Berlin in jeder Lebenslage – ein Ehemaliger sieht seine Stadt

 Eine berufliche Aufgabe war also schönster Anlass, Berlin für ein langes Wochenende anzusteuern. Und die Freunde. Und die Wahnsinnigen. Ohne Auto, angewiesen auf die BVG und plötzlich mit dem Schimmer des Touristen belegt, der "seine" Stadt zu kennen glaubt und den sie dann doch gnadenlos überrascht. An der Friedrichstrasse entsteht ein "Spreedreieck", ein Hochhaus mit Rundung, dem der "Tränenpalast" weichen musste. Wie fragte der Regierende angesichts des "Alexa"-Konsumtempels am Alex? "Wer hat denn sowas Häßliches genehmigt?" Hallo, Herr Wowereit – die Frage können Sie auch an der Friedrichstrasse stellen. Gleich mehrfach. Wo einst das Vier-Sterne-Hotel "Unter den Linden" DDR-Chic verströmte, steht nun ein Klotz aus Beton und Glas mit dem Versprechen, demnächst u.a. den "Douglas-Flagship-Store" zu beherbergen. Und dazu – das muss ja so sein – zahlungskräftige Mieter in den Apartments und Lofts, die einen Blick zum Tor der Tore (Brandenburger Tor) bieten dürften. Vor soviel Luxus musste das Quentchen Natur weichen, das bis dahin vor dem erwähnten Hotelbau etwas Raum, sprich: Luft in der verbauten Stadtmitte versprach. Alles weg – alles zugestapelt. Schön ist anders…

In einem Kunstforum gegenüber des Friedrichstadtpalastes stellen Künstler aus Korea aus. Moment – das ist spannend, denn es sind Künstler aus NORD-Korea. Erstmals zeigen sie im Westen ihre Bilder, heißt es im Katalog und in den Feuilletons der Berliner Zeitungen. Die "Kunstwerke" sind der Ausweis einer Gesellschaft, die immer noch in einer Paralellwelt lebt. Wer den Realismus in den Gemälden der DDR ("Lieber vom Leben gezeichnet, als von Sitte gemalt") schon grausam fand, muss sich hier, im vierten Stock eines chic-modernen Glasbaus in Berlins geschäftigem Osten gruseln. Landschaftsbilder von ergreifend trauriger Schlichtheit wechseln sich mit Propaganda-Schinken ab, die nur eines beweisen – an Farbe mangelt es nicht in Pjöngjang. Prachtvoll inszenierte Arbeiter, Soldaten, junge Frauen, die mit Panzern spielen, eine Ärztin, die Kinder vom Lande impft. Details dieses Bildes sind besonders interessant: die Injektions-Spritzen sind aus Glas und die Nadeln liegen in einer kleinen Desinfektionswanne, sind also wiederverwendbar. Im Hintergrund fährt derweil ein Panzer mit winkenden Soldaten vorbei. Diktatoren mögen bei soviel Volkskunst erregt derilieren, dem Betrachter läuft ein ums andere Mal ein Schauer über den Rücken. Übrigens auch, wenn die Frage nach dem Preis der Werke von einer netten Dame mit kleiner Brille und Hausschuhen beantwortet wird. Ein Propaganda-Bild, immerhin die Vorlage zum Druck von Plakaten soll 900 Euro kosten. Ein Landschaftsbild sogar mehr als 10000 Euro. Es geht doch immer um Devisen. Natürlich auch für die Parteifunktionäre des "Geliebten Führers" Kim Jong Il. Früher übrigens, also in Zeiten, als mein Hauptwohnsitz im Wedding lag, wäre ich wohl nicht auf die Idee gekommen, eine solche Ausstellung zu besuchen. Tja…

Die Mischung aus Bewunderung und Ärger über die Stadt bleibt aber in jedem, der hier lebt oder gewohnt hat. Ob ein Jahr oder zehn, wie bei mir, Berlin klopft immer wieder in den grauen Zellen an, aber auch in allen Nervenfasern und Adern. Zu prosaisch? Stimmt. Eben fährt der Mann, wahrscheinlich aus der Türkei nach Berlin gekommen, auf seinem Fahrrad umher und trägt dabei auf Bauch und Rücken knallgelbe, selbstgebastelte Protestschilder. Auf den Tafeln fordert er "echte Demokratie" und "Ich will auch wählen". Ich sehe ihn seit Jahren immer wieder in der Nähe des Nollendorfplatzes herum radeln. Er wird einfach nicht müde so einsam zu protestieren. Doch die Luft muss schlechter geworden sein. Heute strampelte er mit einem silbergrauen Mundschutz im Gesicht durch den Kiez. Im Café Berio herrscht derweil "Business as usual", während im "Boys R Us" gegenüber Sportklamotten mit drei Streifen verramscht werden. Obwohl 20 Euro für ein T-Shirt immer noch recht hochpreisig bleiben – also relativ gesehen, hier in der "Hartz IV-Hauptstadt" (Zitat: Helmut Schmidt). Dafür erfährt der geneigte Kunde ganz nebenbei und schonungslos was derzeit angesagt ist. Vor der Umkleide wird ein junger Mann begutachtet, der sich in eine neue, reichlich enge Designer- Jeans gezwängt hat. Sein Freund scheint skeptisch zu sein und blickt etwas sorgenvoll auf Rückansicht und Schritt des "Boys". Der Verkäufer zeigt hingegen Schöneberger Kenntnis und flötet. Zitat: "Diese Saison trägt man den Puller nach hinten."
Berlin hilft doch in jeder Lebenslage.

2 Meinungen

  1. Ja so ist es…..und so wird es bleiben…hoffentlich!Und mit dem Heimweh verhält es sich so: Es bleibt und kommt immer wieder, weshalb man nach Berlin zurückkommen muss. So oder so!Ahoi aus der US-Hauptstadt (by the way: die ist grade mal so groß wie Charlottenburg…)Busserl vom Hasenkind

  2. Allerdings macht Berlin süchtig. Die kulturelle Vielfalt ist unfassbar und gar nicht in einem Trip/Wochenende/Urlaub zu bewältigen. Was ich auch besonders mag ist das günstige Leben. Da bin ich aus Hamburg andere Preise gewöhnt. Wohnungen, Essen oder Übernachtungsmöglichkeiten sind wirklich deutlich unter dem preislichen Durchschnitt Deutschlands. Ich war im Amstelhouse (www.amstelhouse.de) und mit der günstigen Ubahn ist man schnell überall. Ein wenig Zeit habe ich aber benötigt um mich mit dem Ubahnnetz zurecht zu finden. Nächsten Monat sehen wir uns wieder Berlinchen.

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