Schwerer zu erlernen als das Deutsche ist beispielsweise eindeutig das Russische, ebenso das Finnische, sicher auch das Griechische und viele asiatische Sprachen, die in eine komplexe, kulturell verschlüsselte Bildlichkeit ausweichen müssen, weil sie kaum Flexionsformen kennen. «Es gibt überhaupt keine primitiven Sprachen», in denen die Menschen babyhaft und mit kindlich-naivem Weltverständnis daherstammeln würden – das in etwa ist der Stand der vergleichenden Sprachwissenschaft heute. Vor Gott sind alle Sprachen gleich. Und nur deshalb, weil eine Sprache kein Wort für «Mikroprozessor» oder «Blog» hat, ist sie noch nicht primitiv.
Das Deutsche hat eindeutige Vorteile, die den Menschen das Erlernen erleichtern. So verändert die Flexion das Substantiv nicht bis zur Unkenntlichkeit: Ob ich «der Mann», «des Mannes», «dem Mann» oder «den Mann» sage – das Substantiv steht «in allen Fällen» wie ein rocher de bronce – mit der kleinen Ausnahme des Genitiv-S. Wir können also sagen: Im deutschen Satz erkennen wir die Substantive immer auf Anhieb, weil sie annähernd ungebeugt aus dem Satzmeer ragen, und überdies auch noch groß geschrieben werden.
Ein weiterer Vorteil ist die gnadenlose Flexibilität des Deutschen. Während anderswo oft das SPO-Schema (Subjekt – Prädikat-Objekt) mit eiserner Faust regiert – «Der Hund schlich mit seinem Knochen in die Hütte» – wie beispielsweise im Englischen, da herrscht im Deutschen die ganz große Freiheit, ja, fast schon Anarchie: «In die Hütte schlich der Hund mit seinem Knochen» oder «Mit seinem Knochen in die Hütte schlich sich der Hund» oder «Mit seinem Knochen schlich der Hund in die Hütte» usw. Einzig die Anfangsstellung des Verbs ist in unseren Aussagesätzen tabu, weil wir im Deutschen damit eine Frage einleiten würden: «Schlich der Hund mit seinem Knochen in die Hütte?»
Diese Flexibilität der Satzstellung gibt uns Deutschen übrigens grandiose Freiheiten bei der rhythmischen Gestaltung und bei der Nuancierung des Sinns unserer Texte, denn Anfangs- und Endstellungen betonen einen Satzbestandteil. Ein sprachliches Faktum, das uns wohl eher zum «Volk der Dichter und Denker» gemacht haben dürfte, als irgendwelche genetisch verursachten, nationalpoetischen Ausbeulungen am Gehirn.
Wenn wir den deutschen Satz betrachten, dann sehen wir also von vornherein viele feste Bestandteile, die mit dem Fuß in einer Art Ursuppe stehen – in den Verbalformen. Hier, bei jenen Wortbestandteilen, welche die Satzhandlung ins Fließen bringen müssen, ist auch die größte Schwierigkeit zu suchen. Denn das Verb im Deutschen ist ein Chamäleon, das sich unaufhörlich verändert – und wenn wir einen Durchschnittsbürger nach den korrekten Formen von Konjunktiv I und Konjunktiv II «befrügen» «befrägten» «befragten», dann geriete er garantiert in Seenot. Vor allem ist es die Lautverschiebung, die diese Unsicherheit auslöst: «ich nehme», «ich nahm», «ich habe genommen», «ich nähme» – wer soll sich denn da noch auskennen? – – – Nun, wir natürlich, wer sonst? Oder ist es wirklich zu viel verlangt, eine solch einfache Sprache wie das Deutsche halbwegs korrekt zu beherrschen?
