Deutschland. Ein Sommermärchen

Die Nation ist narkotisiert, nahezu Jeder hüllt sich in schwarz-rot-gold und dämmert vor sich hin. Berlin ist nicht mehr Regierungssitz sondern nur noch Fanmeile und Fifa-WM-Stadion, der Reichstag nur Kulisse eines rauschenden Fußballfestes. Dass in Berlin auch Entscheidungen getroffen wurden, die für den gemeinen Fan bedeutender sein sollten, als der Gewinn des vierten WM-Titels, scheint nur Wenigen klar zu sein.
 
Bei der Abstimmung über die Föderalismusreform drückten die Parlamentarier daher nicht nur aufs Tempo, um das Viertelfinalspiel der Deutschen zu sehen, sondern auch kräftig die Daumen, damit die neuen Helden die nächste Runde erreichen. Denn das bedeutet eine weitere Woche Aufschub für notwendige öffentliche Diskussionen über die beschlossenen Reformpakete. Vielleicht ist das Küsschen der Kanzlerin für den Kaiser auch eher als Dank für diesen Aufschub statt als Gratulation für eine tolle WM zu verstehen
 
Denn in sportlich ruhigeren Zeiten, hätte es ausgereicht die Pendlerpauschale zu kürzen und der mediale Aufschrei hätte sich über Wochen hingezogen. Hätte sich die Kürzung verbunden mit einer Benzinpreiserhöhung, wären Parlamentarier vom auflagenstärksten Blatt der Republik gemartert und an den öffentlichen Pranger gestellt worden. Die Situation ist de facto eingetreten. Doch statt über Gesetzesnovellen zu diskutieren, wird über Lehmanns Spickzettel geplauscht.
 
Es scheint fast, als hätten Regierung und Medien einen Nichtangriffspakt geschlossen. Die Seite eins gebührt seit drei Wochen dem Sport, Politik verkommt zur Marginalie. Und in den nächsten Wochen wird sich das nicht ändern, denn das Sommerloch steht schon vor der Tür.

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