Der Zauberer von Rom

Karl Gutzkow, der vor allem als inhaftierter Jungdeutscher unter Metternich der Literaturwissenschaft im Gedächtnis blieb, scheiterte damals an seiner Modernität, zumindest bei seinen Kritikern. Die Leser, das sei zu deren Ehrenrettung gesagt, kauften dagegen seinen Roman, dessen letzter Band 1863 erschien, wie geschnitten Brot, was auch an den Themen ‚Deutschkatholizismus‘ und ‚Kirchenreform‘ gelegen haben mag, die damals en vogue waren. Und an den vielen ‚erotischen Stellen‘.

Der Hauptpunkt der Kritik damals aber war es, dass Gutzkows Charaktere nicht gut und nicht böse waren, sondern "Mischcharaktere", aus Himmel und Hölle zusammengerührt, ganz wie im richtigen Leben. Die Kritiker konnten sich mit ihnen nicht ‚identifizieren‘, sie forderten stattdessen Erbauung fürs Volk, wahre Vorbilder, am besten durch die Heroisierung des Bürgers, dazu eindeutige sittliche Parteinahme und moralische Belehrung, wie bspw. in Gustav Freytags Kaufmannsroman ‚Soll und Haben‘, wo der biedere deutsche Heringsbändiger dem verlogenen Judenbalg Veitel Itzig zeigt, wo der deutsche Kapitalismus seine Werte einkauft. Oder sie verlangten einen "poetischen Realismus" wie in Auerbachs Dorfgeschichten, in dessen modernen Hirtenidyllen à la ‚Barfüßele‘ alles zu finden ist, nur eben kein Dorf der Zeit.

Stattdessen lieferte Gutzkow 3.000 Seiten Text, in denen nicht ein ‚guter Mensch‘ herumläuft. Alle haben sie Schacken und Macken. Dazu eine überbordende epische Handlung, ein "Roman des Nebeneinander" quer durch alle Gesellschaftsschichten, gegen dessen Leben und Treiben Tolstois Personalaufgebot ein Kammerspiel ist. Es gibt realistische Judengestalten, wirkliche Frauen statt ‚deutscher Maiden‘, echte Irre statt dämonischer Schreckgestalten, sogar ‚Geldheiraten‘, die ohne Liebe wunderbar klappen – und ganz viel Freud weit vor Freud. Denn alle Figuren sind gewordene Wesen, aus ihrer Biographie und aus ihren Traumata zu erklären, aber dennoch nicht deterministisch. Aber lest es doch selber!

Das Buch ist im Gutzkow-Editionsprojekt erschienen, wo noch so Stücker 40 weitere Bände des großen Vergessenen in den nächsten Jahren das Tageslicht erblicken werden. Alle Texte sind auch live im Internet zu besichtigen – das dort ist endlich mal ein echtes Web-2.0-Projekt: Jeder darf sich an der Kommentierung beteiligen, und jeder kann sich den Stoff auch für lau kopieren. Ein solches Schlachtschiff aber wie den ‚Zauberer‘, den sollte man trotz der 79 Euro für diese drei dicken Bände schon als Printausgabe besitzen. Denn einen Gewinn macht bei solchen Projekten wohl niemand, nur die Literaturwissenschaft und die werte Leserschaft. Und das Buch macht sich auch einfach prachtvoll im Regal …

2 Meinungen

  1. Tausende von Seiten und „das Buch macht sich auch einfach prachtvoll im Regal“? Na prima – endlich eine ernsthafte Alternative zu Harrius Potter. 😉

  2. Mir egal, aus welchem Grund: Hauptsache die Leute unterstützen Projekte, die wirklich dem Ideal eines ’social web‘ ziemlich nahe kommen …

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