Ade, Generation Praktikum. Abschied von einer Illusion.

Nach dem Studium Praktika bis zum abwinken. Wochen-, Monate-, ach was sage ich, Jahrelang! Ohne Geld, zu miesen Bedingungen, Überstunden, Frust und nichts Zählbares am Ende. So oder ähnlich klingt sie, die Selbstbeschreibung der Generation Praktikum. Wie rührend.

Eine ganze Generation (!) [laut Duden die Gesamtheit der Menschen ungefähr gleicher Altersstufe] gefangen in Endlospraktika. Wie grausam.

Doch worauf stützten sich diese Annahmen und Beschreibungen? Im wesentlichen auf eine Studie der DGB Jugend und (Selbst-) Beschreibungen in den Medien.

Die DGB Studie

Zitat: „Insgesamt konnten 89 beantwortete Fragebögen in die Auswertung einfließen."

Neunundachtzig. Wow. Die Studie basiert auf Daten von 89 Teilnehmern. Da sollte selbst dem statistischen Laien klar werden, dass dies wohl kaum aussagekräftig sein kann. Verallgemeinerungen auf Grund der Daten von 89 Befragten vorzunehmen erscheint denn auch mehr als gewagt, nämlich waghalsig.

Weiter verzerrt wird die ohnehin schon dürftige Studie durch die Fachrichtungen der Teilnehmer. Darunter beafnden sich nämlich 46 Sozial- bzw. Wirtschaftswissenschaftler (rund 50%), 31 Geisteswissenschaftler (rund 35%), 6 Naturwissenschaftler, 3 Rechts- und 2 Humanwissenschaftler. Das diese Verteilung nicht der realen Verteilung der Studierenden auf die Fachrichtungen entspricht, dürfte auf der Hand liegen. Der extrem hohe Anteil von Sozial-, Wirtschafts- und Geisteswissenschaftlern (85%!) dürfte in der Realität nicht einmal annähernd erreicht werden.

Alles zusammengenommen ist die Studie damit ziemlich belanglos, ein Pfeiler der Generation Praktikum mithin eingestürzt.

Die Nabelschau der Medien

Zitat Kolja Briedis, Experte beim Hochschul-Informations-System: „Dazu kommt, dass Praktika besonders in der Medienbranche sehr verbreitet sind, und die Medien widmen sich selbst nun einmal viel Aufmerksamkeit. Bei der Nabelschau wird übersehen, dass das Phänomen in vielen anderen Branchen überhaupt nicht auftritt."

Viele Sozial- und Geisteswissenschaftler arbeiten nun mal in den Medien und wo wird oft und gern mit Praktika gearbeitet? Na klar, in den Medien! Man berichtet also über Probleme die man selber hat, klopft sich gegenseitig aufmunternd auf die Schulter und weint ab und an wahrscheinlich auch ein wenig.

Nur, mit der Realität hat das alles meist nicht viel zu tun.

Denn: „Nur 3 Prozent der Uni-Abgänger in Informatik oder in den Ingenieurwissenschaften machen nach dem Abschluss ein Praktikum. Bei den Geisteswissenschaftlern sind es 8 Prozent, bei den Sozial- und Politikwissenschaftlern 28 Prozent. Und was noch wichtiger ist: Nur ein verschwindend geringer Anteil bleibt länger als sechs Monate Praktikant."

Und: „Alle bisher im Rahmen des Absolventenpanels vom HIS veröffentlichten Studien weisen keinen signifikanten Anstieg der von Hochschulabgängern absolvierten Praktika vor dem Berufseinstieg aus. Augenfällig konstant sei auch die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Praktika, die bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet sind."

Es herrscht eine „gefühlte Ausbeutung".

