«Die Wahrheit ist eine Erfindung des Lügners» – der bekannte Satz des Kybernetikers Heinz von Foerster ist überall im Kommunikationsbereich eine «olle Kamelle»: Wahrheit in relativen Zeiten ist nur noch das, was von anderen als wahr anerkannt wird. Absolute Wahrheitsansprüche führen nur in die Ideologie – und in der Folge auf den Scheiterhaufen.
Trotzdem versuchen wir natürlich weiterhin, «wahrheitsfähige Sätze» zu bilden, die in der Diskussion von anderen akzeptiert werden. Dieses «Überzeugen» geschieht mit Hilfe der Argumentation, indem wir nämlich die Prinzipien unseres Denkens, die uns zu bestimmten Schlussfolgerungen geführt haben, sprachlich offen legen.
Die formale Satzlogik listet einige solcher Denkprinzipien auf, die sich wechselseitig aber widersprechen können, weshalb der erste Fehler schon darin bestünde, wenn ich zwei dieser Prinzipien in einem Textabsatz vermische. Hinzu kommt, dass die Sprache ein denkbar unlogisches Instrument ist.
Eines dieser Prinzipien wäre zum Beispiel die so genannte «Gleichheitsregel». Formallogisch ausgedrückt: „A = A", jedes A ist mit sich selbst identisch, oder: alle A's sind als A zu betrachten. Im Alltag begegnet uns diese Regel in Sätzen wie «Alle Menschen sind gleich» oder dem juristischen Hauptsatz «Wesentlich Gleiches muss auch gleich beurteilt werden». Auch «Persil bleibt Persil» fällt unter diese Gleichheitsregel oder der konservative Hauptsatz «Das haben wir schon immer so gemacht!». Genauso wie das Kinderquengeln: «Robin hat aber auch ein Nutella-Brot gekriegt!». Es sind nicht nur einzelne Sätze, die eine solche Argumentation transportieren, ganze Reden oder Artikel können unter dieser Flagge segeln. Zu finden ist diese Argumentation vor allem im familiären und sozialen Bereich, in der Politik oder auch in der christlichen Kirche: «Vor Gott sind alle gleich».
Der letzte Satz enthält bereits einen Bruch mit dieser Regel. Denn im Verhältnis zwischen Gott und den Menschen kommt immer auch die Ungleichheitsregel ins Spiel. Satzlogisch: A ist ungleich A. Denn der Mensch kann niemals mit Gott auf einer Stufe stehen: «Quod licet Iovi non licet bovi». Im Alltag sind diejenigen, die im «Haus des Islam» leben nicht gleichzusetzen mit denen, die außerhalb leben. Die «Leistungsträger» in unserer Gesellschaft haben natürlich auf eine bessere Behandlung Anspruch als die «Luschen» und «Wenn der das macht, heißt das noch lange nicht, dass ich das auch machen muss!». Man sieht, dass die Gleichheits- und die Ungleichheitsregel in jedem Kopf – auch in unserem – perfekt harmonieren können, obwohl sie sich satzlogisch doch ausschließen. Alles ist nur eine Frage der persönlichen Gewichtung, bei dem einen überwiegt die Egalität, bei dem anderen das Elitäre. Und «je nachdem» wenden wir die Regeln an.
Ein drittes Prinzip, das ich anführen möchte, ist die Kausalität. Satzlogisch: B folgt aus A. Es wird Morgen, weil es zuvor Nacht war. Gerade auf dieser Ebene der Folgerichtigkeit lässt sich vieles auch «wissenschaftlich» beweisen, obwohl die «Eggheads» selbst ihre Ergebnisse in kausaler Hinsicht oft erheblich relativieren. Dort aber, wo diese Argumentationsfigur einer «Kausalkette» den Bereich der Naturgesetze verlässt, borgt sie sich ihre Überzeugungskraft regelmäßig von dieser Wissenschaft und den Naturgesetzen: «Die Wirtschaftskrise ist eine Folge der überbordenden Bürokratie». Ein Satz, über den sich zwar trefflich streiten lässt, der aber durch die eingebundene Folge-Sequenz erst einmal Überzeugungskraft gewinnt, wenn er nicht auf einen Kontrahenten trifft, der gleichfalls – «A = A»! – mit allen Wassern der Argumentation gewaschen ist: «Die Wirtschaftskrise ist vor allem eine Folge des Lohnverfalls und der schwindenden Konsumkraft». Kausalität hie – Kausalität da!
Es gibt noch viele weitere Regeln: Wir können auf die Schultern von Autoritäten krabbeln, die Ästhetik ins Feld führen – und vieles mehr. Der Mensch ist erfinderisch, gerade im sprachlichen Bereich. Wir sollten daher beim Schreiben und Bloggen nicht so sehr auf Wahrheit pochen, uns nicht immer gleich Schimpfwörter wie «Lügner» und «Verräter» um die Ohren hauen, sondern uns um eine klare Argumentation bemühen. Immer nur einen «logischen Grundsatz» in einem Abschnitt sauber durchhalten, das verschafft uns den Ruf, einen guten, aufgeräumten Kopf zu haben. Und vor allen Dingen müssen wir auf «Falsifizierbarkeit» achten, darauf, dass die Argumente «unwiderleglich» sind – wie in jenem letzten Beispiel, wo berühmte Zeitgenossen mit einer widerlegbaren Pseudo-Kausalität gearbeitet haben:
Der amerikanische Ex-Präsident Bill Clinton und seine ambitionierte Frau Hillary kolportierten immer gern, dass die Gattin nach dem Mount-Everest-Bezwinger Hillary getauft worden sei. Jetzt widerlegte ein Blogger diese Pseudo-Kausalität schlicht mit Hilfe der Kausalitätsregel: Schließlich könne kein Ereignis aus etwas Zukünftigem folgen. Er wies darauf hin, dass Hillary Clinton 1947 geboren sei, einige Jahre bevor der Mount Everest überhaupt erobert wurde. So dumm kann's kommen, wenn man Argumente mit anekdotischem Bullshit quirlt und sich um Chronologie den Teufel schert …
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