Was heißt hier eigentlich neokonservativ?

Francis Fukuyama hat in
seinem neuesten Buch (Original: „America at the Crossroads“, deutsch:
„Scheitert Amerika“ – merkwürdige Übersetzung)
die Grundideen der heutigen NeoCons zusammengefasst – und er muss sich
auskennen,
schließlich zählte er sich bis vor kurzem selbst zu ihnen, distanziert sich jetzt aber zunehmend von ihnen.
 
Aber der Reihe nach.
Fukuyama sieht vier Grundüberzeugungen: „Die Überzeugung, dass der
innenpolitische Charakter eines Regimes sich auch auf dessen Außenpolitik
auswirkt und dass sich in der Außenpolitik die tiefsten liberalen Werte
demokratischer Gesellschaften ausdrücken müssen. […] Die Überzeugung, dass die
amerikanische Macht zu moralischen Zwecken eingesetzt wurde und werden sollte
und dass die Vereinigten Staaten sich auch weiterhin in internationalen
Angelegenheiten engagieren müssen. […] Ein Misstrauen gegenüber Projekten einer
Sozialtechnologie in großem Maßstab. […] Schließlich eine skeptische Haltung
gegenüber der Legitimität und Effektivität des Völkerrechts und internationale
Institutionen zur Verwirklichung von Sicherheit oder Gerechtigkeit.“
 
Die NeoCons wollen also eine
Welt voller Demokratien, deshalb nennt die taz sie auch die „Imperialisten der Demokratie“.
Den Einsatz der Macht der USA für (nicht nur ihrer Meinung nach) gute
und moralische Zwecke,  i.w. die Etablierung von Demokratie und
Freiheit, weltweit. Sie
misstrauen groß angelegten sozialstaatlichen Programmen und sind
skeptisch
gegenüber internationalen Organisationen und deren Fähigkeit,
Sicherheit zu
garantieren und Gerechtigkeit zu schaffen.

Einer multilateralen Zusammenarbeit
sind sie allerdings nicht per se abgeneigt, vielmehr sind sie „[…] vom Wert
kollektiver Maßnahmen auf der Grundlage gemeinsam akzeptierter demokratischer
Grundsätze überzeugt.“ (Fukuyama).
 
Demokratie steht also im Mittelpunkt ihrer Überlegungen – hört sich so schlimm doch
gar nicht an.

SPON hat natürlich auch wieder was dazu…

6 Meinungen

  1. Hi Martin,Du beschreibst die Schokoladenseite der NeoCons, tatsächlich habe ich deren Ansichten bis vor einigen Jahren geteilt. Diese Leute beschreiben sich und ihre Ziele allerdings in anderen Veröffentlichungen sehr viel unsentimentaler.“Rebuilding Americas Defenses“ heißt die Studie aus dem September des Jahres 2000. Wer die amerikanische Außenpolitik verstehen will, muss dieses Strategiepapier kennen.Die Studie wurde im September 2000 vom PNAJ (Projekt für das neue Amerikanische Jahrhundert ) in Auftrag gegeben. Mitglieder des PNAJ waren so prominente Leute wie Vizepräsident Dick Cheney, dessen ehemaliger Stabschef Lewis Libby, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, sowie dessen ehemalige Staatssekretäre Paul Wolfowitz, Stephen A. Cambone und Dov Zakheim.Sich mit den Veröffentlichungen der PNJA zu befassen, ist ziemlich ernüchternt.Als Europäer, nicht als Amerikafeind missbillige ich die von der PNAJ angestrebten Ziele.GrüßeAlexander

  2. Hi Martin,Du beschreibst die Schokoladenseite der NeoCons, tatsächlich habe ich deren Ansichten bis vor einigen Jahren geteilt. Diese Leute beschreiben sich und ihre Ziele allerdings in anderen Veröffentlichungen sehr viel unsentimentaler.“Rebuilding Americas Defenses“ heißt die Studie aus dem September des Jahres 2000. Wer die amerikanische Außenpolitik verstehen will, muss dieses Strategiepapier kennen.Die Studie wurde im September 2000 vom PNAJ (Projekt für das neue Amerikanische Jahrhundert ) in Auftrag gegeben. Mitglieder des PNAJ waren so prominente Leute wie Vizepräsident Dick Cheney, dessen ehemaliger Stabschef Lewis Libby, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, sowie dessen ehemalige Staatssekretäre Paul Wolfowitz, Stephen A. Cambone und Dov Zakheim.Sich mit den Veröffentlichungen der PNJA zu befassen, ist ziemlich ernüchternt.Als Europäer, nicht als Amerikafeind missbillige ich die von der PNAJ angestrebten Ziele.GrüßeAlexander

