ich also Kapitalist, weil ich per Abfallgebühr diejenigen bezahle, die lieber mit roten Fähnchen wedeln als den Müll vor meiner Tür wegzufahren?

  2. Ich wollte mich keiner Klassenkampfrhetorik bedienen, sondern auf die Verlagerung des Werts verweisen. In den 70ern war Arbeit einfach mehr wert, weil Arbeitskräfte knapp waren. Heute ist es umgekehrt, ein Überfluss an Arbeitskräften steht einem Mangel an Kapital gegenüber. In den öffentlichen Haushalten sichtbar an der Verschuldung. Damit mache ich auch niemanden zum Kapitalisten, sondern zeichne eine Entwicklungslinie nach, die offensichtlich auch in den Köpfen der Gewerkschaftsvertreter endlich angekommen zu sein scheint.

  3. Mea culpa. Ich habe dich schlicht falsch verstanden und war – wohl weil ich dich mit einem deiner Mitschreiber verwechselte – von einer falschen Lesart ausgegangen.Mal abgesehen davon: Ist denn wirklich das Kapital knapp? Oder nur die Arbeit zu teuer?

  4. Arbeit zu teuer, setzt ja einen Vergleich voraus. In Westeuropa entsprichen die Kosten der Arbeit wohl dem Durchschnitt. Blickt man gen Osten, kann man wohl nur zu dem Schluss kommen, dass sie zu teuer ist. Und da Kapital ja nun mal mobil ist, wird das Kapital bei uns knapp und wandert in Länder in denen Arbeit günstiger ist. Daher denke ich, dass das eine mit dem andeen zusammenhängt, und die Gewerkschaften gerade aus diesem Grund, auf moderate Tarifabschlüsse wert legen sollten. Ansonsten werden sie zum Interessenverband von Arbeitslosen.

  5. Ich habe den Verdi-Streik auch immer als ein „letztes“ Aufbäumen gegen eine zunehmende Vorherrschaft ökonomischer Rationalität im öffentlichen Dienst verstanden. Wenn die Gewerkschaften „alles“ mit sich machen ließen und immer dem Verdikt der rein ökonomisch denkenden Arbeitgeberseite folgten, dann erlitten sie einen ganz enormen Verlust an Legitimität vor ihrer eigenen Klientel. Und nicht nur vor der. Irgendwann mussten die Gewerkschaften mal wieder Zähne zeigen. Ob jetzt der von Verdi geführt Steik im einzelnen glücklich ablief, steht auf einem anderen Blatt. Er hat doch bei weiten Teilen der Bevölkerung Verwunderung ausgelöst. Meiner Meinung nach war er aber richtig. Wir erleben seit Jahren schon, dass die Streikbereitschaft der Gewerkschaften und ihrer Anhänger zurückgeht. Warum? Natürlich wegen der permanenten Angst um Arbeitsplätze. Die Arbeitgeberseite sitzt nun mal häufig am längeren Hebel, kann mit Arbeitsplatzabbau drohen und gar Werksschließungen. Ich würde mir mutigere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wünschen, die sich kämpferisch zeigen und nicht so schnell kuschen. Ich denke übrigens nicht, dass der Gegensatz von Arbeit und Kapital obsolet ist. Mit Klassenkampf hat er primär auch nichts zu tun. Das „antagonistische“ Begriffspaar macht deutlich, dass es nicht nur unternehmerische Kapitalinteressen gibt, die den Lauf der Dinge in unserer Gesellschaft bestimmen. Es sollte ihnen ruhig öfter mal widersprochen werden – von Arbeitnehmerseite.

  6. Meines Erachtens haben die Gewerkschaften bereits einen Legitimitätsverlust erlitten. Zum einen entbehrten ihre Forderungen lange Zeit der Realität und zum anderen beschäftigten sie sich zu sehr mit sich selbst. Anstatt ihren Mitglieder reinen Wein einzuschenken, lebten sie in der „guten alten Zeit“. Dass heute nicht mal mehr ein dreimonatiger Streik so richtig für Aufmerksamkeit sorgt, ist doch ein Indiz für diesen Legitimationsverlust, zu dem auch der Mitgliederschwund beiträgt. Gewerkschaften sind zu reinen Symbolen verkommen und allein für Symbole kämpfen sie noch. Heute ist es die 40-Stunden-Woche und morgen werden es die Mindestlöhne. Die Chance der Stunde sich gegenüber einer großen Koalition als das soziale Gewissen zu positionieren, haben sie verspielt. Und damit war dieser Tarifabschluss auch der Anfang vom Ende.

