Ein guter antisemitischer Roman?

In Literaturseminaren gibt es beim Thema ‚Antisemitismus im Kaiserreich‘ zwei übliche Verdächtige – Gustav Freytags ‚Soll und Haben‘ und Wilhelm Raabes ‚Hungerpastor‘. Von Heinrich Mann und seinem Debutroman ‚Im Schlaraffenland‘ ist nur ausnahmsweise die Rede. Die Handlung: Ein zugewanderter  galizischer ‚Landstreicher aus dem Wilden Osten‘, der Jude James L. Türkheimer, beherrscht darin mit seinem Börsengeld die gesamte Kunst– und Journalistenszene Berlins um 1890. Heinrich Mann nimmt dabei insbesondere die ästhetischen Konsequenzen aufs Korn: Entscheidend ist in dieser Welt nicht mehr der Rang eines Kunstwerks, sondern viel mehr, wer mit wem schläft. Im Zentrum steht eine parodierte Aufführung von Gerhard Hauptmanns ‚Die Weber‘, ein Stück, das dort unter dem Titel ‚Rache‘ mit seiner Abschlachtung der Bourgeoisie durch vertierte Proletarier dem Nervenkitzel dieser affektierten Bourgeois-Blase dient.

Es ist ein Schlüsselroman jüdischen Gesellschaftslebens in jeder Hinsicht: die Ullstein’schen und Mosse’schen Schreiberlinge werden aufs Korn genommen, Kerr hüpft durchs Bild, Theodor Herzl, der Vater des Zionismus, dienert als ‚Anwalt Liebling‘ durch die Salons, Heinrich Mann selbst tritt einzig ‚wirklicher Künstler‘, als Schriftsteller Friedrich Köpf, in Erscheinung, der eine ‚Sonde‘ in Person des Provinzlers Andreas Zumsee in Türkheimers Dunstkreis platziert, indem er diesen Naiven mit Madama Türkheimer verkuppelt. Das Personal der Salons heißt ‚Schmeerbauch‘, ‚Kaflisch‘, ‚Goldherz‘, ‚Süß‘, ‚Jekuser‘ oder ‚Bediener‘. Zumsees Aufstieg zum ‚Dramatiker‘ ist durch seine Liaison  unaufhaltsam, weil alles, was feuilletonistisch jubeln kann, das Spiel für den Erwerb von Vorzugsaktien mitspielt. Zum Schluss wird Zumsee wieder rausgekegelt, weil er Frau Türkheimer mit Türkheimers Geliebter betrügt.

Das ‚System Türkheimer‘ aber bleibt bestehen. Wie ein Renaissancefürst setzt der Börsenspekulant nach einer gigantischen Finanzspekulation mit ‚texanischen Gold Mounts‘ dem besiegten Berlin den Fuß in den Nacken. Ach so – selbst die beliebte Arbeiterbewegung spielt im Roman keine revolutionäre Rolle mehr, der Sozialdemokrat Matzke verkuppelt vielmehr höchstselbst seine minderjährige Tochter an James Türkheimer um ‚auf Jummirädern fahrn‘ zu können. Und der verarmte preußische Adel – ‚müde Rasse‘ – gibt seinen Namen her für profitable Heiratschancen im jüdischen Milieu.

Kurzum: Wenn das kein Antisemitismus ist, dann weiß ich auch nicht. Heinrich Mann hatte kurz zuvor auch für die Zeitschrift ‚Das 20. Jahrhundert‘ – und darin unter Titeln wie ‚Jüdischen Glaubens‘ – antisemitische Pamphlet-Artikel verfasst, die den Texten eines Dühring oder Marr in nichts nachstehen. Was Manns Antisemitismus hier allenfalls erträglich macht, ist, dass in diesem Buch ausnahmslos alle ihr Fett wegbekommen, niemand ist mehr ‚Hoffnungsträger‘, schon gar nicht der betrogene ‚arische Bürger‘, das sind nationale Kollerfiguren, die Heinrich Mann als ‚anständige Spekulanten‘ verhöhnt, die nur darum ‚anders‘ zu sehen sind, weil es bei ihnen zum großen Coup nicht reicht. Eigentlich bleibt nur Friedrich Köpf unbesudelt, eine typische Ästhetenposition also: Heinrich Mann sucht Asyl auf dem Parnass.

Unter literarischem Gesichtspunkt ist das Buch rasant geschrieben, stellenweise urkomisch und das Personal lebt – Heinrich Mann ist eben nicht irgendwer. Die blöden Nazis haben dies Buch 1933 auch noch verboten – das nennt sich dann wohl vollends ‚Ironie der Geschichte‚. Während die Sozialisten der DDR es kommentarlos immer wieder aufgelegt haben, weil es ja unter anderem auch gegen den Kapitalismus geht …

[Der Text ist gleichzeitig auch in meiner Kasperbude, der Sargnagelschmiede, erschienen] 

2 Meinungen

  1. Antisemitismus geht mir – mit Verlaub – auf den Sack! Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir ihn nicht über jedwede Medien bis zum Erbrechen aufs Butterbrot geschmiert bekommen. Da finde ich es manchmal sehr erfrischend, ein so genanntes „antisemitisches Buch“ zu lesen. Den Itzig in Frytags Roman fand ich allerdings so überzeichnet, dass ich ihn eher als Karikatur gesehen habe. Heinrich Manns Roman werde ich mir auch noch zu Gemüte führen. Dann habe ich etwas zu lesen, bevor die nächsten „Stolpersteine“ in der Innenstadt vor Häusern verbuddelt werden, in denen ehemals angeblich verschleppte Juden wohnten, die eigentlich schon in den 20er Jahren die Stadt freiwillig verlassen haben. Was für ein Irrsinn.

  2. In dem Buch sind ausschließlich Karikaturen zu finden – es gleicht einer Punch-and-Judy-Show, vielleicht ist der Text auch ein wenig mit Maupassant verwandt. Heinrich Mann lohnt in jeder Phase die Lektüre: Der frühe Nietzsche-Fan ebenso wie der spätere Repräsentant der Weimarer Republik oder der Stalin-Apologet, der am Ende seines Lebens ‚Ein Zeitalter wird besichtigt‘ schrieb.

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