Bachmann-Preis 2007: Teil III

Wieder sehen am Morgen alle müde und entsprechend missmutig aus. Kaffee wird gereicht und nur Ernst A. Grandits ist jetzt schon er selbst und kann den zweiten Tag eröffnen.

Beeindruckt von ihren Augenbrauen, betrachte ich den Porträtfilm von Silke Scheuermann, die heute anfangen muss. Der Film ist angenehm entkrampft. Auch sie sieht so verpennt aus, dass ich ihr neben dem (schon länger bestehenden) Sympathie- und Anerkennungsbonus auch noch einen aus Mitleid mit auf den Lese-Weg gebe. Die Augenbrauen sind jetzt leicht gestutzt. Warum? Im Text gibt es einen Mini und einen Mercedes. Und zwei Frauen: eine Stiefmutter, die Kathrin heißt und Sylvia ist die Tochter. Die beiden wechseln die Erzählperspektiven. Die Geschichte beschreibt deren gegenseitige Annäherung innerhalb einer komplizierten Beziehung. Nach einem Überfall, den Kathrin erst im Laufe der Handlung zu verarbeiten schafft, soll der Mini verkauft werden (der im Rahmen des Überfalls vorübergehend gestohlen worden war), vielleicht soll ihn aber doch lieber die Tochter bekommen, die gerade ihren Führerschein gemacht hat und mit einem Drogendealer zusammen ist. Sprachlich ist das verknappt (zuweilen arg abgenutzt). Aber sehr konsequent. Symbolik manchmal etwas altbacken. Die Form scheint mir insgesamt sehr amerikanisch, der Inhalt, die Figuren und die Details sehr deutsch (und das meine ich nicht negativ!).

Endlich streitet die Jury ein wenig und es gibt Ansätze einer echten Diskussion. Herr Corino findet das Ende unglaubwürdig. Frau Strigl erklärt es ihm. Frau Radisch erinnert ihre Kollegen an die Sprache dieses „Psychodramas", von der sie „sehr enttäuscht" ist und deren „Kleinbürgersprech" sie keine Funktion zuordnen kann. Die anderen Juroren versuchen, sie diesbezüglich aufzuklären. Warum sie sich hier an „Die wilden Hühner" erinnert fühlt, begreife ich nicht. Frau März, von der Silke Scheuermann eingeladen wurde, verteidigt nun ihren „Schützling". Sie hebt die „Realität" der Geschichte heraus und bringt den unverlässlichen Erzähler ins Spiel. Kurz holt sie aus, gegen ihre Kollegen, die immer so abgehoben sind. Und meint, Ingo Schultze würde jetzt hier auch verschmäht werden.

Ronald Reng läuft durch Barcelona und sieht sich als Nische in der Literatur. Er philosophiert über Abschiede und Neuanfänge. Das ist ja mal ganz was Neues… Sowieso ein komischer Typ. Dramatisch guckt er beim Lesen in die Runde und versucht, ebenso zu lesen. Sofort habe ich Schwierigkeiten mit der Stilistik. Lisa, Lothar und die Kinder. Ein achter Geburtstag, Anfang der Achtziger. Eine dem Tod geweihte Mutter, eine vergessene Tasche, Eis essen. Viel Dialog, sehr gestelzt, gewollt und nicht gekonnt. Bisher eindeutig der mieseste Beitrag. Ich habe teilweise fast körperliche Schmerzen angesichts der Formulierungen. Beispiel: „Sie spürte nicht die Blicke, sondern nur die plötzliche, erwartungsvolle Stille, die sich auf sie richtete." Oder noch schlimmer:  „Die Eingangstür der Eisdiele stand himmelweit offen, drinnen war es dämmerdunkel und, wie auf der Straße, fast menschenleer." Der Plot langweilt schrecklich, obwohl die Konstellation doch viel versprechend ist. Geht gar nicht.  (An einem gehässigeren Tag, würde ich hier einen Volkshochschulkurs Creative Writing empfehlen.)

„Plane Familienausflugsnacherzählung ohne Tempo und Ökonomie", sagt dann auch Klaus Nüchtern. Ijoma Mangold sieht „keine Komposition und lächerliche Formulierungen". Ich bin erstaunt, dass Iris Radisch an dem Text Qualitäten finden kann. Weitere Fehler werden aufgezeigt (nicht zuletzt banale Recherche-Fehler). Dass zur Verteidigung des Autors hervorgebracht wird, es sei ja nur ein Romananfang und der ginge ja noch weiter, kann ich nicht nachvollziehen.

