Über die «Plastikwörter» hatte ich bereits gesprochen, jene wissenschaftlichen Wörter also, die über den journalistischen Sprachgebrauch in unseren Alltag eingedrungen sind, die unsere Wirklichkeit durch ihre abstrakte Unanschaulichkeit verarmen: Wörter wie Struktur, Information, Qualität – mitsamt ihrer buckligen Verwandtschaft.
Wie aber soll man dann reden, wenn einem hier die schönsten Kunstwörter prunkender Wissenschaftlichkeit schlichtweg verboten werden? Nun eine Phrase solch gehobener Sprachlichkeit wie „Gegenüber dieser Information zeigte er sich aufnahmeresistent" wäre doch ohne jeden Sinnverlust zu ersetzen durch „Auf dem Ohr war er taub". Schon hat der Mensch ein Bild vor Augen, komplett mit defektem Hörgerät. Es ist die „Idiomatik", die so etwas bewirkt, jener Sprachgebrauch, der seine Bilder und argumentative Kraft aus unserem Alltag schöpft.
Weite Strecken der Werbung und Sloganrhetorik – wie auch das Headlining der Journalisten – leben vom idiomatischen Sprachgebrauch: „Herta – wenn's um die Wurst geht!", „Innovationen kommen und gehen" (Citroen), „Erzählen auf Leben und Tod" (Spiegel), „Mit der Kunst auf Augenhöhe" (taz). In all diesen Fällen nutzen die Schreiber vorgeprägte Stanzen der Sprache auf überraschende Weise oder aber, sie setzen sie leicht verfremdet ein: „wenn's um die Wurst geht", „kommen und gehen", „auf Leben und Tod", „auf Augenhöhe".
Ein PR-Texter dagegen hätte vielleicht geschrieben, weil er ja durch bewusst erzeugte Langeweile ständig seine fragile «Seriosität» beweisen muss: „Herta – wenn kritische Entscheidungen beim Gebrauch von Wurstwaren zu treffen sind", „Innovationen haben nur eine kurze Frist, bevor sie von nachfolgenden Me-too-Produkten vom Markt gedrängt werden", „Storylines, die im riskanten Graubereich von Spionage und Gegenspionage spielen", „Kunstwerke auf allgemeinverständliche Art und Weise erklärt". Kurzum – was einige „seriös" nennen, das nenne ich „erkünstelt" und „langatmig". Es ist im Kern nur ein Nichtschreibenkönnen. Denn dem Leser kommt nichts „vor Augen", vor die inneren nämlich, nichts wird ihm anschaulich gemacht.
Eine gute Idiomatik aber ist eines der wichtigsten Arbeitsinstrumente, das ein Texter besitzen kann. In ihr haben fleißige Wissenschaftler alle „stehenden Redewendungen" einer Sprache zusammengetragen. Nehmen wir einfach mal an, ein erfundener Hersteller von Armbanduhren namens Maurer wollte etwas von mir. Zum Wortumfeld seines Produktes gehören Wörter wie: „Zeit", „Stunde", „Genauigkeit" usw. Schaue ich in meine Idiomatik, dann eröffnet sich mir eine weite Spielwiese für alle möglichen Headlines und Slogans: „Für alle Zeiten", „Armschmuck der neuesten Zeit", „Für die Stunden der Wahrheit" oder „Pünktlich wie die Maurer". Das – und vieles mehr – sind nämlich Angebote, die mir eine Idiomatik macht, wenn ich sie unter den angegebenen Begriffen aufschlage.
Eine Idiomatik darf übrigens nicht mit einem Sprichwörterlexikon verwechselt werden. Sinnsprüche wie „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen" finde ich in einer Idiomatik nicht, sondern nur «Redewendungen» wie „seinen Meister finden" oder „ein Meister seines Fachs". Und ganz nebenbei zählen die idiomatischen Redewendungen zu den «unübersetzbarsten» Teilen unserer Sprache: Wo der Engländer "he kicked the bucket" sagt, sagen wir, jemand hätte "ins Gras gebissen" oder "den Löffel abgegeben".
Was aber wir Blogger mit einer Idiomatik sollen? Na – dreimal dürft ihr raten!
Und wieder was dazugelernt. Danke für den Tipp – in den Zeiten der Online-Wörterbücher und -Wortschätze verirre ich mich nicht oft in die Abteilung «Nachschlagewerke auf toten Bäumen». Was zweifellos eine Unterlassungssünde ist.