Laster Linearität

Geordnet sieht die Historie in Lehrbüchern aus. Es gibt nett benannte Zeitalter, einen klaren Entwicklungsstrang, Herrscher folgt auf Herrscher. Klar dass es nur so und nicht anders hätte laufen können. Nur, wenn Sie gerade drin sind in solch einem Zeitalter, wirkt das gleich gar nicht mehr so klar. Es wirkt chaotisch und Sie wissen nicht, wie der Entwicklungsstrang weitergeht.

Wir Menschen haben den Drang ins Gehirn gepflanzt, den Lauf der Dinge zu begradigen. Wir wollen nicht akzeptieren, dass es Chaos, viele mögliche Wege und manchmal Einzelereignisse gibt, die alles umwerfen und in völlig neue Richtungen führen. Der Drang stammt noch aus der Urzeit. Um in einer feindlichen Umgebung schnell und ohne viel Nachdenken agieren zu können, braucht Otto-Normalneandertaler klare Feindbilder und den unumstößlichen Glauben in die Linearität der Dinge.

Mit diesem Urwaldgehirn betrachten wir dann Geschichte, bügeln alle Umbrüche, Zufälligkeiten und offenen Enden platt und behaupten, es gäbe einen deutlichen Strang.

Ebenso verfahren wir mit Innovationen: Zuerst opponieren wir mit „Geht nicht", „Brauchen wir nicht" oder „Wenn es gehen würde, hätte es schon längst jemand gemacht" dagegen, wenn es sich dann durchgesetzt hat, stellen wir mit „Habe ich doch schon immer gesagt" den Gang der Dinge wieder klar. Es darf keine Überraschungen geben. Eine Innovation folgt logisch auf die nächste, der Weg ist nachvollziehbar und linear. Alles was dem in der Vergangenheit wiederspricht wird zurechtgerückt, zwangslinearisiert.

Und so gehen wir dann in die Zukunft und tun so, als gäbe es diesen logisch geradlinigen Pfad dort ebenfalls. Medien verstärken diesen Trend, indem sie aus Studien, die noch einen Hauch die eigentliche Komplexität der Dinge beschreiben flugs eine Schlagzeile machen, die dann spätestens klare Ursache-Wirkungs-Beziehungen verewigt. Für Monate wird dann von nichts anderem mehr geredet als von aussterbenden Deutschen, überalterten Gesellschaften und unsicheren Renten. Bestseller schreibt dann, wer dieses Denken populistisch untermauert. Langweilig, aber seit der Steinzeit bewährt.  

2 Meinungen

  1. Sicher. Berechtigt sind die Überlegungen auch..Die für mich interessante Frage hinter eine sicher berechtigten Kritik an der Tendenz, alles zu vereinfachen ist: Wie ginge es anders?Haben Sie eine Idee?.Mir fiel nur spontan der Club of Rome ein, der ja versuchte nichtlineare Prognosen zu treffen und auch damit daneben lag.

  2. Bewusstsein. Dass wir uns darin schulen, darauf zu achten, wenn wir das große Lineal anlegen . . .Und sonst: Arbeiten mit Simulationen, Science-Fiction-Romane lesen statt Trendreports, um das Gefühl für die Überraschungen zu vertiefen.Zum Thema Club of Rome und ob er danebenlag, siehe meinen Beitrag „Der Buhmann der Zukunftsforscher“.

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