Müntefering, seine Zigarillos und die Generation Praktikum

Auch Akademiker stehen im richtigen Leben. Und das kann recht ruppig sein. Da weht selbst Hochqualifizierten der Wind der Globalisierung mächtig ins Gesicht. Mit dem Hochschulabschluss in Deutschland ist seit Jahren keine Garantie mehr auf Job, Karriere und ein sorgenfreies Leben verknüpft. Abgesehen von ein paar frisch gebackenen Ingenieuren spezieller Fachrichtungen, die mit der Urkunde über ihr Bestehen gleich einen Anstellungsvertrag überreicht bekommen.

Generation Praktikum – Durchhangeln bis zum Eintritt ins wirkliche Berufsleben

Alle reden von der Generation Praktikum. Es gibt ehrenrührigere Bezeichnungen einer Generation. Die Generation Golf zum Beispiel. Wer möchte schon gerne den Namen eines Auslaufsmodells aus Wolfsburg tragen? Eben.

Der Begriff Praktikum bezeichnet die praktische Erprobung und Vertiefung zuvor erworbener theoretischer Kenntnisse in praktischer Anwendung. Was ist daran so schlecht, in eine begriffliche Schublade gesteckt zu werden, auf der steht: "Weiß nicht nur, wie es geht, sondern kann es sogar selbst."?

Der Haken ist, dass wohl nur jede dritte Praktikumsstelle bezahlt wird. Das ergab eine repräsentative Umfrage der Hochschul-Informations-System GmbH (HIS). Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat HIS beauftragt, mehr als 2.200 Studenten zu befragen.

Danach sind Praktikanten in Deutschland mit ihrer Situation überhaupt nicht unzufrieden. Mehr als die Hälfte der deutschen Studenten haben im vergangenen Jahr ein Praktikum absolviert. Drei Viertel von ihnen bewerten das Praktikum per Saldo als positiv. 49 Prozent vergaben die Note sehr gut, 28 Prozent die Note gut. Nur 10 Prozent der Praktikanten bewerteten den praktischen Einblick in das Berufsleben als schlecht oder sehr schlecht. Rund drei Viertel der Praktika waren von der Studienordnung vorgeschrieben.

Bekämpfenswerter Missbrauch?

Bundesarbeitsminister Müntefering sieht in Praktika für lau, die angeblich Überhand nehmen, einen Missbrauch, der notfalls im Wege eines Gesetzes geregelt werden müsse. Allerdings sagt die Studie von HIS auch aus:

Alle bisher im Rahmen des Absolventenpanels vom HIS veröffentlichten Studien weisen keinen signifikanten Anstieg der von Hochschulabgängern absolvierten Praktika vor dem Berufseinstieg aus. Augenfällig konstant sei auch die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Praktika, die bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet sind.

Müntefering auf der Suche nach dem Missstand: In seinem Auftrag wird nun untersucht, ob die Beschäftigung von Hochschulabsolventen als Praktikanten reguläre Stellen verdrängt. Nicht, dass sich am Ende herausstellt, es handelt sich nur um eine gefühlte Ausbeutung, weil schon die Grundannahme eines grassierenden Missbrauch der arbeitsrechtlichen Gestaltungsform "Praktikum" nicht stimmt.

Akademische Billigkräfte in der Bundestagsverwaltung

Ein Eigentor droht. Spiegel-online berichtet:

"Und eine solche Reform würde dann tatsächlich auch den Politikbetrieb in Berlin-Mitte treffen. Denn dort arbeiten Hunderte Praktikanten, die nur in Ausnahmefällen bezahlt werden. "Die Bundestagsverwaltung kann weder eine Vergütung oder Entschädigung zahlen noch sozialversicherungsrechtliche Leistungen übernehmen", steht zum Beispiel auf der Homepage des Bundestages." Eine Sprecherin gibt an, dass Praktikanten auch mal sechs Monate bleiben, wenn es ihrer Ausbildung dient. Und in Münteferings eigenem Ministerium? Wie in den anderen Bundesministerien werden Praktika nicht vergütet. In einem Bewerbungsbogen des Sozialministeriums steht: "Mir ist bekannt, dass für ein Praktikum keine Vergütung vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gezahlt wird.Allerdings beschäftigen Ministerien tatsächlich keine Absolventen von Hochschulen als Praktikanten – sondern nur Studenten und Auszubildende, bei denen Praxiserfahrung Teil der Berufsausbildungs- oder Studienordnung ist." ("Ein Kuli, ein Händedruck, null Euro – und tschüss!" vom 13.08.2006)

