Formfragen

Literarisch gesehen, sind heute solche Formfragen Schall und Rauch, die Schlachten wurden gestern geschlagen. Ein Beispiel: Der Kundige erkennt ein modernes Gedicht fast nur noch, weil viel weißer Raum um kurze Zeilen existiert. Ansonsten ist der Reim passé, den Rhythmus und die Prosodie, den schmissen die jungen Wilden gleich mit über Bord.

Nicht wahr, so sieht’s doch aus:

Der Kundige
erkennt

ein modernes Gedicht
fast nur noch,
weil viel weißer Raum
um kurze Zeilen

EXISTIERT

Ansonsten ist
der Reim passé
den Rhythmus und die Prosodie
den schmissen
die jungen Wilden
gleich mit

über Bord.

Tscha, wer wollte bestreiten, dass wir hier ein Gedicht vor uns haben? Es taugt nur nichts – das aber ist ein anderes Thema.

Ebenso ist es mit dem Roman: Jedes dicke Buch heißt heute Roman, meistens sagen uns die Verleger auf dem Titelblatt, worum es sich handelt. Direkt befragt aber, vermöchten sie wohl auch keine klare Definition mehr zu geben. Meistens gibt es einen Helden, würden sie sagen, manchmal auch mehrere, immer einige Verwicklungen, und die Zeit und die Gesellschaft spielen auch eine Rolle. Es geht um das große Ganze also. Während in der Erzählung oder der Geschichte meist nur eine kurze ‚Story‘ ausgewälzt wird, ganz ohne großartige Parallelhandlungen.

Blogbeiträge wiederum sind in meinen Augen meist nur ‚Notizen‘, ‚Augenblickseinfälle‘, Blätter, die uns ein kurzes Ereignis schildern, aus der Perspektive des werten Ich. Wie dieser Text hier. Das Episodische ist das Metier der Blogs, abgerissene Kalenderblätter im Wind, die unaufhörlich unten am Bildschirm verschwinden, die mittendrin beginnen und an guten Tagen sogar mit einer Pointe enden. Oder es sind Meinungen, Manifeste oder Pamphlete, wo der höchst empörte Blogger gewissermaßen seine eigene Partei gegründet hat. Hyde-Park-Corner im digitalen Raum.

Ach ja, Themenblogs gibt es auch noch …

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