Büchmanns "Geflügelte Worte" sind DAS deutsche Zitatlexikon schlechthin. Meine dickleibige Ausgabe aus dem Jahr 1968 zählte damals schon die 31. Auflage. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass dieser "bürgerliche Erfolg" auch die Kulturgewaltigen der untergegangenen Arbeiter- und Bauernrepublik nicht ruhen ließ. Die DDR veröffentlichte ebenfalls einen Band mit "Geflügelten Worten", der vor allem "bisher unbeachtetes demokratisches und sozialistisches Gedankengut" aufnahm. Herausgeben wurde das schwergewichtige Werk von Kurt Böttcher und anderen im VEB Bibliographischen Institut Leipzig.
Wer also die Quellennachweise für jene moosbedeckten Ideologieplanken sucht, die einst direkt ins Arbeiterparadies führten, der wird in diesem Altholzlager fündig. So war derjenige, der vom "Sprung der Menschheit aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit sprach", natürlich der Marx und nicht der Engels. Dass "Kultur der zweite Herzschlag unseres Lebens" sei, das sagte natürlich der Hans Marchwitza und nicht etwa die Sabine Christiansen, auch wenn's genauso kitschig wie bei der Grande Dame des Abend-Talks klingt. Selbst wertloser Bullshit wurde dauerhaft verewigt, so ein gewisser Richard Schulz, nur einer von jenen vielen Kraftdichtern und Zwangsreimern in diesem Band, dem die proletarische Herkunft den Talentnachweis ersetzte: "O Spreeathen, o Spreeathen, / Viel Blut, viel Blut hast du gesehn …". Tschaja, so klingeln und dengeln eben die Strophen, wenn sie die Stanzwalze des automatischen Ideologieklaviers abnudelt: "O Schulz-Poet, o Schulz-Poet, kein Gedanke deinen Vers durchweht …".
Wir sehen also, nichts ist toter (töter?) als die Ideologie von gestern. Trotzdem bietet das eine willkommene Ergänzung zum Büchmann'schen Original. Denn es hat einen staatsmännischen Fokus, wohl deshalb, weil im Sozialismus die auftraggebenden Honeckers und Ceaucescus sich immer mit Dichtern auf Augenhöhe wandeln sahen. Hier wurden daher von Bismarck über Chamberlain bis Thälmann und Honecker viele Zitate von Politikern und Parteiführern jeder Couleur zusammengetragen, die aus dem literarischen Vorbild konsequent ausgeschlossen blieben. So erzeugt dies Buch eine seltsame Mischung aus amüsierten Nostalgiegefühlen und durchaus echten Entdeckerfreuden.