ES WIRD ENG – WELTAIDSTAG braucht Impulse

So wie Sebastian (18), der nur unsafen Sex haben möchte, einen Test aber ablehnt, weil er "…es nun mal nicht wissen will." Wo ist der große, der kollektive Aufschrei aus der Szene ? Was gibt es mehr, als Aktionen und guten Willen ? Es ist Weltaidstag – ach ja, wie jedes Jahr, oder ?

Es ist so schön normal geworden: am 1. Dezember steckt sich der politisch korrekte, vielleicht sogar heterosexuelle Mann eine rote Schleife ans Revers und schaut betroffen, wenn die Medien über steigende HIV-Infektionszahlen berichten und sich um die immer jüngeren Leute sorgen, die sich unvorsichtigerweise anstecken. Das schwappt bei vielen Jungschwulen inzwischen nur noch von Ohr zu Ohr. Sebastian chattet sich abends im "Gaychat" einen Partner "ran", wie er sagt. Er bietet Sex ohne Tabus und natürlich ohne Kondom. Auf die Frage nach dem "Warum" sagt er nur: weil er so mehr Chancen habe. Und HIV? "Läßt sich doch behandeln", meint Sebastian, "…stirbt man doch nicht mehr dran."

In Gayromeo diskutieren die wohlmeinenden Botschafter des Gummischutzes wie alle Jahre wieder um Bareback ("Reiten ohne Sattel- sprich: GV ohne Kondom") und wollen all die Clubs verbieten lassen, in denen sich Männer verabreden, die "es" wie der semmelblonde Sebastian ohne Gummi tun wollen. Macht es ! Verbietet den ganzen Kram! Die Realität hat alle guten Absichten längst überholt. Von Leipzig aus gehen immer mehr Server von "barebackcity" ans Netz – einer ganzen Community, die die Themen Übertragung, Infektion, Krankheit, Verantwortung bewusst ausblendet und dies ebenso bewusst propagiert. Das Motto: "Wir stehen dazu und das ist doch gut so." Diese Haltung ist zwar menschenverachtend (auch sich selbst gegenüber), greift aber immer mehr Raum.

Nebenbei spitzt sich die Lage auch in der öffentlichen Debatte zu: die Kassenärztliche Vereinigung Berlin will die Budgets zur Behandlung HIV-Positiver, die sie Schwerpunktpraxen zahlt, deutlich kürzen. Betroffene aus Berlin könnten künftig weniger gut behandelt werden, warnen die Schwerpunktärzte. Geld für Betroffene aus Brandenburg und anderen Bundesländern will die Berliner KV gar nicht mehr zahlen. Derweil suchen Staatsanwälte nach AIDS-Medikamenten, die inzwischen auf dem Schwarzmarkt gehandelt werden. Durch den Bundestag geisterten bereits Papierte, in denen die Kosten der Krankenkassen für die Behandlung von HIV/AIDS-Patienten aufgelistet wurden. Der Hintergedanke ist eine spannende Frage: kann sich die Gemeinschaft der Versicherten einen solchen Milliardenaufwand auf Dauer leisten? Auch für Menschen, die sich möglicherweise im Wissen um die Gefahr angesteckt haben? HIV ist eine erworbene Krankheit und nur der Artikel 1 des Grundgesetztes "Unantastbarkeit der Menschenwürde" bremst diejenigen, die hier schon eine Antwort gefunden haben. Sicher, noch wird am 1. Dezember von allen Seiten Solidaritätsgesäusel zu hören sein, doch wie lange hält die Zusage der Unterstützung durch die Gesellschaft, wenn die "Zielgruppe" aller Anstregungen ihrerseits immer weniger Solidarität mit der Gesellschaft zeigt? HIV und AIDS sind behandelbar. Das aber ist kein Freifahrtschein für Leichtsinn und Desinteresse. Das Motto des Weltaidstages 2007 "Wir zeigen Verantwortung!" soll wohl nichts anderes sagen. Also tragt die Schleifen wo sie hingehören – am Herzen. Und tragt ein Gummi – ebenfalls da, wo es hingehört!

3 Meinungen

  1. Nun die Frage ist, ob es vielleicht doch auch an Droggen liegt ? Nein, nein, ich habe nichts gegen Verhütung. Ich meine nur, wenn man HIV anspricht, dann sollte nicht nur über Verhütung disskutiert werden, sondern auch über die Drogenabhängige.

  2. Verdammt, wir brauchen noch viel mehr Aufklärung in allen Bereichen, die das Thema HIV berühren.Grüße aus Potsdam

  3. Danke für diesen aufrüttelnden Text. Für mich gibt es nichts schöneres als Sex ohne Kondom. Dennoch muss ich mir meiner Verantwortung bewusst sein und eben den Gummi tragen, wenn eine Unbekannte in meinem Bett landet. Und am Anfang einer Beziehung steht stets der obligatorische Test. Für Mitglieder einer Risikogruppe mit hochinfektiösen Praktiken sollte die Frage „Kondom oder nicht“ gar nicht erst gestellt werden, alles andere ist Russisch Roulette der Extremform.

Schreiben Sie Ihre Meinung

Ihre Email-Adresse wird Mehrere Felder wurden markiert *

*