Zudem geht es Akademikern nach wie vor weitaus besser als dem Rest der Bevölkerung – Praktika hin oder her. So hat die Akademikerarbeitslosigkeit in den letzten 30 Jahren nie die Marke von 5% überschritten (!). "Der Anteil der Arbeitslosen in der Gruppe der Personen ohne Berufsabschluss hat sich im selben Zeitraum auf mehr als 20 Prozent vervierfacht. An diesem Ende der Bildungsskala liegt das tatsächliche Problem am deutschen Arbeitsmarkt."

Ferner finden mehr als 80% der Akademiker nach eigenen Angaben einen volladäquaten Job, entsprechend ihrer vorangegangenen Fachrichtung oder Ausbildungsart.

Uns geht's also gut – und es wird noch besser. Denn der Arbeitsmarkt wird sich ab 2015 weiter entspannen. Viele jetzt Erwerbstätige werden dann in Rente gehen (sofern es die dann noch gibt) und die Nachfrage nach jungen, gut ausgebildeten Akademikern aller Fachrichtungen wird weiter zunehmen.

Also, ein bisschen weniger Selbstmitleid und ein wenig mehr Realitätssinn, bitte!

4 Meinungen

  1. Manchmal muss man bei einer Thematik, die als aufgeblasenes Problem daher kommt, nur den Stöpsel ziehen. So ist das bei der Generation Praktikum auch.

  2. Verallgemeinerungen der Form „Generation X“ oder „Generation Y“ sollten immer mit Skepsis genossen werden, es sei denn sie ordnen sich von selbst in den Bereich der literarischen Fiktion (wie bei Douglas Coupland). Im Grunde ging es in der Debatte ja darum, dass sogenannte „prekäre“ Arbeitsverhältnisse zunehmen. „Generation prekär“ hört sich aber nicht so gut an. Und einfach nur „zunehmen“ lockt auch niemanden an den Bildschirm. Also wurde für ein paar Wochen die „Generation Praktikum“ ausgerufen. Und bald folgt dann die nächste, mindestens ebenso prekäre Generation.

