Die anonymisierte Bewerbung soll soziale Ungerechtigkeit durch Diskriminierung abschaffen und die Effizienz der Unternehmen erhöhen. Indem persönliche Angaben geschwärzt werden, soll sich der Fokus der Personalchefs auf die Daten verlagern, die ausschließlich für die Qualifikation ausschlaggebend sind. Wenn nur auf die Qualifikation geachtet werde, erhöhe das die Leistung des Unternehmens.
Gegenwärtig befindet sich das Bewerbungsverfahren in der Testphase. Im Ausland, genauer den USA und in Frankreich, wurden anonymisierte Bewerbungen bereits eingeführt.
So kommt die anonymisierte Bewerbung zustande: was sie alles nicht beinhalten darf
Angaben zu
- Geschlecht
- Familienstand
- Alter
- Name
- Herkunft
- Geburtsort
- Behinderungen
sind nicht aufgeführt. Ebenso wird auf Fotos verzichtet. Nur Zeugnisse und Dokumente, welche die Qualifikation und Eignung des Bewerbers bezeugen, bleiben relevant.
Vor- und Nachteile der anonymisierten Bewerbung im Gespräch
Damit sich die anonymisierte Bewerbung in deutschen Landen erproben kann, startet die Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Herbst eine einjährige Testphase. Dieser angeschlossen haben sich namhafte Unternehmen: die Telekom Deutschland und die Post, Mydays, L’Oréal, Procter & Gamble. Außerdem: das Bundesfamilienministerium, die Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen der Bundesagentur für Arbeit.
Wozu sollen von Fließbandarbeitern und Laboranten auch Fotos verlangt werden? Qualifikation kann man an Fotografien nicht ablesen, sehr wohl aber können sie sich unterschwellig nachteilig auswirken.
Ganz ausradiert werden können persönliche Details natürlich nicht. An Angaben aus den Zeugnissen etwa kann man in etwa auf Herkunft und Alter schließen.
Die Kritiker führen eine Reihe von Einwänden an. Erstens sei die Praxistauglichkeit fraglich. Denn dadurch, dass mehr Einladungen zu Vorstellungsgesprächen anfallen, würden Kosten erhöht. Es könne außerdem kein diversity management mehr betrieben werden, durch welches gerade anhand der persönlichen Merkmale eine vielfältige, gerechte Personalstruktur zusammengesetzt werden soll. Der konsequente Gegeneinwand müsste lauten, ob anonymisierte Bewerbungen nicht das diversity management durch den ausgewogenen Zufall ersetzen, mit welchen Sie zumindest Vorstellungsgespräche bereichern.
Aufgrund des Fachkräftemangels seien Unternehmen ferner sowieso gezwungen, äußersten Wert auf die Qualifikation eines Bewerbers zu legen. Dies ist aber kein Einwand gegen das ethisch bessere Prinzip hinter dem Weglassen persönlicher Angaben. Die Vorgehensweise von Personalchefs, welche tatsächlich und grundsätzlich nur nach der Qualifikation entscheiden, werden durch die Einführung anonymisierter Bewerbungen nicht davon abgehalten.
Zuletzt bleibt die Frage, ob die sorgfältig ausgeräumten Vorurteile nicht spätestens im Vorstellungsgespräch zum Tragen kommen. Bewerber, auf welche die üblichen Knockout-Kriterien wie zu hohes Alter oder die Kinder zuhause zutreffen, müssen mehr an sich arbeiten, um die Befürchtungen von Personalchefs auszuräumen. Aber immerhin – sie erhalten die Chance dazu.
Wissenschaftliche Testphase
Wahrscheinlich wird die anonymisierte Bewerbung über standardisierte Online-Formulare vereinfacht werden. Klassische Bewerbungen in Papierform sollen von neutralen Stellen geschwärzt werden, bevor sie den Entscheidern vorgelegt werden.
Der Testlauf wird wissenschaftlich begleitet werden. Die Studie will eben zu heiklen Punkten wie der Praxistauglichkeit für Unternehmen Ergebnisse sichern und herausfinden, ob das Bewerbungsverfahren tatsächlich die Chancen auf eine Einladung zum Vorstellunggespräch und einer Einstellung in den Beruf von bisher benachteiligten Bewerbern erhöht.
Zuletzt noch dies: Auch wenn sie in manchen Bereichen begründet sein mag, darf die Sorge, dass Menschen mit Behinderungen oder ausländischer Herkunft trotz höherer Qualifikation die Effizienz des Unternehmens beeinträchtigen, weil sie Zielscheiben für Diskriminierung und Mobbing werden, in einer modernen Gesellschaft keinen Einfluss haben.
weiterführende Links:
http://www.sueddeutsche.de/karriere/bewerbung-im-familienministerium-zuschriften-bitte-ohne-foto-1.983308
http://www.zeit.de/karriere/bewerbung/2010-08/anonyme-bewerbungen
Das geschilderte Verfahren führt meiner Meinung nach lediglich zu Mehrkosten (Vorprüfung der Unterlagen, Zunahme der Zahl sowie der zeitlichen Dauer von Bewerbungsgesprächen, Reisekosten, Ausfallzeiten etc.), ohne dass es zu einer spürbaren Chancenverbesserung von sozial benachteiligten Bewerbern/Bewerberinnen kommt. Da sich die genannten persönlichkeitsbezogene Kriterien nun mal nicht verheimlichen lassen, diese sich nun erst beim Vorstellungsgespräch offenbaren, ist zu erwarten, dass sich mit der Zeit eher ein nachteiliger Effekt einstellt. Personalverantwortliche werden nicht dauerhaft bereit sein, ihre Zeit mit „Überraschungskandidaten“, zu vertrödeln, mit solchen, die ihr (subjektiv geprägtes) Anforderungsprofil von vornherein nicht erfüllen. Die Frustration, zwar zu vielen Gesprächen geladen, dann aber doch nicht genommen worden zu sein, dürfte bei den Bewerbern nicht minder hoch sein wie bei Absagen nach der hergebrachten Methode.
Herwig Silber, Autor des Romans: „3 zu viel für diesen Job“.