  3. „Demokratie steht also im Mittelpunkt ihrer Überlegungen – hört sich so schlimm doch gar nicht an.“Wenn ich mir den bisherigen Weg anschaue, kann ich das leider nicht so ganz nachvollziehen. Wie auch Alexander vermisse ich ein wenig die Objektivität. Und um den Spieß einmal umzudrehen: In Amerika wird das Wort „Liberal“ in der gleichen Art und Weise benutzt, wie bei uns das Wort „Neocon“…nämlich negativ. Ich kann mich Alexanders Aussage nur anschliessen. Wenn man sich auf der amerik. Wiki-Seite mal mit dem „PNAC“ befasst, merkt man wie sehr dieser „thin tank“ die amerik. Politik beherrscht.Nebenbei: Sorry Martin, ich habe nichts gegen dich oder deine Ansichten, du schreibst halt gute (aus meiner Sicht provokannte ^^) Artikel. Weiter so…das ist 100% DemokratieGeorg

  4. Ich hab mir das PNAC Papier zwar noch nicht angeschaut, aber werd das demnächst mal tun. Hab aber grade den Beitrag von Kagan/Kristol „Toward a Neo-Reaganite Foreign Policy“ aus dem Jahre 1996 durchgelesen. Da wirds so ähnlich zur Sache gehen wie beim PNAC. Hauptargument ist, dass die Verteidigungsfähigkeit und damit die „wohlwollende Hegemonie“ der USA auf Jahre hinaus festgeschrieben werden soll. Interessanterweise wird aber auch angeregt, mit Partnern und Freunden die die gleichen Werte teilen zusammenzuarbeiten (z.B. im Rahmen der NATO. Könnte man sich also denken, die EU kann genauso gut „bandwagoning“ betreiben, sich in den Windschatten der USA hängen und versuchen den Kurs in ihrem Sinne zu beeinflussen, ohne zu versuchen eine Gegenmacht aufzubauen. Ganz wie im Kalten Krieg. Warum eigentlich nicht? Die USA haben doch zumindest in Europa in den letzten 60 Jahre vernünftige AP getrieben. Zudem teilt Europa die Werte und Normen der USA und ist diesen freundschaftlich verbunden. Die „Drecksarbeit“ überlässt man also den USA und zieht sich auf eine, ausserdem noch moralisch zu rechtfertigende, Position einer Friedensmacht zurück und betreibt „nation building“ – das kann die EU ziemlich gut. Gegen die Vormacht der USA wird man auf absehbare Zeit eh nicht ankommen und günstiger ist es auch noch.In der praktischen Umsetzung der Überlegungen gibt es zweifellos erhebliche Probleme. Speziell in diesem Punkt haben sich die NeoCons m.E. verrechnet. Irgenwo auf der Welt Demokratie einzuführen erfordert mehr als einfach nur einen Diktator zu stürzen. Langatmige und nachhaltige Aufbauarbeit wäre angesagt, wie in Europa nach WK II, ob die USA dazu im Moment bereit sind – zweifelhaft. Zu hoffen wäre es, ernsthafte Alternativen sind nämlich kaum vorhanden.@georg Danke für die Blumen 🙂

  5. Wie wohl Alle bemerkt haben: Es ist Montag, deshalb mache ich es mir mal besonders einfach und zitiere:“Die neokonservative Außenpolitik“, so schreibt Berman in der „New York Times“, „hatte schon immer ein Faible für die Idee, dass eine kleine, erlesene Gruppe von Leuten eine entscheidende Rolle bei großen Ereignissen in der Welt haben könnte. Deshalb haben sie in den 70er Jahren die gruseligsten antikommunistischen Guerillas in Angola unterstützt, und im Jahrzehnt darauf ein paar nicht sehr sympathische antikommunistische Guerillas in Lateinamerika. Erklärt das nicht den seltsamen Umstand, dass die Bush-Administration heute gleichzeitig so eine fabelhafte demokratische Rhetorik und eine Serie von grotesken Folter-Skandalen auf einen Nenner bringen konnte? Diese verrückte und selbstschädigende Kombination von Idealismus und Schlagringen?“Operation Neocon gelungen – Patient tot (SPON)

  6. Okay, ich könnte es mir jetzt einfach machen und sagen: Damals ging es gegen die SU und deswegen haben die USA alles andere diesem Systemwettstreit untergeordnet. Ziel war einzig und allein „den Kommunismus“ in Gestalt der SU zu besiegen, alles weitere war zweitrangig. Ist mir aber bißchen zu einfach…An sich denke ich schon, dass die Theorie die die NeoCons da entworfen haben gute Ansätze enthält (Demokratieverbreitung, Machteinsatz zu moralischen Zwecken usw.) was daraus in der Praxis wird, steht freilich auf einem anderen Blatt, siehe Irak. Da gibts dann erhebliche Probleme bei der Umsetzung. Kann an der Theorie liegen, kann aber auch an der schlechten handwerklichen Umsetzung der Theorie in die Praxis liegen. Ihre Ideen werden zur Zeit durch die z.T. sehr kurzsichtige und fehlerbeladene Außenpolitik der zweiten Bush Regierung in Mißkredit gebracht. Schade, denn gute Ansätze lassen sich, wie gesagt, alle mal finden.Die graue Theorie ist das eine, die Praxis etwas ganz anderes.

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