Arbeitgeberverbände laufen Sturm

"Der Arbeitsmarkt ist bereits überreguliert. Vorschriften wie zeitliche Befristungen führen nur dazu, dass Unternehmen keine Praktika mehr anbieten", erklärte Christoph Anz gegenüber Spiegel Online. Die Unternehmen könnten es sich gar nicht erlauben, Praktikanten schlecht zu behandeln. "Das spricht sich schnell herum und führt dazu, dass gute Hochschulabsolventen diese Unternehmen meiden", so Anz, Bildungsexperte bei der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA). Die Haltung der Arbeitgeberverbände verwundert nicht wirklich. Doch in diesem Fall stimmt zumindest die Argumentation gegen ein mögliches Gesetz gegen den Einsatz von Praktikanten als Billigarbeitskräfte.

Gesetze schaffen keine entgeltliche Erwerbstätigkeit

Es gibt in der Politik eine wirkliche "Lebenslüge": Politik schafft Arbeit. Tut sie nicht. Schon gleich gar nicht auf dem Gesetzgebungswege!

Unternehmen haben, ähnlich wie bei der Schaffung von Ausbildungsplätzen, auch bei der Vergabe entgeltlicher Praktika Risiken und Kosten. Praktika können keinen hochqualifizierten Arbeitsplatz verhindern. Welcher Arbeitgeber kann es sich auf Dauer leisten, Projekte und niveauvolle Dienstleistungen ausschließlich durch Praktikanten erledigen zu lassen? Es droht doch der Verlust von Aufträgen, wenn Berufsanfänger sich unkontrolliert im Markt des Unternehmens bewegen. Es droht zudem, dass besonders herausragende Kräfte mit dem im Praktikum gewonnenen Know-How und ihren frischen Kenntnissen über die Kundenstruktur vom Wettbewerber erfolgreich umworben werden. Oder sich am Ende gar selbständig machen und unmittelbar in Konkurrenz treten. Ein hoher Preis für diese Form der kurzfristigen Senkung von Personalkosten.

Natürlich gibt es in bestimmten Branchen derzeit auch Missbräuche, die zu Recht angeprangert werden. Solange es noch nicht den Arbeitsplatz auf Rezept mit Einheitsarbeitsvertrag und Mindestlöhnen für alle gibt, nutzt der Arbeitsmarkt die Gestaltungsräume, die noch verblieben sind. Das sind die kümmerlichen Reste der Privatautonomie, die der Gesetzgeber noch übrig gelassen hat. Manche nutzen das schamlos aus. Dieses Verhalten sollte aber der Markt regulieren und sanktionieren. Nicht der Gesetzgeber. Dessen Fürsorglichkeit führt zu Markteffekten, die sicher auch keiner will: In Berufen, in denen Erfahrung eine vorrangige Rolle spielt, werden Praktika dann wohl künftig nur noch selten bis gar nicht angeboten.

"Sie gehören der Generation Praktikum an? Mein Beileid ." – Wieso Beileid?

In Wikipedia findet man unter dem Suchbegriff "Generation Praktikum" übrigens eine sehr nüchterne Darstellung des Phänomens, die ebenso überraschend wie erfrischend ist:

"Ebenfalls bedarf die Art und Weise, wie der Begriff bislang in den Medien gebraucht wird, einer kritischen Analyse. In den meisten Fällen werden Dauerpraktika und Ausbeutung von Absolventen zum Thema gemacht und Betroffene zu einer neuen Klasse hochqualifizierten Prekariats hinzugezählt. Diese Betrachtungsweise ist jedoch nur eine mögliche Perspektive auf das Thema. Feststeht, dass ein Praktikum Geld kostet, das in dieser Zeit für den Lebensunterhalt benötigt wird. Das bedeutet jedoch, dass diese Art der Benachteiligung nur diejenigen treffen kann, die sich das leisten können. Man kann also Praktika als freiwillige Investition Betroffener in deren Weiterbildung sehen, bzw. als einen gehobenen Lebensstil, der ihnen erst ermöglicht, ohne gleich nach ihrem Abschluss die mit einem Beruf einhergehende Verantwortung zu übernehmen, die Arbeitswelt für sich zu ergründen."

Wie immer im Leben: Es ist alles eine Frage des Blickwinkels des jeweiligen Betrachters.

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