Im schwer mit Kultur und Zivilisation beladenen Bauch des Flaggschiffs konservativen Denkens in dieser Republik, dort wo die Redakteure sich ihrer staatstragenden Bedeutung bewusst sind, wo sie sich qua Beruf zugleich als Sprachwahrer fühlen, da genießt der Redakteur neuerdings ganz ungewohnte Freiheiten.
Am 25. Mai 2007 schreibt die FAZ in der Überschrift zu einem Feuilletonartikel: 'Wo Ralph Giordano Recht hat, hat er Recht'.
Kurz darauf resümiert der gleiche Verfasser am Ende eben desselben Textes: 'Aber wo er recht hat, da hat er recht'.
Jetzt fragt sich nur noch, in welcher Schreibweise der Giordano recht hat …
Was dies Beispiel illustriert, ist die feuilletonistische Selbstabschaffung aller Regeln dank einer famosen Rechtschreibreform. Auch im Journalismus weiß niemand mehr, was Sache ist. Natürlich können wir uns hierbei auf den Standpunkt stellen, zu sagen: 'Es ist doch toll, wenn die armen Schüler keine Regeln mehr beachten müssen'. Allerdings wäre das nur dann wirklich 'toll', wenn wir die falsche Ansicht hegten, solche Regeln seien nur zur sadistischen Befriedigung diktatfixierter Deutschlehrer da.
Dieser Blick auf die Sprache aber ist grundfalsch: Die Regeln sind für den Leser da, ihm soll die Lektüre erleichtert werden. Zum Exempel gibt es den Konjunktiv deshalb, damit der Leser weiß, dass hier von einer bloßen Möglichkeit die Rede ist – oder aber, dass im Text gerade nur das wiedergegeben wird, was jemand anders gesagt hat. Wenn wir solche Regeln schleifen, wenn wir also das Gerüst oder das Skelett aus den Sätzen entfernen, dann wird die Sprache, in der wir schreiben, einfach nur unverständlich. Regeln geben Struktur, wir können uns mit ihrer Hilfe als Leser im Satz leichter orientieren: Jede angewandte Regel wirkt wie ein Wegweiser zum erwünschten Sinn, den wir im Kopf des anderen erzeugen wollen. Die Grammatik ist für die Sprache gewissermaßen das, was die Spanten für das Schiff sind.
Ich habe dieses schöne Beispiel übrigens im Sprachkritik-Blog von Prof. Ickler gefunden, wo Deutschlands Sprachwächter ebenso empörte wie flammende Reden gegen die vermurkste Reform halten – oft sogar zu recht. Immer noch lohnend zum Thema ist auch ein etwas älterer Artikel im 'Tagesspiegel', allein schon wegen der schönen Überschrift 'Wo sie Recht haben, haben sie recht'.
Falls es jemanden interessiert, hier kurz meine Meinung: Es sollte zumindest 'recht haben' heißen, egal was die Reformer dazu sagen. Der Wortbestandteil 'recht' wird hier adverbial ergänzend gebraucht, die Qualität eines 'Habens' wird näher erläutert. Und Adverbien werden durch Übereinkunft nun mal klein geschrieben, weil es keine 'Dinge' sind. Noch besser wäre sogar die alte Schreibweise 'rechthaben' (s.a. 'rechthaberisch' und eben nicht 'Recht haberisch'). Denn es geht ja hier nicht darum 'das Recht' im Besitz zu 'haben', so als ob hier jemand mit Gesetzestafeln unter dem Arm herumliefe, sondern um die ergänzende Eigenschaft ('Qualität') eines bestimmten Habens. Rechthaben wäre also das passende zusammengesetzte Verb. Dass es sich keinesfalls um 'großgeschriebene' [oops! I did it again] Substantive im Text handeln kann, das macht auch das Resultat einer simplen 'Artikelprobe' deutlich: 'Wo Ralph Giordano das Recht hat, da hat er das Recht …'. Im Falle explizit gemachter Substantive verschiebt sich der Sinn, der Giordano besäße jetzt gewissermaßen ein 'Privileg' oder 'Recht', so wie der Pfalzgraf einst das Recht der ersten Nacht hatte. Was uns wiederum zeigt, wie beknackt in diesem Fall die Großschreibung in der FAZ semantisch wirklich ist …
Mir zeigt diese fruchtlose Diskussion um Regeln und Ausnahmen (alt wie neu) immer wieder nur, dass das Problem um „Recht haben“ oder „recht haben“ und vergleichbare Fälle darin begründet liegt, dass wir nach wie vor überhaupt Groß- UND Kleinschreibung haben. Denn die zitierte verschwurbelte Regel um den adverbialen Gebrauch von „Recht“ in „recht haben“ und die demgemäß zwingend folgende Kleinschreibung ist im Grunde völlig überflüssig:Sie trägt nichts, aber auch gar nichts zum Verständnis des Satzes bei.Und man erkläre das einmal einem die Schriftsprache erwerbenden Kind. Vor allem, wenn es dann fragt, warum es nicht folgerichtig heißt:“recht haben ist nicht gewissheit haben“Man könnte eigentlich auch umgekehrt sagen, dass es sich um den adverbialen Gebrauch handelt, WEIL „recht“ in diesem Fall klein geschrieben wird.Zum Beispiel.Im Grunde ist das in meinen Augen heute wie gestern eine revisionistische Scheindiskussion von (überwiegend) Leuten aus der Journaille und Autorenzunft, die mit den „neuen“ (meist inzwischen über zehn Jahre alten) Regeln nicht zurecht kommen (wollen). Sie stellen sie in die Kritik und den „alten“, angeblich sinnvollen Regeln gegenüber, die sie selbst ebenfalls nie explizit gewusst haben – sie waren lediglich aus langjährigem unbewusstem Gebrauch in Fleisch und Blut übergegangen.Die ganze dumme Diskussion wäre gar nicht auf dem Tisch, wenn es eine richtige Reform gegeben hätte, welche die überflüssige Großschreibung abgeschafft hätte.Wir wären in diesem Falle unserer Schriftsprache nach wie vor in höchst vielfältigem Maße mächtig, der Reichtum an Ausdrucksmöglichkeiten wäre nicht im Mindesten eingeschränkt, ebenso wenig wie die Verständlichkeit.