In der Pause geht’s um die Gruppe 47 im Allgemeinen und Grass/Walser im Besonderen. Aha…

Kurz nach 11 Uhr  fährt Dieter Zwicky im Gabelstapler durch seinen unaufgeregten Film und erklärt: „Freitag ist Schreibtag." Beim Vorlesen bemüht der Schweizer sich um Hochdeutsch. Lange Sätze, Plauderton, Eigenwilligkeit. Zuweilen lustig, zuweilen schräg. Wieder finden wir uns in den Achtzigern, wieder geht es um ein Paar, aber irgendwie auch um eine Quitte. Die Leute haben komische Namen. Zwicky spielt mit Sprache, was herausfordert, auch Spaß macht, aber eine Geschmacksfrage bleibt. Und ich fürchte, dass dies nicht den meinen trifft. „Der Text schwatzt übers Schweigen", sagt Nüchtern. In der Diskussion werden Zeichentrickserien, die Schweizer Uhren, der Baum der Erkenntnis und sogar noch die Lautverschiebung untergebracht.

Michael Stavaric rollt das R und mag Eishockey weil er gebürtiger Tscheche ist. Ebenfalls in seinem Filmchen vorkommende Cafes und Friedhöfe sollen wohl auch letzten Zweiflern klar machen, dass er Schriftsteller ist und zwar einer der alten (Bohemien-) Schule. In rotem Hemd, das mit Brusthaar protzt (was dann ja durchaus irgendwie zum Text passt), liest er seinen Text: Mann und Frau, Männlichkeit und Weiblichkeit. In seinem Text kommt erst Sex vor und dann Gewalt, dann wieder Sex. Zwischendurch Gott, Herzen, Krieg, Zeugung, Kannibalismus und Plastikpalmen. Und Palmdiebe. Volles Programm. Man weiß ja, dass Sexszenen nur sehr schwer unpeinlich zu schreiben sind, aber meine Stirn muss sich hier und da ziemlich runzeln: „Sie habe von mir geträumt, wie ich rieche und schmecke und wie ich mein Hemd aufknöpfe und meine Hose ausziehe, wie ich sie nehme, gleich in der Tür, dass sie ihre Beine verspreizt im Türstock, dass sie schwebt und ich ihr weiches Fleisch teile und ihre Kokosmilch trinke." Zum Glück ist das alles auch ein wenig doppelbödig und seine Sprache gefällt mir teilweise sehr gut. Bin trotzdem noch unentschlossen, ob ich das Ganze wirklich mag. Recht viel Applaus.

Ijoma Mangold mag Sex in Texten nicht (oder ganz besonders?), da das nur nach Aufmerksamkeit heischt und ihn von allem anderen ablenkt. Frau März dagegen findet ihn „furios apokalyptisch" und „melancholisch". Der Name Jelinek fällt, das Geschlechterkampfthema wird angerissen.

Ich freu mich auf den Nachmittag. 

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10 Meinungen

  1. Schön, daß mal jemand die unzähligen sprachlichen Mängel der fast durchweg sterbensöden Texte zur Kenntnis nimmt. Der Jury fällt das entweder nicht auf, oder es interessiert sie nicht; wahrscheinlich hält man Sprachkritik in den Kreisen dieser erlauchten Schwadroneure für oberflächlich. Aber wenn schon die Oberfläche nicht stimmt, warum sich dann überhaupt mit dem beschäftigen, was darunter liegt (so etwas darunter liegt)? PS: Zu Herrn Stavarics Brustbehaarung: 1. protzt allenfalls er selbst damit und nicht sein Hemd ;), und 2. warum „protzt“ er überhaupt; er hat nun mal eine behaarte Brust – muß er die deshalb schamhaft verstecken?