  7. Der „Anfang vom Ende“? Vom Ende der Gewerkschaftsbewegung, der Gewerkschaften als demokratischer Organisationsform, die berechtigte Arbeitnehmerinteressen bündelt und zum Ausdruck bringt? Die Gewerkschaften stehen nun wirklich nicht mit dem Rücken zur Wand. Der DGB umfasst 7 Millionen Mitglieder seiner Einzelgewerkschaften. Das ist eine ganz enorme soziale Macht. Gut so. Ich würde eine Bundesrepublik ohne Gewerkschaftsaktivitäten nicht haben wollen. So sind die Fronten wenigstens klar. Zwei große Blöcke stehen sich gegenüber. Damit wird auch verhindert, dass es zu wilden Streiks kommt, zu zivilem Ungehorsam und Sabotage in Unternehmen. Gewerkschaften haben einfach eine wichtige gesellschaftliche Funktion.

  8. Ich habe ihre gesellschaftlich Funktion gar nicht bestritten. Allerdings bezweifel ich, dass sie in Zukunft noch eine bedeutende Rolle spielen wird. Noch sieben Millionen Mitglieder! Schau dir doch mal den Alterschnitt in den Gewerkschaften an! Den sterben die Mitglieder weg. Junge Leute haben doch schon lange kein Interesse mehr den Gewerkschaften beizutreten. Das mag egoistische Motive haben, weil sie nicht bereit sind Beiträge zu zahlen, kann aber auch daran liegen, dass die Jugend nicht mehr weiß, wofür die Gewerkschaften stehen. Mir ist das oft auch nicht klar.

  9. Beruhen die angeblich gegensätzlichen Interessen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern nicht in Wirklichkeit auf dem Umstand, dass eine überregulierte Gesellschaft den strukturellen Sockel an Arbeitslosen geschaffen hat?In Dänemark und in den USA gibt es zum Beispiel einen Mangel an Arbeitskräften und die Löhne steigen (so, dass sich einige schon darüber Inflationssorgen machen). In diesen beiden Ländern scheinen die Interessen der Arbeitnehmer und -geber also recht ähnlich zu liegen.Ich denke, dass ein deregulierter Arbeitsmarkt und eine liberalisiertere Wirtschaft keine Gewerkschaften mehr braucht. Betriebsräte reichen da wohl vollkommen aus.

  10. Das klingt utopisch. Selbst gesetzt den Fall, dass der Arbeitsmarkt derreguliert wird, was ja gleichzeitig eine liberalisierte Wirtschaft bedeutet, wird es wohl kaum zu einem Überschuss an Arbeit kommen. In Dänemark werden ja überwiegend Fachkräfte gesucht, und die sind ja auch in Deutschland knapp. Die Konzentration auf den mindestlohn ist denke ich schon so ein Reflex. Für die Besserverdienenden spielten die Gewerkschaften ja selten eine bedeutende Rolle. Ausnahme ist villeicht der Marburger Bund, aber die zanken sich ja im Moment auch ordentlich mit dem Rest. Deren Forderungen haben überraschenderweise mehr Rückhalt in der Öffentlichkeit als die des öffentlichen Dienstes. Auch ein interessanter Fakt.

  11. „Selbst gesetzt den Fall, dass der Arbeitsmarkt derreguliert wird, was ja gleichzeitig eine liberalisierte Wirtschaft bedeutet, wird es wohl kaum zu einem Überschuss an Arbeit kommen.“Warum nicht? Die Arbeitslosenquoten in Dänemark und den USA sind auf einer Höhe, die Ökonomen zum Etikett „Vollbeschäftigung“ greifen lassen. Was darauf hinweist, dass auch die wenig qualifizierten Menschen Arbeit gefunden haben.

  12. Mit Dänemark gebe ich mich geschlagen. Aber die USA passt nur eingeschränkt. Zum einen ist es dort nicht so, dass die Einkommen steigen, weil Arbeitskräfte knapp werden und zum anderen (ich habe wohl doch eine sozialdemokratische Ader) ist das Einkommensgefälle enorm. In Dänemark ist die annährende Vollbeschäftigung Ergebnis von über 20 Jahren Reformbemühungen, die zum Teil sehr schmerzhaft für die nun Beschäftigten waren. Eine einfache Derregulierung des Arbeitsmarktes wird da in Deutschland nicht ausreichen. So lange sich die Leute (ich meine vor allem die unter 30-jährigen) immer noch in der Alimentierung des Staates einrichten können, ist der Anreiz Arbeit anzunehmen, einfach zu gering — siehe Erntehelfer. Es muss also nicht einfach nur eine Derregulierung, sondern gleichzeitig auch der Zwang zur Arbeit erfolgen.

  13. „Aber die USA passt nur eingeschränkt. Zum einen ist es dort nicht so, dass die Einkommen steigen, weil Arbeitskräfte knapp werden…“So? Ich habe da letztens genau das Gegenteil gelesen. „…und zum anderen (ich habe wohl doch eine sozialdemokratische Ader) ist das Einkommensgefälle enorm.“Das ist es ja hier auch. Nur dass die, die in den USA Niedrigverdiener sind, hier bei uns Niedrigalmosenempfänger (vulgo: Hartz4-Empfänger) sind. Die Frage ist: Was von beidem ist besser und warum?“Es muss also nicht einfach nur eine Derregulierung, sondern gleichzeitig auch der Zwang zur Arbeit erfolgen.“Das ist richtig. Mit Hartz4 als Mindestlohn oder dem, was sonst noch so als Mindestlohn im Gespräch ist, ist dieser Zwang wohl kaum möglich. Nur: Irgendwann wird die Macht des Faktischen (des faktischen Bankrotts) die Deutschen zur Einsicht zwingen, dass es eigentlich keine Alternative gibt.