  3. Manches ist aber wohl wahr. Hört Euch nur einmal meine traurige Geschichte an.Im Jahre 2002 kam ich, der ich zu diesem Zeitpunkt arbeitslos war und in Meiningen wohnte, in Kontakt mit der Thüringer Akademie Erfurt GmbH (Unternehmensgruppe Dr. Döllekes). Dort berichtete man mir, dass die CIS Institut für Mikrosensorik gGmbH in Erfurt dringend qualifiziertes Personal zwecks Festanstellung suche. Ein Vorstellungsgespräch mit einem Vertreter der Thüringer Akademie Erfurt GmbH vor Ort im CIS Institut für Mikrosensorik gGmbH, an dem u.a. auch der Leiter desselben, Herr Dr. Freitag teilnahm, verlief positiv. Man teilte mir mit, dass ich zunächst ein unbezahltes Praktikum absolvieren müsse, während dem man sich einen Überblick über meine Fähigkeiten verschaffen wolle. Seien meine Leistungen während des Praktikums gut, so beabsichtige man, mich fest einstellen. Meine Leistungen waren, wie auch im Arbeitszeugnis bestätigt wurde, sehr gut.Als man mich dann trotz der sehr guten Leistungen nicht wie versprochen nach 6 Monaten eingestellt hat, bin ich vors Arbeitsgericht Erfurt gezogen und habe, da natürlich von Seiten des CIS alles frech abgestritten wurde, den Arbeitsgerichtsprozeß verloren. Da ich während des Praktikums und danach von Sozialhilfe lebte, mußte ich, um den Arbeitsgerichtsprozeß führen zu können, Prozeßkostenbeihilfe beantragen, die auch genehmigt wurde. Vor einigen Tagen habe ich nun ein Schreiben des Arbeitsgerichtes Erfurt erhalten, in dem die Kosten für den Arbeitsgerichtsprozeß in Höhe ca. 1400 EURO von mir zurückgefordert werden. Nicht genug damit, dass ich unbezahlt gearbeitet habe. Jetzt soll ich auch noch draufzahlen. Das kommt nicht Frage. Dieses Schreiben hat bei mir wieder alles – wie eine ins Unterbewußtsein abgetauchte und dort vermoderte Wasserleiche – hochkommen lassen. Ich empfinde die Demütigung, jemals unbezahlt gearbeitet zu haben, stärker als je zuvor. Schlimm ist, dass man das Trauma, unbezahlt gearbeitet zu haben, niemals mehr los wird. Der abgrundtiefe Hass auf diejenigen, die einen in einer Notlage, wie sie die Arbeitslosigkeit darstellt, auch noch ausgebeutet haben, wird mit den Jahren immer größer. Je mehr man verdient, um so mehr merkt man, wie sehr man ausgenutzt wurde.Wer meint fleißige MA so behandeln zu können, gehört als asoziales Unternehmen ganz dringend an den Pranger gestellt. Alle verdienten. Die CIS Institut für Mikrosensorik gGmbH, indem es eine Arbeitskraft unbezahlt schuften lassen konnte, die Thüringer Akademie Erfurt GmbH, indem sie Gelder der Arbeitsagentur einstreichen konnte. Nur ich war der Verlierer. Kein Lohn, keine Beiträge zur Rentenversicherung und psychische Probleme. Und jetzt noch die erwähnten Kosten des Arbeitsgerichtsprozesses. Es reicht!Ich lebe übrigens jetzt in Baden-Württemberg. Glücklicherweise. Dass ich in den Osten zurückkehren werde, ist ausgeschlossen. Das jahrelange „Überangebot“ an arbeitslosen hochqualifizierten Arbeitskräften im Osten hat zu einer Verrohung des Umgangs mit dieser volkswirtschaftlich wichtigsten Ressource durch die Unternehmen geführt, die kurzsichtig war und sich nun zu rächen beginnt.Leute ich kann Euch nur raten: kein Praktikum. Verlangt direkt, was ihr Wert seid. Und wenn die Euch noch so oft erzählen, wie wichtig ein Praktikum. Die wollen die produktivste Zeit Eures Lebens für umsonst und erzählen dafür sonstwas für Märchen. Und wenn Ihr in einem von Arbeitslosigkeit geplagten Bundesland wie Thüringen lebt, in dem man es sich wegen des (noch) reichlich vorhandenen Fachkräfte-Pools meint erlauben zu können, dieses wie den letzten Dreck zu behandeln und auszunutzen, dann mein weiterer dringender Rat: Nichts wie weg.Viel Glück Euch.

  4. ich hab schon viel schwachsinn gehört, aber hier geh ich an die decke. martin hat scheinbar keinen noch so geringen dunst, wie es vor allem in den ostdeutschen metropolen aussieht und richtige ausführliche statistiken gibst sicher nur noch nicht, weil sich entweder keiner traut die wahrheit zu erfahren oder weil ausgerechnet in dieser aufgabe (ausnahmen bestetigen die regel) noch kein praktikant beschäftigen muss. ich kenne hier in leipzig eigentlich überhaupt keinen einigermassen intellektuellen menschen in meinem alter bzw zwischen 22 und 29, der einen einigermassen gut bezahlten job hat. die meisten haben bereits seit mehreren jahren ein schlechtbezahltes „volontariat“ und ein unbezahltes praktikum nach dem anderen gemacht, wissen überhaupt nicht, von was sie irgendwann mal ne familie ernähren sollen und was arbeit überhaupt noch für einen sinn hat, und du type laberst hier was von illusion?man man, ich möchte wissen aus was für ner gegend du kommst, die klingt für mich wie ein paradies in dem arbeiten, lernen und kulturvoll leben wieder sinn macht.man so wie jetzt grade hab ich mich noch nie im internet aufgeregt und ich muss mich ganz schön beherrschen nicht dinge zu schreiben für die du mich vorn greicht zerrst. das was du hier von dir gibst ist die illusion, und zwar eine ganz fatale und schönfärbende!andi.

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