Ja, das ist ein gebräuchliches Argument: Würde nur die Großschreibung konsequent abgeschafft, dann hätte es DER SCHREIBER endlich sehr viel leichter. Umgekehrt wird in meinen Augen ein Schuh daraus: Deshalb, weil wir die Großschreibung von Substantiven und Namen haben, sind deutsche Sätze sehr viel leichter überschaubar (wenn sie denn ‚richtig‘ geschrieben sind, womit ich innere Logik eines Satzes meine, nicht das, was alte und neue Schreibpäpste in ihre Lehrbücher schreiben). Dann hat es nämlich DER LESER leicht. Und darauf kommt alles an – aufs Gelesenwerden, nicht auf die Probleme des Schreibers damit, einen solchen Text aufs Papier oder den Monitor zu bringen.
Dass es der Leser bei Groß-/Kleinschreibung leichter hat, Sätze für ihn leichter überschaubar sind (?), liegt nur daran, dass er es gewöhnt ist und nicht anders gelernt hat. Insofern könnte das als Argument gegen jedwede Regeländerung verwendet werden.Die „Anderssprachlichen“ um uns herum haben wohl ziemlich allesamt Kleinschreibung und garantiert keinerlei größere Schwierigkeiten beim Lesen als wir. Selbst ich als bloß halbwegs geübter „Schul- und Studium-Englischleser“ lese amerikanische Romane in dieser Hinsicht völlig problemlos und flüssig wie deutsche Texte auch.Man könnte wahrscheinlich sogar stichhaltig argumentieren, dass der initiale Großbuchstaben als Indikator redundant ist, da die von ihm gelieferte Information sowieso aus der syntaktischen Struktur hervorgeht.Ich glaube manchmal, dass unsere akademischen Kreise den deutschen Lesern grundsätzlich nicht allzu viel Lesekompetenz zutrauen. Und wenn es ihnen daran mangelt, dann resultiert das meist aus mangelnder Lesepraxis, nicht aus mangelhafter Regelkenntnis.
Na, denn sag doch mal, was ist leichter zu lesen – das oder das? :‘mit dem sommerloch meinte ich ausschließlich die ausweidung von alphonsos angelegenheiten durch mitunter minderqualifizierte mitleser. sowas führt zu keiner besserung, sondern zeigt vielmehr (wie du ja auch feststellst), dass jeder teilnehmer (egal wo) nach unbestimmter zeit dazu geneigt ist, sich durch dummzeug zu profilieren. zuerst trifft es dabei im internet immer die chats, dann die foren und schließlich auch die kommentare in blogs.“Mit dem Sommerloch meinte ich ausschließlich die Ausweidung von Alphonsos Angelegenheiten durch mitunter minderqualifizierte Mitleser. sowas führt zu keiner Besserung, sondern zeigt vielmehr (wie du ja auch feststellst), dass jeder Teilnehmer (egal wo) nach unbestimmter Zeit dazu geneigt ist, sich durch Dummzeug zu profilieren. zuerst trifft es dabei im Internet immer die Chats, dann die Foren und schließlich auch die Kommentare in Blogs.<
Dass Gewöhnung mit hineinspielt, mag ja richtig sein, dass es nur an der Gewöhnung liegt, stimmt nicht. Wenn das strukturierende Rauf und Runter wirklich so egal wäre, könnte die Forderung auch lauten, nur noch in Versalien zu schreiben, dann entfielen auch noch Ober- und Unterlängen. Zum Ab- bzw. gar nicht erst Angewöhnen empfehle ich die Lektüre der Werke des ansonsten geschätzten, in dieser Frage aber dogmatisch verbohrten Otl Aicher – Hunderte von Seiten nur Minuskeln, bis einem lustige Männchen vor Augen tanzen.
Es gibt dazu ein paar (hier zeigt sich schon, dass wenn paar immer klein geschrieben würde, es zu Irritationen käme) sehr schöne Beispiele aus dem Buch „Deutsch für Kenner“ von Wolf Schneider (ich weiß, nicht wirklich Ihr Lieblingsautor):Der gefangene floh. Der Gefangene floh. Der gefangene Floh.Ich habe liebe genossen. Ich habe liebe Genossen. Ich habe Liebe genossen. Helft den armen vögeln. usw.Also wollen wir hoffen, dass uns die generelle Kleinschreibung erpart bleibt.