Nokia hat in den Neunzigern, meist wird vom Zeitraum 1995 bis 1999 gesprochen, Subventionsgelder zum Umbau der ehemaligen TV-Fabrik Bochum zum Handy-Werk erhalten. Die Angaben über die Höhe der insgesamt erhaltenen Fördermittel schwanken zwischen 55 (sagt Nokia) und 85 (sagt Rüttgers) Millionen Euro und setzen sich angeblich aus EU-Strukturförderung, Landes- und Bundesmitteln, wie auch Fördermitteln der Stadt Bochum zusammen. 1999 sollen 17 Millionen Euro aus der Landeskasse an Nokia überwiesen worden sein. Daran soll die Verpflichtung geknüpft gewesen sein, mindestens 2.856 Arbeitsplätze (erstaunlich, dass es dazu eine sehr exakte Zahl gibt) zu schaffen und zu erhalten. Allerdings sei die Verpflichtung am 15. September 2006 ausgelaufen. Die Haltefristen aus den übrigen Fördergeldern konnte ich nirgends finden, es ist aber als sicher zu betrachten, dass auch diese Fristen abgelaufen sind.
Also: Nokia hat Fördergelder bekommen, an die Verpflichtungen geknüpft waren. Nokia sagt, man habe alle Verpflichtungen erfüllt. Rüttgers sagt, es müsse noch geprüft werden, ob Nokia tatsächlich die geforderten 2.856 Arbeitsplätze geschaffen habe. Hieran dürften berechtigte Zweifel bestehen, wenn man die kommunizierten Zahlen von 2.300 bis 2.500 Mitarbeitern betrachtet. Stellt sich letztlich heraus, dass hier ein Verstoß gefunden werden kann, würde Nokia aller Voraussicht nach verpflichtet werden können, einen (geringen) Teil der zuletzt erhaltenen 17 Millionen zurück zu zahlen. Hinsichtlich der restlichen Fördermillionen dürfte Nokia auf der rechtlich sicheren Seite sein.
Fazit: Nokia darf nach Recht und Gesetz sein Bochumer Werk schließen. Insofern ist die Empörung der politischen Kreise unberechtigt.
Berechtigt hingegen sind ein paar andere Dinge. Sicherlich muss man sich fragen, welchen Sinn Einzelsubventionen in diesen horrenden Größenordnungen haben, wenn man damit ohnehin keine Nachhaltigkeit garantieren kann. Jede Haltefrist läuft halt irgendwann aus. Auch berechtigt ist die Frage, warum man ausgerechnet Unternehmen subventioniert, die aus sich selbst heraus in der Lage wären, Investitionen vorzunehmen. Nokias Reingewinn wird immerhin auf 1,6 Milliarden Euro beziffert. Da dürften 80 Millionen den Inhalt der Portokasse repräsentieren. Diese Gelder hätten regionale KMU, die ums Überleben kämpfen und keine Finanzierungsalternativen haben, wesentlich besser gebrauchen können. Außerdem halten solche Unternehmen in der Regel die entstandenen Arbeitsplätze auch, weil es denen eben tatsächlich um Wachstum und nicht nur um den nächsten billigen Produktionsstandort geht.
Es muss doch klar sein, dass ein global operierendes Unternehmen keine Ortsbindung entfaltet. Nokia ist es schlicht egal, wo produziert wird. Und Nokia kann es sich aussuchen. Also geht Nokia dahin, wo man es ihm am Schmackhaftesten macht. Dann bindet man sich ein paar Jahre und zieht weiter. Wo man dann hinzieht, fließen wieder Subventionen, sonst zieht man eben woanders hin. Rumänien kann man keinen Vorwurf machen. Dort sitzen schlicht die gleichen Intelligenzbestien in politischen Ämtern wie hierzulande auch.
Wenn man nun all dies zur Kenntnis nimmt, woran entzündet sich dann Politikers Zorn? Dass das Volk wütend schreit, ist immerhin verständlich, geht es doch um deren nacktes Überleben. Der Politiker jedoch kennt das Spiel. Er spielt es schließlich täglich. Und er weiß aufgrund vieler Beispiele der Vergangenheit auch, dass der Ablauf von Haltefristen bei multinationalen Unternehmen in der Regel zur Aufgabe von Standorten führt, wenn die Unternehmen nicht zusätzliche eigene Erweiterungs- und/oder Modernisierungsinvestitionen vornehmen. So betrachtet war der Abzug Nokias von Beginn an vorher zu sehen, denn deren mangelnde Bereitschaft nachzuinvestieren ist wohl seit Jahren kritisch beäugt worden.
