Sprachrhythmus / Teil 2

Wir reden und schreiben in Prosa. Würden wir außerhalb der Bühne oder des „Dichterischen" in gebundener Sprache reden, wäre der Effekt nur lächerlich: „Mein unverdorbner Mund soll, ohne viel zu wählen, nur einen Kniff erzählen. Denn tät' ich alle kund, so wäre zu besorgen, ich säng' bis übermorgen". So also bitte nicht! In der Prosa zählt nicht das strenge Versmaß, schon gar nicht der Reim, in der Prosa zählt der Wechsel der Tempi, der «sprachliche Alltag».

Es gab und gibt aber Menschen, die das nie recht verstanden haben. So flogen einst Karl May seine Jugendsünden um die Ohren: die Zuchthausstrafen und die große Lebenslüge, dass er all seine Abenteuer im Wilden Westen und im Orient selbst erlebt habe. Um die Pressemeute zu widerlegen, fuhr May also in die USA und schrieb aller Welt Postkarten mit der Unterschrift Old Shatterhands. Am meisten wurmte ihn aber der Vorwurf, dass er nur ein Kolportageschriftsteller sei, aber gar kein richtiger «Dichter». Aus dieser Kränkung entstand das «Alterswerk» – all jene ungenießbaren Bücher, die Titel trugen wie «Der Löwe der Blutrache», «Der Mir von Dschinnistan», «Das versteinerte Gebet» oder auch «Winnetous Erben». Ungenießbar sind sie vor allem deshalb, weil Karl May in ihnen als Dichter posierte. 

Was aber macht ein Dichter? Er schreibt – dachte zumindest May – im gebundenen Stil. Über Seiten hinweg flossen ihm jetzt die Jamben wie norddeutscher Landregen aus der Feder, Hebung reihte sich an Senkung und Hebung an Senkung, bis der eingelullte Leser mit dem Kopf im Buchfalz aufschlug: „Das war das Ross der Himmelsphantasie, der treue Rappe mit der Funkenmähne, der keinen andren Menschen trug, als seinen Herrn, den nach der fernen Heimat suchenden. Sobald sich dieser in den Sattel schwang, gab's für Beide nur vereinten Willen. Die Hufe warfen Zeit und Raum zurück, der dunkle Schweif strich die Vergangenheiten. Des Laufes Eile hob den Pfad nach oben. Dem harten Felsen gleich ward Wolke, Dunst und Nebel…". Kurzum: Grauenhaft! Wie die Osterpredigt in einer Dorfkirche.

NIEMALS dürfen wir in der Prosa ein Versmaß über längere Strecken – und auch nicht über die Mittelstrecke – sklavisch durchhalten. Die Prosa lebt von der Abwechslung. Um einfach mal das klassischste aller Beispiele vom ollen Cato zu zitieren: „Ce-te-rum cen-se-o Car-tha-gi-nem de-len-dam es-se". Zwei eher statische Anapäste zu Beginn (Dreisilber, die betont beginnen), dann gibt der antike Kriegshetzer die Zügel frei, es erfolgt der Wechsel in den dynamischeren Jambus. Und weil's so schön war, hat Cäsar diesen Beat am Beginn seines Berichtes über den gallischen Krieg schlicht geklaut: „Om-ni-a Gal-li-a in par-tes tres di-vi-sa est". 

Bleibt die Frage, was wir mit diesem vertrockneten Käse aus Methusalems Zeiten sollen? Nun: „Blog-ger sind Wan-de-rer zwi-schen den Wel-ten, die zwischen alt und neu ver-blüf-fend we-nig Gren-zen zie-hen". Okay, zu Beginn sind's diesmal gleich vier Anapäste – aber sonst? Mit anderen Worten: Auch wenn grammatisch die Gräben zwischen den alten Sprachen und dem modernen Deutsch tief sind, sprachrhythmisch hat sich seither verdammt wenig verändert. Anders ausgedrückt: Sätze, die sich einprägen sollen, müssen «Duktus» haben.      

  

Hier die wichtigsten Rhythmusregeln:

– Ein guter Prosatext hat eine variantenreiche, rhythmische Struktur.  

Der natürliche Wortrhythmus muss sich dabei dem Satzrhythmus fügen, niemals darf einem Wort ein Rhythmus aufgezwungen werden, es sei denn, man wolle bewusst komische oder pathetische Wirkungen erzielen: „Ein Gedicht soll ich euch senden? / Nun, so geht mit dem Leidenden / Nicht zu strenge ins Gericht! / Nehmt den Willen für Gewährung, / kühnen Reim für Begeisterung, / diesen Unsinn als Gedicht!"

– Vierhebige Zeilen lassen sich aus gehirnphysiologischen Gründen besonders gut memorieren.  

– Niemals sollen mehr als zwei unbetonte Silben aufeinander folgen – oder der Text verfällt ins Bürokratische bzw. in unredigiertes Nachrichtendeutsch.

– Wenn der Rhythmus eines Textes stottert, und Sie dennoch mit dem Inhalt und den gewählten Worten zufrieden sind, versuchen Sie es mit Umstellungen, stellen Sie die Schrift anders, verwandeln Sie sich in einen «Schrift-Steller».  

– Betonte Dehnungen, die aufeinander folgen, sind entweder ein Witz oder ein Fehler: „Also gaaanz äährliesch!" Achten Sie auch auf die Kürze und Länge von Silben, die bloße Betonung allein ist nur ein Aspekt. Eine Achtelnote muss anders behandelt werden wie eine Viertelnote.

– Für Headlines und Slogans: Reim ist ‚out', Versmaß bleibt ‚in'.

– Auch Satzzeichen sind Teil der rhythmischen Struktur („Pausenzeichen").

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