Von heute an müssen Hartz-IVler mit schärferen Kontrollen
und härteren Sanktionen rechnen. Wer zum dritten Mal innerhalb eines Jahres
eine Qualifizierungsmaßnahme oder eine Stelle ablehnt, läuft Gefahr, dass ihm
die Leistungen empfindlich gekürzt werden. In Zukunft wird jedem, der einen
Antrag auf Bezug des ALG II stellt, umgehend ein Job- und
Qualifizierungsangebot unterbreitet. Auf diese Weise soll sofort ermittelt
werden, ob der Betroffene bereit ist, einer geregelten Arbeit nachzugehen oder
nicht. Um Missbrauch und nicht angegebenem Vermögen auf die Spur zu kommen,
sollen die zuständigen Ämter leichter Daten von Langzeitarbeitslosen abgleichen
können. Die Ämter sind auch angehalten, ALG-II-Bezieher in regelmäßigen
Abständen zu kontaktieren, durch Hausbesuche etwa oder Telefonanrufe. Zukünftig
müssen Antragsteller im Zweifelsfall nachweisen, dass sie keiner
„Bedarfsgemeinschaft“ angehören, der gegenüber Ansprüche auf finanzielle
Unterstützung geltend gemacht werden könnten („Beweislastumkehr bei
eheähnlichen oder partnerschaftsähnlichen Lebensgemeinschaften“).
Gleichgeschlechtliche Partnerschaften werden dabei eheähnlichen Gemeinschaften
gleichgestellt.
Dies sind einige der zentralen „Verschärfungen“, die das
ohnehin nicht gerade leichte Leben der Hartz-IVler noch unangenehmer machen.
Man hat sie auf dem Kieker. Sie liegen angeblich der Allgemeinheit auf der
Tasche, kosten zu viel und sind nicht wirklich bemüht, sich selbst aus ihrer
prekären Lage zu befreien. Stattdessen „gammeln sie herum“, wie kürzlich Volker
Kauder, Fraktionschef der CDU im Bundestag, unverhohlen meinte. Niemand solle
sich in seiner Hartz-IV-Existenz einrichten, das sei nicht Sinn und Zweck des
Reformwerks, ließ Bundesarbeitsminister Franz Müntefering obendrein verlauten.
Hartz IV laufe aus dem Rudern, die
Kosten explodierten, hört man landauf, landab. Daher wurde auf die Schnelle das
nun in Kraft getretene „SGB-II-Fortentwicklungsgesetz“ erarbeitet, von dem sich
die nötige Abhilfe versprochen wird. Einsparungen in Höhe von 4 Milliarden Euro
soll das Gesetz bis Ende 2007 bringen, allein 500 Millionen Euro bereits in
diesem Jahr.
Bei genauerer Betrachtung kann aber weder von einer
Kostenexplosion beim Arbeitslosengeld noch von statistisch signifikantem
Missbrauch die Rede sein. Der Staat zahlt deutlich weniger für Arbeitslose als
vor den Hartz-Reformen. Zu diesem Schluss kommt ein Zwischenbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung (WSI).
Demnach sind die Kosten für ALG-II-Bezieher und ihre
Familien im Jahr 2005 zwar um 5,8 Milliarden Euro höher ausgefallen als 2004.
Diesem Anstieg stehen aber enorme Einsparungen beim ALG I gegenüber: 0,2
Milliarden Euro beim Insolvenzgeld, 2,1 Milliarden Euro beim Arbeitslosengeld I
und 5,5 Milliarden Euro bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik.
Diese „Kostenimplosion“ beim ALG I, die sich auf 7,8
Milliarden Euro beläuft, kompensiert folglich die Mehrausgaben für die
Grundsicherung der Langzeitarbeitslosen und nichterwerbsfähigen
Sozialhilfeempfänger. Auch ohne die Arbeitsmarktreform wären die Gesamtkosten
2005 um 4,9 Milliarden Euro höher ausgefallen als im Jahr zuvor, teil das WSI
mit. Für den Anstieg der Ausgaben um 5,8 Milliarden Euro auf insgesamt 44,4
Milliarden Euro im Jahr 2005 im werden drei Gründe genannt: Zum einen hat die
Zahl der Bedarfsgemeinschaften zugenommen, die ALG II in Anspruch nehmen. Die
Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe hat dazu geführt, dass mehr
Hilfsbedürftige die ihnen rechtmäßig zustehende Grundsicherung beantragt haben
als erwartet: schätzungsweise 1,8 Millionen, die bis Ende 2004 noch in
„verdeckter Armut“ gelebt haben.
