Ich bin wunderschön: weiß, groß, elegant. Meine Türen gleiten auf feinen Edelstahlschienen geschmeidig auf und zu. Als meine Besitzerin mich im Geschäft fand, streichelten ihre manikürten Finger meine glatte Oberfläche. Sie begutachtete mich von allen Seiten, gurrte Ohs und Hmhms und bestellte mich in ihr Haus. Nach dem unbequemen Akt des Umzugs, sortierte die kleine Dame sorgsam Blazer, Blusen, Cardigans, feine Hosen auf Bügeln in mein Inneres, ebenso wie riesige Stapel Tops, T-Shirts, Pullover und Jeans. In den Fächern fanden Foot- und Underwear ihren Platz. Zufrieden mit sich und mir schloss sie seufzend die Schwebetür und ich war glücklich.
Dann der Schock am nächsten Morgen. Zerzaust und schlecht gelaunt zerrte die kleine Dame an meinem Griff, starrte grimmig bis in die tiefsten Winkel und begann Teil für Teil herauszufetzen, anzuprobieren, zu verwerfen und in mich zurückzustopfen. Eine halbe Stunde dauerte diese Tortur, bis sie endlich die Tür wieder zurumste. Ich sah aus wie eine große offene Wunde und so fühlte ich mich auch.
So geht es jetzt seit zwei Jahren fast jeden Tag. Nur einmal pro Woche tapst sie ganz friedlich daher, fummelt zielstrebig einen olivgrünen Frottee-Anzug hervor und lässt die Tür halb offen. Irgendwann später kommt sie zurück und beseitigt fürsorglich das Chaos in mir.
Mittlerweile gestaltet sich diese Aufgabe zunehmend schwierig, denn ich leide an grässlicher Verstopfung. Laufend wächst unsere WG. Und es sind nicht immer samtige Schmusetypen, die dazukommen. Sogar Nieten-Gürtel hatten wir dabei, aber auch eine zickige aquablaue Abendrobe. Naja, langsam jedenfalls wird es eng: Hinter der ersten T-Shirt-Reihe klemmt jetzt eine zweite. Und hinter den Jeans versteckt sich ihr Lieblings-BH nun schon seit fünf Wochen. Am schlimmsten ist das Gejammer der depressiven Kleidungsstücke, die entweder als Fehlkäufe oder als Ex-Hippe-Teile ein tristes Dasein fristen. Kurz vor dem Motten-Freitod steht die lila-karierte Bluse, das Superschnäppchen, das den Lieblingen gegenüber das Maul aufgerissen hat, sie wäre die, die ab heute täglich und so. Nun hängt sie faltig in der Ecke und träumt davon in irgendeinem Altkleidersack eine neue Familie zu finden.
A propos Familie. Jüngst sind lauter süße Dessous hier eingezogen. Spitze, Schleifchen, Seide. Dazu ein paar freche Stringtangas. Das war ja noch ganz lustig. Aber dann tauchte er auf: Ein dunkelblauer Wollpullover, kratzbürstig und mit strengem Geruch. Ganz sicher kam der nicht aus einer Nobel-Boutique, sondern direkt von der Straße. Und er brachte ständig Kumpels mit: Streifen- und Polohemden und schließlich sogar ein paar höchst merkwürdige Unterhosen. Lange kann das nicht gut gehen. Entweder werde ich verkauft oder verschrottet gar – oder bekomme ich Unterstützung? Aber dann übernimmt der Neue die Klamotten der kleinen Dame und ich gehe in Rente als Männer-Kleiderschrank!
Herrlich dieser Artikel. Ich denke in fast jedem Frauen-Kleider-Schrank sieht es so aus. Wunderbar erzählt aus der Sicht des Kleiderschrankes – so das man schon mit ihm/ihr Mitleid bekommen könnte. Lg. Angela (ich glaube ich sollte auch mal ausmisten…)