Eine weitere, eher randständige Schwierigkeit des Deutschen besteht in seiner Fähigkeit zu «antikisieren»: Gerundium, Gerundivum, die wildesten Partizipkonstruktionen des klassischen Altertums bildet die flexible deutsche Sprache mühelos nach. Ein wenig «studienrätlich» und «altbaksch» aber klingt das Deutsche dann schon: «Im übrigen meine ich, dass Karthago eine zu zerstörende sein sollte» …
Ein unglücklich gewähltes Beispiel, da es kein Objekt enthält, sondern nur ein Subjekt, ein Verb und zwei adverbiale Ergänzungen. Da adverbiale Ergänzungen auch im Englischen fast überall im Satz stehen können, herrscht dort auch dieselbe Freiheit:dt. «In die Hütte schlich der Hund mit seinem Knochen» ~ engl. “Into the kennel the dog snuck with his bone”; dt. «Mit seinem Knochen in die Hütte schlich sich der Hund» ~ engl. “With his bone into the kennel the dog snuck”; dt. «Mit seinem Knochen schlich der Hund in die Hütte» ~ “With his bone the dog snuck into the kennel”.Übrigens muss auch ein Objekt im Englischen nicht hinter dem Verb stehen:dt. «Der Hund biss den Mann» ~ engl. “The dog bit the man”; dt. «Den Mann biss der Hund» ~ “The man the dog bit”.Die einzige Beschränkung im Englischen ist die, dass das Subjekt immer direkt vor dem Verb stehen muss (tatsächlich ist noch nicht einmal diese Beschränkung absolut, aber das würde hier wohl zu weit führen).Zugegebenerweise klingen die Englischen Sätze dort, wo sie von der Wortstellung S-V-O/Adv abweichen alle etwas merkwürdig, aber das gilt für die deutschen Beispiele ja auch. Und damit komme ich zu meinem eigentlichen Punkt: ich möchte nämlich bestreiten, dass „gnadenlose Flexibilität“ in der Wortstellung des Deutschen oder irgendeiner anderen Sprache ein „Vorteil“ für den Fremdsprachenlerner ist. Ganz im Gegenteil – diese Flexibilität ist nämlich nur eine Illusion. Die verschiedenen Stellungsvarianten können nämlich im Deutschen und im Englischen (und in vielen anderen Sprachen) nicht beliebig gegeneinander ausgetauscht werden. Tatsächlich müssen bei ihrer Verwendung sehr komplexe Bedingungen berücksichtigt werden, die z.B. etwas damit zu tun haben, welche der Satzteile bereits erwähnt worden sind, auf welchen eine besondere Betonung liegt, usw.Die Freiheit in der Wortstellung bringt also einen erheblichen kognitiven Aufwand mit sich.
Oh Gott, jetzt wankt eine tragende Säule des fremdsprachlichen Unterrichts an unserer Schule. Wie Sie aber selber sagen, wirkt im Englischen der Bruch mit der gewohnten Ordnung im Satz immer etwas «queer», es ist eine poetische Lizenz, dem Lied, dem Theater oder dem Gedicht eher zugeordnet, als der Prosa. Beispielsweise ein solcher Anfangssatz aber, wie in die deutsche Prosa ja durchaus kennt, ließe sich im Englischen wohl kaum in dieser Form nachbilden: «Es lag ein Bischof tot in einer Mur am Zederngebirge fünf Stunden schon unter strömenden Wolkenbrüchen» [Wolf von Niebelschütz: Die Kinder der Finsternis]. Dass die Reihenfolge der Satzbestandteile auch die semantischen Gewichte im Satz verschiebt, bestreite ich gar nicht. Flexible Strukturen machen Textvarianten ja nicht austauschbar oder gleichbedeutend – im Gegenteil!
Nein, es geht hier weniger um poetische Lizenz als um Informationsstruktur: die Wortstellungsvarianten sind allesamt prosaisch und in der Alltagssprache zu finden, sie sind aber an bestimmte Verteilungen von neuer und alter und von vordergründiger und hintergründiger Information gebunden. Diese Informationsverteilung fehlt bei isolierten Sätzen, und so klingen diese eben merkwürdig. (Das Englische ist möglicherweise strenger als das Deutsche, wenn es um die Einhaltung der Informationsstruktur geht — das wäre aber noch zu beweisen).
