(Foto: PixelQuelle.de/ magicpen – keine Darmschmarotzer aber trotzdem ekelig)
Fadenwürmer (Nematoda) gelten allgemein als gefährliche Gäste. In den Tropen sind sie die Auslöser von so fiesen Krankheiten wie Bilharziose, Elefantiasis oder der Flussblindheit. Von Mücken übertragen, richten manche Wurmlarven verheerende Schäden in den Körpern ihrer Opfer an. Um die körpereigene Immunantwort zu unterdrücken, bedienen sich die Viecher eines molekularen Tricks: Sie blockieren die Immunzellen ihres Wirts, indem sie Zytokine kopieren, die im menschlichen Körper an der Herabregelung der Immunantwort beteiligt sind.
Unser Organismus konnte sich im Lauf der Evolution trotzdem mit den meisten dieser ungebetenen Gäste arrangieren oder wirksame Abwehrmaßnahmen entwickeln. Nun haben verbesserte Hygiene und moderne Medikamente der einheimischen Körperfauna den Lebensraum genommen. Diese Eingriffe bleiben womöglich nicht ohne Konsequenzen. Zeitgleich mit dem Verschwinden der Parasiten haben sich neue Plagen verbreitet. In den USA, Europa und Kanada nehmen die Diagnosen von Allergien, Asthma, Multipler Sklerose, Morbus Crohn und anderer Autoimmunkrankheiten kontinuierlich zu. Ob zwischen der Abnahme der Parasiten und der Zunahme der Autoimmun- erkrankungen wirklich ein Zusammenhang besteht, ist nicht definitiv erwiesen – immerhin liegt die Vermutung aber nahe genug, um sie wissenschaftlich zu überprüfen.
Am Neurologischen Forschungsinstitut Raúl Carrea in Buenos Aires haben Wissenschaftler die Hypothese auf die Probe gestellt. Ihre Untersuchung dauerte über vier Jahre. Die Forscher verglichen den Krankheitsverlauf von 24 MS-Patienten. 12 waren parasitenfrei, die andere Hälfte der Probanden hatte sich nach Beginn der Autoimmunkrankheit mit einem Darmparasiten infiziert. Erstaunlicher- weise war der Krankheitsverlauf der Wurmträger deutlich milder. In MRT-Scans ihrer Gehirne ließen sich sogar weniger Entzündungsherde nachweisen, als bei den Nichtinfizierten. Darüber hinaus fanden sich im Blut der Parasitenträger vermehrt die Botenstoffe, die die entzündungsfördernden Zytokine unschädlich machen. (Quellen:[Spektrumdirekt: Nützliche Parasiten]; Annals of Neurology – 2007 – 10.1002/ana.21067)
Ganz unerwartet ist der Befund nicht, denn bei der Behandlung von Morbus Crohn, einer entzündlichen Darmerkrankung, lässt sich eine ähnliche Wirkung beobachten. Die Gabe von Eiern des Schweine- peitschenwurms (Trichuris suis) über zwölf Wochen verschafft den Kranken deutliche Erleichterung. Eine Studie zeigte nach 12 und 24 Wochen Remissionsraten von 60 bis 70 Prozent und Responseraten von 70 bis 80 Prozent. Gleichzeitig nimmt die Krankheitsaktivität ab. (Quelle: Ärztliche Praxis 12/04/06)
Ob und wann aus diesen Beobachtungen anwendbare Therapien entwickelt werden können, steht noch in den Sternen. Das bis heute verbesserungsbedürftige Verständnis des menschlichen Immun- systems steht allerdings zu Recht im Fokus der medizinischen Grund- lagenforschung.
Die Chefarztfrau