Zum zweiten ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen stetig
gestiegen, von 1,3 Millionen im Jahr 2003 über 1,4 Millionen 2004 auf 1,5
Millionen 2005.
Der dritte Grund ist schlicht der, dass es weniger
ALG-I-Bezieher gibt, trotz gestiegener Arbeitslosenzahlen. Seit Einführung der
Arbeitsmarktreform am 1. Januar 2005 müssen sich viele Menschen bereits nach
einem Jahr Erwerbslosigkeit mit der Grundsicherung nach Hartz IV zufrieden
geben. Nicht nur die verkürzte Bezugsdauer ist ein Grund für diesen Rückgang,
sondern auch die Tatsache, dass sich die Bundesagentur für Arbeit verstärkt auf
die sofortige Vermittlung von ALG-I-Beziehern in offene Stellen konzentriert
hat.
Berechnungen des WSI zufolge muss der massive
Leistungsmissbrauch bei Hartz IV, der von politischer Seite so lautstark
beklagt wird, als Mythos betrachtet werden. Datenabgleiche der Bundesagentur
mit anderen Behörden hätten ergeben, dass im Jahr 2005 ALG-II-Leistungen in
Höhe von lediglich 27 Millionen Euro zu Unrecht ausgezahlt worden seien, was
einem Anteil von 0,2 Prozent am Gesamtbetrag ausmache, der 2005 in Form von ALG
II ausbezahlt wurde (ca. 25 Milliarden Euro).
Nun, was sagen uns diese Analysen? Die Forderung nach
weiteren Kürzungen beim ALG II und der ökonomische wie auch moralische Druck,
der auf Arbeitslose ausgeübt wird, sind überzogen. Da wird der Mythos der
Kostenexplosion gepflegt, da werden Bedürftige als Schmarotzer und Faulenzer
verunglimpft, wo finanzpolitisch gesehen Einsparungen zu verzeichnen sind. Die
gegenwärtige Reformdebatte um Hartz IV, die noch lange nicht beendet ist (erst
am Wochenende hat Bundeskanzlerin Merkel betont, dass die Reform im Herbst
erneut überarbeitet werden müsse), hat nur zu einer weiteren Verunsicherung der
Betroffenen geführt, die sich irgendwann zurecht fragen werden, ob sie sich
überhaupt noch als vollwertige Mitglieder dieser Gesellschaft begreifen dürfen,
denen ausreichend soziale Anerkennung und Wertschätzung zuteil wird.
Auch das Forscherteam vom WSI äußert seine Vorbehalte gegen
allzu drastische Sparmaßnahmen und Einschnitte:
„Erreicht
wird durch die aktuelle Politik der Daumenschrauben und des Spardiktats
lediglich, dass – bei ausbleibender Arbeitsnachfrage – die Menge der
zwangsläufig in Passivität verharrenden, stigmatisierten und unter
Generalverdacht gestellten Personen wächst und Vertrauen und
Zufriedenheit als Fundament eines demokratischen Sozialstaats
schwinden.“
So ist es. Aber was wäre anzuraten? Das WSI dazu:
„Will man Langzeitarbeitslosigkeit wirksam bekämpfen und das Anwachsen von Armut verhindern, ist es notwendig, anstelle einer weiteren Reduzierung der Leistungen das Existenzminimum neu zu definieren und Eingliederungsmittel tatsächlich zu verwenden. Nur dann kann das eigentliche Ziel der Reform eingelöst werden: Die Stärkung der individuellen Autonomie der Arbeitslosen durch Bereitstellung existenzsichernder sozialer Leistungen und die aktive Förderung der Wiedereingliederung.“
Wenngleich das WSI nun wirklich gewerkschaftsnah ist und man daher zu den vorgeschlagenen Maßnahmen sicher noch ein paar Veränderungsvorschläge vorbringen darf, sind die die erarbeitet Zahlen sehr interessant. Leistungsmißbrauch ist dann in der Tat ein Mythos. Eine derart verschwindend geringe Summe lässt nur zwei Rückschlüsse zu. Entweder die Kontrollinstanzen in den ARGEs haben versagt oder viel wahrscheinlicher: Hier wird von politisch verantwortlichen Populismus zu Lasten der Schwächeren in der Gesellschaft gepflegt. Und das von Leuten wie Kurt Beck….