Politisch beeinflussen kann man so etwas jedoch nicht, jedenfalls dann nicht, wenn die Eigeninvestitionsquoten bei Subventionen (also der Anteil der Gesamtsumme, die das Unternehmen allein tragen muss) nicht deutlich angehoben und die Haltefristen nicht drastisch verlängert werden. Tut man solches indes, wird man im globalen Subventionswettbewerb auf die Nase fallen. Insofern ist auch die Forderung von Experten, die bisherige Subventionspraxis komplett einzustellen, berechtigt und konsequent. Woran Rüttgers und andere sich nun entzünden, hat also keinerlei rechtliche Substanz. Man regt sich über ein vollkommen legales, vereinbarungskonformes Verhalten eines Subventionsnehmers auf.
Warum? Man hatte wohl Hoffnung. Hoffnung, dass Nokia auch nach Ablauf der Fristen bleiben würde. Hoffnung deshalb, weil das Werk doch profitabel lief. Hoffnung, weil man eben gerne Hoffnung hat. Und Hoffnung, weil es natürlich nicht anständig ist, erst Fördergelder zu nehmen und dann zu schließen, ohne dass es dafür einen unter Anstandsgesichtspunkten akzeptablen Grund gibt. Unter Anstandsgesichtspunkten deshalb, weil es aus Sicht von Nokia natürlich einen Grund darstellt, wenn das Unternehmen durch Verlagerung Kosten minimieren kann. Es ist ein rein betriebswirtschaftlicher Grund zwar, aber ein Grund und aus Sicht der Aktionäre vielleicht sogar ein guter. Nun wurden alle gehegten Hoffnungen, wenn sie auch noch so unbegründet waren, zerstört und der Hoffende fühlt sich betrogen. Mehr als das Gefühl kann er dem Vorgang aber nicht entgegen bringen. Und aus Gefühlen entstehen keine Anspruchsgrundlagen.
Ist demnach also alles in Ordnung? Ist es selbstverständlich nicht. Natürlich darf man sich über kalten Kapitalismus, der die Menschen in der Betrachtung außen vor lässt, aufregen. Man muss es sogar. Natürlich ist es berechtigt, die alte Diskussion um die Sozialbindung des Kapitals wieder auf das Podest zu hieven. Selbstverständlich darf man sich wünschen, Unternehmen zum Bleiben zu zwingen, solange ein Standort schwarze Zahlen schreibt. All das ist vollkommen berechtigt und würde auch zu einer sozial gerechteren Gesellschaft führen.
Dann jedoch sollte man sich wieder beruhigen und nüchtern erkennen, dass Deutschland auf dem Weg in die Globalisierung den Point Of No Return längst hinter sich gelassen hat. Wir müssen uns also auf Dauer mit solchen Vorgängen, wie sie uns jetzt Nokia präsentiert, abfinden. Natürlich müssen wir uns nicht damit anfreunden. Es ist auch nicht so, dass wir gar nichts tun könnten. Wir haben schon Macht. Die Macht, die uns gegeben ist, ist als Verbraucher zu reagieren. Diese Macht wird weithin unterschätzt und so gut wie nie konzentriert ausgeübt. Das mag man entschuldigen, weil wir ja erst lernen müssen, in globalisierten Zusammenhängen effektiv zu reagieren. Aber, das werden wir auch lernen. Da bin ich zuversichtlich.
Lassen Sie uns heute damit beginnen: No more NOKIA!
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Quellen und Diskussionsbeiträge:
Rüttgers jagt die "Subventions-Heuschrecke"
Nokia lehnt Verhandlungen ab
Experten verlangen generellen Subventionsstopp
EU-Kommissar Barroso verteidigt Nokia
Rüttgers will Fördergelder zurück
Nokia wehrt sich gegen Vorwurf des Subventionsmissbrauchs
War das "Aus" für Nokia ein offenes Geheimnis?
