Das Märchen von der Vollbeschäftigung

(Foto: PixelQuelle.de/pqm)

Eine sachlich falsche Behauptung wird durch ständige Wiederholung zwar nicht richtiger, aber irgendwann immerhin zur gefühlten Wahrheit. Der britische Biologe Richard Dawkins beschrieb die Eigendynamik der Ideen 1979 in seinem Buch "Das egoistische Gen" als "Mimetik". Sie erweitert die Darwinsche Idee der Selektion auf den Bereich der Kultur. Gedankeneinheiten/Ideen werden innerhalb der Kultur ständig reproduziert. Wie ein Gen fungiert dabei jedes "Mem" als Replikator und es wirken die gleichen Prinzipien wie in der Evolutionstheorie. Die deterministische Kraft solcher Denkmuster nimmt mit der Anzahl der Wiederholungen zu und wird schließlich zur ungeprüft angenommenen Wahrheit [Sind die Gedanken wirklich frei?].

Wie ein Dawkinsches "Mem" hat sich auch eine Pseudotheorie zu den Ursachen der Massenarbeitslosigkeit verbreitet. Völlig ungeprüft ist eine bloße Behauptung zur Grundlage der Diskussion über die Zukunft der Erwerbsgesellschaft gemacht geworden. Ein Diskurs, der auf der Annahme womöglich unzutreffender Sachverhalte geführt wird, kann schwerlich zu „realitätsfesten" Ergebnissen führen.

Zum Verlust industrieller Arbeitsplätze wird unablässig behauptete, wir verlören in Deutschland Jobs weil die bösen Unternehmer Stellen ins Ausland verlagern. Tatsache ist aber, die Zahl der Arbeitsplätze die in Deutschland verschwinden weil sie in Billiglohnländer verlagert werden, ist gering. Sie macht nach Schätzung des US-Ökonomen Jeremy Rifkin unter 1 Prozent der abgebauten Stellen aus. Bezeichnenderweise gibt es keine auch nur einigermaßen verlässlichen Zahlen über solche Ab- und Rückwanderungen. Vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag war im Januar 2004 zu erfahren, man schätze, es gebe jährlich 50.000 Verlagerungen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit macht gar keine Angaben dazu. Im Jahr 2005 existierten nach Angaben des selben Ministeriums 26,2 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungs- verhältnisse. Wäre die offenbar willkürlich genannte Zahl von 50.000 abgewanderten Arbeitsplätzen p.a. auch 2005 zutreffend, handelt es sich um unglaubliche 0,19 Prozent der Arbeitsplätze. Gemessen am Raum den das Phänomen in der öffentlichen Wahrnehmung beansprucht, ein erstaunlicher Prozentsatz [Grafik: Sozial- versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse 2001-2005]. Auch das Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe macht zwar Studien und Befragungen zur Abwanderung, aber über die Gesamtzahl von Ab- und Rückwanderungen erhebt auch das ISI keine verlässlichen Daten.

Warum existiert kein aussagekräftiges Datenmaterial über das Problem, womöglich weil es kein Problem gibt? Der wirkliche Jobkiller ist nämlich der technologische Fortschritt. Wirtschaftswissenschaftler aller Couleur schätzen, dass zur Kompensation der Produktivitäts- steigerung notwendige jährliche Wirtschaftswachstum auf über 2 Prozent des BIP. Wie lange können die Industriegesellschaften dieses Tempo durchhalten und was müsste dazu produziert und konsumiert werden? Die Chinesen und Inder werden angeblich unsere Waren kaufen, so die allgemeine Behauptung. Die von den Asiaten vorrangig importierten Güter sind allerdings Investitionsgüter. In kurzer Zeit haben sie sich mit genau diesen Importen von uns unabhängig gemacht. Schon jetzt exportieren diese Nationen mehr Konsumgüter als sie einführen. Zudem können wir sicher sein, die asiatischen Zukunftsmärkte werden naturgemäß von Asiaten beliefert werden. In einigen Jahrzehnten müssen diese Volkswirtschaften dann mit den gleichen Problemen kämpfen, wie wir es heute tun. Maschinenarbeit wird auch in Asien bald preiswerter sein als die menschliche Arbeitskraft.

Der Ersatz von menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen ist kein wirklich neues Phänomen. Als im 19. Jahrhundert der Betrieb von Dampfmaschinen billiger wurde als die Sklavenhaltung, verschwand diese jahrtausendealte Unsitte allmählich von unserem Planeten. Es ist eine liebgewonnene Illusion, dass ein ethischer Fortschritt die Sklaverei beendet hätte. Weder griechische Philosophen, noch die Aufklärung und erst recht nicht die christlichen Moralapostel waren dazu im Stande. Die Befreiung aus der Leibeigenschaft kam erst mit einem Quantensprung in der Technologie – der industriellen Revolution. Einen solchen Entwicklungsschub erleben wir nun erneut. Der Markt wird in naher Zukunft zum allergrößten Teil ohne menschliche Arbeitskraft funktionieren. Der US-Ökonom Jeremy Rifkin schätzt, dass bis 2010 nur noch zwölf Prozent der arbeitenden Bevölkerung in Fabriken gebraucht wird. Bis 2020 sollen es weltweit nur noch zwei Prozent sein [J. Rifkin: Das Ende der Arbeit].