  14. PS und off topic:Warum gibt es hier eigentlich nur so begrenzte Layout-Möglichkeiten? Wenigstens Leerzeilen würden schon helfen, mehr Struktur in die Kommentare bringen zu können.

  15. Is´ doch noch beta 😉 Aber ich habe es weitergeleitet. –So könnte man ne Leerzeiele einbauen.

  16. Zum Thema USA: Stimmt schon, das dort viele Jobs geschaffen wurden (besonders unter Clinton) gleichzeitig wurde jedoch auch ein Mindestlohn eingeführt, ich glaube mich zu erinnern, irgendwas um 7 USD pro Stunde – davon kann niemand wirklich leben in den Staaten. Deswegen gibt es ja auch die mehr als starke Tendenz zum Zweit- bzw. Drittjob. Diese Jobs werden einerseits angeboten, als auch nachgefragt – letzteres hängt i.w. mit dem niedrigen Mindestlohn und einer negativen Steuerprogression zusammen die zur Folge hat, das man bis zu bestimmten Einkommensgrenzen Steuern nicht zahlen muss, sondern sie gezahlt bekommt – quasi als Ergänzung bzw. Belohnung dafür das man arbeiten gegangen ist. Was sieht man daran? Arbeit ist vorhanden, sie muss nur billiger werden (auch die USA sind ja ein entwickletes Industrieland und es wird trotzdem geschafft, Arbeitsplätze zu schaffen) um auch angeboten zu werden. Gleichzeitig ist jedoch auch ein gewisses Lohnminimum von Vorteil, das ggf. von Staatsseite aufgestockt wird. Dadurch wird gleichzeitig ein Anreiz zur Arbeitsaufnahme geschaffen- denn nur wer arbeitet kann mit Zuschüssen rechnen. Natürlich ist in Deutschland einiges, sehr vieles, überreguliert. Ein vollständiger Rückzug des Staates wäre aber auch icht die Lösung, Statt dessen sollten intelligente Anreize gesetzt werden (siehe USA, in GB gibts übrigens auch Mindestlöhne), um die Aufnahme einer Beschäftigung gegenüber dem nicht-Arbeiten attraktiver zu machen. Dann haben alle etwas davon.

  17. Ich stimme dir ja großteils zu, Martin, aber in Deutschland bringen Mindestlöhne auch ein Problem mit sich. Als Nachbarland von Ländern mit einem bedeutend niedrigeren Lohnniveau, könnten Mindestlöhne genau das Gegenteil erreichen, nämlich eine Abwanderung von Arbeitsplätzen. Wenn du als Unternehmer hier in Deutschland 7,50 Euro zahlen musst, in Polen aber nur 3,50, dann würdest du doch auch überlegen deinen Standort zu verlagern. Oder nicht? Ein Modell, bei dem die Niedriglohnjobber arbeiten gehen und der Staat dann auf einen bestimmten Betrag auffüllt, halte ich für sinnvoller. Hat natürlich auch den Nachteil, dass viele Unternehmen wohlmöglich schon mit dem Betrag vom Staat für den Arbeitnehmer kalkulieren. Aber immer noch besser Investitionen in Arbeitsplätze als in Arbeitslosigkeit.

  18. Vielleicht würden die Unternehmer abwandern. Glaubt man jedoch den einschlägigen Berichten, so machen die Lohnkosten nur einen Bruchteil der Gesamtkosten aus, ergo würde man als Unternehmer nichtb unbedingt abwandern, zumal Deutschland (noch) weitere Standortvorteile bietet. Zunmal der Mindestlohn ja nicht bei 20€ leigen würde.Ausserdem sollte man den Fokus m.E. weg vom produzierenden Gewerbe (Insudtrie) und mehr in Richtung Dienstleistungsgewerbe richten. Dort könnten neue Jobs, gerade auch für gering qualifizierte entstehen. Bei den Industriearbeitsplätzen werden wir auf lange Sicht wohl nicht mit China bzw. Osteuropa mithalten können bzw. wollen.Aktivierung sollte natürlich vor Alimentierung gehen.

  19. @Martin KulikZum Gerücht über die vielen, vielen Zweit- und Drittjobs in den USA habe ich neulich mal eine Statistik des US-Arbeitsamtes gesehen: 5% der Arbeitnehmer sind es gerade mal, die mehr als einen Job haben.Zum Rest gebe ich dir aber Recht.

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