  2. @Scream Queen: Danke für die Anerkennung. Aber ganz so vernichtend würde ich insgesamt dann doch nicht urteilen… -Zum Thema BRUSTHAAR: Da es aber sein Hemd ist (im Gegensatz zu den Oberteilen der anderen männlichen Autoren), das den Blick auf die Behaarung letztlich ermöglicht, habe ich mir die Freiheit genommen, es so zu formulieren. – Dass man Brustbehaarung verstecken muss, habe ich so ja nicht gefordert, sie fiel mir eben nur sehr auf. Schliesslich hat der Text all der „Männlichkeit“ ja teils sehr schön entsprochen…

  3. Gebongt. Aber lesen würde ich von diesem ganzen Krempel freiwillig so gut wie nix. Was anderes: Kann nicht mal jemand eine Liste verbotener Wörter zusammenstellen, für deren Benutzung die Juroren jeweils zehn Euro in ein Sparschwein oder dgl. stecken müssen? Nullingervokabeln wie „Versuchsanordnung“ oder „Modellspiel“ (was immer das sein soll) würden defintiv darunterfallen. Auch könnte man ihnen mal stecken, daß ein Text noch lange nicht schlecht ist, nur weil er die (falschen) Erwartungen des Rezensenten nicht erfüllt. Heute bislang prätentiöseste und bescheuertste Formulierung eines Jurors: „Das hat mich butzenscheibenhaft berührt“ (wie heißt dieser Österreicher in dem Röschenhemd?). Jayzus.

  4. hihi… gute Idee mit dem Phrasenschwein. -Spontan möchte ich nominieren: „Effizienz“, „Textökonomie“ sowie „Dichte“. Morgen werde ich mal genauer drauf achten. -P.S. Das Röschenhemd heisst Nüchtern.

  5. Marc | Wissenswerkstatt

    Ja, zugegeben: Nüchtern trägt häßliche Hemden. Aber das „butzenscheibenhaft“ für Oesterles Sprachgestus war treffend. Sowas muß und soll man sagen dürfen. 😉

  6. „Sowieso ein komischer Typ. Dramatisch guckt er beim Lesen in die Runde und versucht, ebenso zu lesen. Sofort habe ich Schwierigkeiten mit der Stilistik.“Schwierigkeiten mit dem Stil genügen wohl nicht. Muss gleich die Stilistik sein. Aber sich über anderer Leute Stilismus beschweren, was? Ts!

  7. Warum so böse, Herr bonaventura? Ein literarischer Text mit dem Anspruch, in Klagenfurt zu gewinnen, darf wohl etwas kritischer betrachtet werden als eine mehr oder weniger „dahingerotzte“ Meinungsäußerung, die bewusst sehr subjektiv gefärbt ist. Das ist doch gerad der Spaß daran! – Dennoch bleibe ich dabei, „Stilistik“ gemeint zu haben und eben nicht nur „Stil“. -Herr Kollege, ich bitte doch sehr, hier die angemessene Leichtigkeit nicht zu sehr aus den Augen zu verlieren… Ts!

  8. Einfach mal den Ironie-Detektor nachjustieren, Frau Kollegin. „Stilismus“ ist der zentrale Auslöser! Und dann mal im Fremdwörter-Duden nachschauen, was der Unterschied zwischen Stil und Stilistik ist. Und um das Hingerotzte ging es gerade. Wir sind ja sowas von locker drauf beim Kritisieren! Viel Spaß noch beim Egotrip!

  9. @Marc: Ich habe mich nicht an dem Ausdruck „butzenscheibenhaft“ gestört – wiewohl Herr Nüchtern den für meinen zugegebenermaßen unmaßgeblichen Geschmack schon ein paarmal zu häufig in den Mund genommen hat; mit so was sollte man äußerst sparsam umgehen -, sondern an der Kombi mit „berührt“. Weil es ihm zu banal und popelig ist, schlicht und einfach zu sagen „Ich fand den Stil butzenscheibenhaft“ o.s.ä. versucht er’s a bisserl edler zu formulieren – und fährt den Satz denn auch prompt gegen die Wand. Ein Phänomen, was im übrigen bei den meisten Juroren zu beobachten war, auch wenn der Mangold in der Disziplin nahezu unangefochtener Champion ist; Heiz läuft außer Konkurrenz: Hat der Mann sich eigentlich selbst verstanden?

  10. INGEBORG BACHMANN-Preis 2014:Dafür klicken sie umgehend:Diabetes-Kartei Karten NEU oderIHR Buch schreiben..;“auch Sie sind ein Autoren-Genie….“Diese relatet links machen aus der ernsthaften Autorin I. Bachmann eine Farce.Wahrscheinlich kauft ihre TB momentan keiner….

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