Zehn Gründe, die gegen Nokia sprechen
Nokia und der Arbeiterführer
Das NOKIA-Special auf derwesten.de
Klüger als jeder Politiker
Ich bin für einen Nokia Boykott.Ich denke nur das dies bei Nokia einkalkuliert ist wenn der Boykott nur einige Monate andauert.Ein Boykott hat nur Sinn wenn er solange andauert bis es zu neuen Quartalszahlen kommt, also bis zum Weihnachtsgeschäft. Die Aktionäre müssen es spüren, dann tut sich etwas.Es funktioniert nur durch Nachhaltigkeit.Wer erinnert sich noch an Mannesmann und Vodafon? Oder an den Stellenabbau der Deutschen Bank?Ohne nachhaltigen Boykott hat es keinen Zweck.Igorhttp://www.webmastermarkt.de
Also bitte, der Sinn einer Firma ist es nicht nett zu sein, sondern Geld zu verdienen. Und wenn die Politiker so kurzfristige Haltefristen setzen, dann sollten wir doch eigentlich andere Politiker wählen, denn die haben den Fehler begangen. Man hätte ja auch noch 10 Jahre Frist 1500 Mitarbeiterzahl in den Vertrag schreiben können. Hat man aber nicht. Fragen wir uns doch mal, was die Politiker bekommen haben, als die die Gelder überwiesen haben, da ist sicher ein guter Teil auf das Privatkonto des Politikers geflossen. vermutlich schreien die jetzt am lautesten.Und die Gelder sind sicherlich gut angelegt gewesen, denn sonst hätten wir 2400 Arbeitslose bezahlen müssen. Die haben wir jetzt über 10 Jahre nicht bezahlt.Wer Nokia jetzt boykottiert, der ist hochgradig naiv und dumm. Alle anderen Firmen machen das genauso, und wir wählen trotzdem immer SPD und CDU im Wechsel.Jedes Volk kriegt die Politiker, die es verdient. Wir wollen doch verarscht werden. Und in zwei Wochen ist doch eh wieder Ruhe in den Medien, weil irgendwas anderes wieder ist.
.@danielgolesny: Dann nehme ich Dein Kompliment „hochgradig dumm und naiv“ zu sein gern an. Das ist mir immer noch lieber, als wie Du in zynischer Resignation durchs Leben zu wanken. Da würde ich noch Todeslust entwickeln. Das will ich nicht..
Hallo,ich finde auch das hat der deutsche Staat sich nun selbst zuzuschreiben, die Politiker können jetzt nicht „knatschen“ wir was vor Jahren beim „zusammenschluß“ der EU beschlossen wurde, jede Firma will/muß Gewinn machen, max. Gewinn und sonst nichts, wenn Nokia meint im Ausland ist es preiswerter zu Produzieren und es gibt auch noch Förderung für den Bau einer Fabrik… dann wären diese wohl schön Blöd wenn sie es nicht machen würden…Gruß
Also ich halte diese ganzen „Boykott-Aufrufe“ gegen Nokia für nur wenig zielführend und auch sehr kurzfristig gedacht…Nokia handelt weder gegen das Gesetz noch unmoralisch. Als die Werke in Deutschland gebaut wurden, wurden dafür Werke in Finnland geschlossen. Haben wir uns damals aufgeregt oder an die armen Finnen gedacht? Ich glaube nicht. Der Staat hat dieses „unoralische“ Vorgehen freudig mit Subventionen unterstützt. Nun wandern eben diese Arbeitsplätze nach Ungarn, einem strukturschwachen Land, dass wie damals Deutschland zukünftig davon profitieren wird.Anstatt jetzt zum Angriff auf Nokia zu blasen, sollte man lieber die Politiker auflaufen lassen, die in kursichtiger Art und Weise Steuergelder verschleudern und versuchen uns zu erzählen, der Staat könne auf diese Art und Weise dauerhaft Arbeitsplätze schaffen (Was lange nicht mehr stimmt, was auch alle wissen, was wir alle dennoch nur zugern glauben).
also ich finde nokia verstößt überhaupt nicht gegen moralvorstellungen oder sonst was … wir leben in zeiten der globalisierung und für uns erscheint der drang nach mehr gewinn bei nokia vielleicht als egoistisch und so weiter aber wenn man bedenkt, dass nokia unter hartem konkurrenzkampf steht und jede lücke ausnutzen muss um zu überleben dann ist das doch das normalste auf der welt was nokia macht
Meiner Meinung nach wurden an dieser Stelle viel zu einfach Subventionen vergeben ohne langfristige Bedingungen zur Grundlage zu machen. Nun ist das Geschrei groß. Allerdings darf man sich im Prinzip nicht beschweren, wenn man selbst dem Unternehmen vorher die Millionen nachgetragen hat.