Scheinbar ist es trotzdem viel einfacher die Polen und Chinesen zu Buhmännern zu erklären, als eine Diskussion über die realen Hintergründe der Arbeitslosigkeit zu beginnen. Wir können immer mehr Güter und Dienstleistungen mit immer weniger menschlichem Zeitaufwand erzeugen. Für jeden Betriebswirt ist das eine positive Entwicklung, warum nicht auch für die modernen Volkswirtschaften und schließlich die Weltwirtschaft?

Es ist also Notwendig Visionen jenseits der Massenarbeit zu suchen, noch haben wir Zeit und Ressourcen genug, um einen sanften Paradigmenwechsel einzuleiten. Ohne neue Konzepte wird die Welt in absehbarer Zeit  endgültig in Anarchie versinken. Schon jetzt herrscht das Recht des Stärkeren. Die 356 reichsten Familien der Welt besitzen bereits 40 Prozent des Weltvermögens und eine weitere Konzentration des Kapitals ist systemimmanent. Ob der globalisierte Neofeudalismus tatsächlich einen zivilisatorischen Forttschritt für die restlichen 6 Milliarden Erdenbewohner bringen wird?

Die Chefarztfrau

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7 Meinungen

  1. Ein feiner Artikel. Aber er wird garantiert wieder nicht von den Richtigen gelesen.

  2. Ich bin Optimist im Dawkinschen Sinn: Wenn eine Idee nur oft genug wiederholt wird, gewinnt sie auch an Einfluß. Tatsächlich beginnt die Diskussion ja auch ganz langsam, sogar in politischen Milieus wo man es nicht vermuten würde.

  3. Noch ein kleiner Hinweis:Laut dem deutschen Institut für Rationalisierung der RWTH Aachen liegt der durschnittliche langjährige Produktivitätszuwachs so zwischen 4% und 5%.Und der ist sicher nicht gleich verteilt. Die Beamtenschar und Staatsangestellte werden zu verhindern wissen, dass ihre Produktivität (wenn man sie denn nicht in Papierbergen messen möchte) um solche Beträge steigt..Jedenfalls wäre die Folge, dass entweder jedes Jahr die Produkte mindestens 4% werthaltiger (Qualität) werden, was zum Teil sicherlich der Fall ist, wenn man in die Autoindustrie oder die Computertechnik schautoder aber dass jedes Jahr 4% mehr Produkte erzeugt werrden (Quantität), was sicher nicht möglich ist, weil jedes Jahr 4% mehr Bier saufen würde und mit 25 an Leberschäden sterben lassenoderdass jedes Jahr mindestens 4% weniger Leute nötig sind, das Gleiche (qualitativ und quantitativ zu produzieren)..Nehmen wir an, der Staat beibt konstant und mit seiner etwa 50%igen Quote der darin Beschäftigten und davon Abhängigen (Hartz4 und Rentner) verdoppelt die Produktivitätzuwächse in der Restwirtschaft. Die somit mindestens übrig bleibenden 8% werden jetzt dem realen Totalwachstum gegenübergestellt. 2% sind das zur Zeit maximal. Da der Staat da nichts mit zu tun hat, sind das 4% für die restwirtsachaft. Darin sind Quantität und Qualität weg von den 8% und übrig bleiben 4%. Diese verteilen sich in weniger Beschäftigte und sinkende Realeinkommen der 99% der Wastunmüssenden. Und genau so sieht es aus. Weniger Leute brauchts und denen kann man weniger zahlen. Insgesamt gibts doch ein Wachstum: Bei die Großkotzen und im Sektor Kriminalitätsbekämpfung und Gefängnisse.Einzige Gegenmassnahme: Ab und zu ein kleines Kriegle, damit zumindest ein Paar Leute sterben oder traumatisiert ausfallen.

  4. Wer braucht das schon…Vollbeschäftigung….????

  5. Tut mir leid, die These ist aber völliger Unsinn!Die Arbeit geht uns nie aus, höchstens die auf dem Makrt bezahlbare Arbeit. Arbeit gibt es genug, aber eben nicht auf dem Arbeitsmarkt wie wir ihn in Deutschland kennen.Ihre These war schon zu Zeiten der Industrialisierung populär, als die Mechanisierung begann. Danach müsste es schon seit Jahrunderten keine Arbeit geben, was aber weder in Deutschland noch in Ländern mit faktischer Vollbeschäftigung- derer gibt es viele- der Fall ist.

  6. „Arbeit gibt es genug, aber eben nicht auf dem Arbeitsmarkt wie wir ihn in Deutschland kennen.“ Thats the point….Nur diese Tätigkeiten werden nicht honoriert, da sie keine handelbaren Produkte liefern.

  7. In ihren Buch von 1994 „The great reckoning“ hatten James Dale Davidson und William Rees-Mogg genau dieses Phänomän vorausgesagt, obwohl es 1994 schon nicht mehr ganz neu war. 1960 lebten in Amerika etwa 30% von der Produktion. Bis 1980 waren es kaum noch 20%. Zwischen 1992 und 1997 halbierten sich die Anzahl Arbeitnehmern bei den Fortune500 Firmen. Heute arbeiten im USA etwa noch 7% in der Produktion. In Deutschland wären wir im ähnlichen Bereich, wir haben uns aber für die Massenarbeitslosigkeit entschlossen.http://www.amazon.co.uk/Great-Reckoning-Protect-Yourself-Depression/dp/0671885286/sr=1-1/qid=1163776413/ref=sr_1_1/202-8199057-9628629?ie=UTF8&s=books

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