Die Wortstellung dieses Satzes ist ja gar nicht so außergewöhnlich. Vergleichen wir sie mit der kanonischen Satzstellung
so haben wir zweieinhalb Abweichungen. Erstens steht ein Platzhalter-es im Vorfeld, so dass das Subjekt hinter dem Verb zu stehen kommen kann. Zweitens steht die Zeitergänzung fünf Stunden schon zwischen zwei Raumergänzungen, obwohl wir sie kanonischerweise direkt hinter dem Verb (bzw. dem ersten Element der Verbklammer) erwarten würden. Zweieinhalbtens steht das schon am Ende der Zeitergänzung und nicht am Anfang.Welche dieser Abweichungen können wir im Englischen nachbilden? Übersetzen wir zunächst die kanonische Form ins Englische:
[Exkurs: Hier gibt es eine kleine Unebenheit, die aber nichts mit der Wortstellung zu tun hat, sondern mit den Unterschieden im Tempus-Aspekt-System der beiden Sprachen: Zeitergänzungen mit already…for erfordern im Englischen bei einem Bezug auf vergangene Ereignisse typischerweise perfektiven Aspekt. Auch im Deutschen scheint mir die Kombination von schon mit dem Präteritum ungewöhnlich; sie wird hier wohl stilistische Gründe haben. Um eine möglichst starke Parallelität zwischen dem deutschen und dem englischen Satz zu erhalten, habe ich im Englischen also das past continuous gewählt und bin auf den Zorn aller Englischlehrer gefasst.] Die erste Abweichung ist nicht direkt abbildbar, da das Englische kein Platzhalter-es kennt. Eine relativ gute Entsprechung wäre aber wohl die There-Konstruktion, die, wie das Platzhalter-es eine Präsentationsfunktion hat. Statt a bishop was lying dead erhalten wir so there was a bishop lying dead. Die zweite Abweichung ist völlig unproblematisch: for five hours kann ebensogut zwischen den beiden Raumergänzungen stehen. Die zweieinhalbte Abweichung ist ebenfalls relativ unproblematisch: das already kann durchaus hinter der Zeitergänzung stehen. Kombinieren wir alle drei Abweichungen, so ergibt das:
Ob das die schönste Übersetzung ist, kann ich nicht beurteilen (es gibt ja eine englische Übersetzung des Romans, da könnte man vergleichen). Auf jeden Fall ist es ein Satz, der (abgesehen von dem aspektuellen Problem) grammatikalisch unauffällig ist und der zeigt, dass das Englische auch hier dem Deutschen bezüglich seiner Flexibilität in Nichts nachsteht. Die beiden Sprachen unterscheiden sich natürlich hinsichtlich der grammatischen Regeln, innerhalb derer diese Flexibilität sich abzuspielen hat, aber das ist ein qualitativer Unterschied, kein quantitativer.
Sie scheinen zu jenen zu gehören, die eine prinzipielle „Übersetzbarkeit“ aller Sprachen ineinander vertreten. Es gibt aber andere Übersetzer und Autoren, Harry Rowohlt zum Beispiel, die immer nur von einer möglichen „Annäherung“ zwischen Sprachen ausgehen. Zur Lektüre dieser konträren Ansicht empfehle ich Ihnen: Judith Macheiner: Übersetzen. Ein Vademecum. Erschienen im Mai 1995 in Enzensbergers „Anderer Bibliothek“. Dort zum Beispiel – neben vielen anderen – dieser Satz, der Ihrer These von der „Abbildbarkeit der Satzstrukturen ineinander“ widerspricht: „In einem sehr allgemeinen Sinn ist die entgegengesetzte Ausrichtung in der Tat ein Charakteristikum für die Reihenfolge, in der die Satzglieder im englischen und deutschen Satz aufeinanderfolgen“ (S. 48).
Ja, ich glaube tatsächlich an die Übersetzbarkeit aller Sprachen ineinander, wobei Übersetzungen — genau wie innersprachliche Paraphrasen — sicher nur selten vollständige Bedeutungsgleichheit zum Original erreichen. Aber mit dieser Diskussion würden wir wohl vom eigentlichen Thema abkommen, der Flexibilität des Satzbaus im Deutschen und Englischen und der Frage, ob Flexibilität das Lernen einer Fremdsprache erleichtert (trotzdem danke ich natürlich für den Literaturhinweis und freue mich auf eine zukünftige Diskussion über das Thema Übersetzung).
Tja, was soll man dazu sagen? Ich werde die empirische Überprüfung dieser Behauptung bei der nächsten Gelegenheit einmal als Hausarbeitsthema vergeben, dann werden wir sehen. Ich gebe aber zu, dass es mich nach allem, was ich über den Satzbau des Deutschen und des Englischen weiß, überraschen würde, wenn sie zuträfe (wobei ich natürlich nicht weiß, wie allgemein hier der „sehr allgemeine Sinn” zu verstehen ist und ob „Ausrichtung” sich auf die lineare Reihenfolge bezieht). Aber selbst wenn die Behauptung stimmen sollte, so sagt sie doch nichts über die Flexibilität der beiden Sprachen aus. Der englische Satzbau ist ebenso flexibel wie der deutsche, auch wenn er anderen grammatischen und informationsstrukturellen Beschränkungen unterworfen ist. Dies zu zeigen war der Sinn meiner Übersetzungen. Um auf die Übersetzbarkeit zurückzukommen: ich bin überzeugt davon, dass es mir mit etwas mehr Zeit und Kontext gelingen würde, den zitierten Niebelschütz’schen Satz nuanciert ins Englische zu übersetzen. Ich bin neugierig geworden und habe mir das Buch bestellt — vielleicht regt es mich ja zu einem Übersetzungsversuch an. Auf jeden Fall erst einmal vielen Dank für diese anregende Diskussion!
Eine echte Herausforderung für jeden Übersetzer, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, ist auch der erste Satz in Hermann Brochs „Tod des Vergil“. Viel Spaß noch mit Frau Macheiner, von der es noch ein zweites Buch gibt: „Das grammatische Varieté“ o.ä. …