Neo-Utopisten

Frühe Sozialisten waren fleißige Dorfgründer. Sie zogen an irgendeinen jungfräulichen Flecken, scharten ihre Anhänger um sich und testeten die Utopie. Notorisch wurden diese Kolonien als Experiment von der Umwelt „kontaminiert“, z.B. in dem einige Mitglieder im bürgerlichen Nachbarort mal wieder anständig einkaufen gingen.
Geblieben ist die Idee, dass neue Ansätze einen Raum brauchen, um auf ihre Tauglichkeit überprüft zu werden. Allerdings ist die Welt mittlerweile eng geworden.
Wo also probieren wir neue Ideen für Wirtschaftssysteme oder Entwicklungen des demokratischen Systems aus? Aus dem Alter, so fundamental an eine Utopie zu glauben, dass wir direkt den zivilisatorischen Großversuch durchführen, sind wir ja hoffentlich raus . . .
Der Autor Kim Stanley Robinson verlegt in seinen Romanen den Großtest auf den Mars, wo sich die ersten Siedler überlegen, dass sie – wenn sie schon auf Dauer bei dieser Affenkälte leben sollen – sich auch gleich ein alternatives System für das Leben auf diesem Planeten überlegen könnten. Und so testen sie einiges aus, was heutzutage so als mögliche alternative Systeme herumschwirrt und sich grob an der spanischen Mondragon-Kooperative orientiert. Aber zum Mars schaffen wir es ja anscheinend nicht so schnell (siehe mein entsprechender Beitrag).
Bleibt die Virtualität. Schon jetzt gibt es ja eine fleißige Szene der experimentellen Soziologie, die mit Simulationsprogrammen und kleinen Avataren Gruppenphänomene erforscht. Da bleibt es dann eben nicht bei utopistischen Behauptungen: Sie können den Test durchführen, statt es mit Nebeneffekten wie Völkermord real auszuprobieren.
Unser Forschungs- und Experimentierfeld für die politischen und wirtschaftlichen System gehört also in jedem Fall in die virtuellen Parallelwelten. Dort ist der Ort für die Utopisten des 21. Jahrhundert ihre Siedlungen zu gründen, denn wie so immer: der Staat oder die Universitäten werden das nicht für uns erforschen. Ein paar Spinner müssen das schon selber übernehmen.
Sagte man früher noch „Geh doch in die DDR, wenn es Dir nicht passt!“ könnte man jetzt alternativ und konstruktiver sagen: „Probiere es doch im Cyberspace aus! Wenn es da geht, reden wir noch einmal drüber.“

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