Es gilt in China nicht als unfein, in einem Temple um Reichtum und Wohlstand zu bitten. Der Mammon ist Thema zahlreicher Segenswünsche, findet sich auf Inschriften und über Tempeltüren. Allerdings werden die Geldschilder in Shanghai, diesem Sinnbild des Laufes nach dem Zaster, in jüngster Zeit immer häufiger abgeschraubt und ausgetauscht. Wichtiger als reich zu sein (oder zumindest ebenso wichtig) sind Gesundheit, körperliches und geistiges Wohlergehen.
China ist auf der Suche nach sich selbst. Wissenschaftler wie der Münchner Sinologe Hans von der Ess registrieren eine Renaissance des Konfuzianismus und eine intensive Sinnsuche, die sich nicht auf die Ratgeberliteratur für die Massen oder Zeitungskolumnen beschränkt, sondern inzwischen auch in der „ernsten“ Philosophie Einzug hält.
Wo bislang Hegel und Habermas gelesen wurden, sagte von der Ess am Rande einer Vortragsveranstaltung an der Tongji Universität im September in Shanghai, lasse sich inzwischen eine Wendung hin zu den heimischen Philosphietraditionen beobachten. Ist dies der Versuch, einen Ausgleich zu den Anmutungen der Globalisierung zu schaffen? Die Konfrontation mit westlichen Konsumzwängen, Wirtschaftspraktiken und Medienangeboten resultiert womöglich in einer stärkeren Auseinandersetzung mit der eigenen Tradition und Geschichte. Lernen, lernen, lernen ist schließlich eine der Grundforderungen der Konfuzianer.
Der Konfuzianismus, der als Quelle für allerlei Pseudowissen in interkulturellen Beziehungen (asiatischer Gesichtsverlust und Loyalität) herhalten muss, erlebt laut von der Essen nicht erst jetzt eine Wiedergeburt. Bereits in den 80er Jahren wurde das Konfuzius Institut in Peking gegründet. In jüngster Zeit werden weltwelt chinesische Konfuzius Zentren gegründet (allerdings zunächst vor allem zur Sprachvermittlung).
Das erstarkende Interesse an traditionellen Wurzeln und nationaler Identität bleibt auch im Ausland nicht unbemerkt. Es wird registriert, dass Geisteswissenschaften im modernen Technokratenland China deutlich mehr Bedeutung geschenkt wird als bisher, während umgekehrt Geisteswissenschaftler im alten Europa einen schweren Stand haben. Nicht mehr nur Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften sollen künftig gefördert werden, auch Philosophie, Kunst und Literaturwissenschaft soll wieder stärker im Lehrkanon verankert werden im Sinne einer ganzheitlichen Ausbildung. Steckt dahinter nicht am Ende die Angst vor einem Wertevakuum in der neuen Generation?
Die Wertesuche erinnert an Russland in den 90er Jahren: Die Suche nach der „russischen Idee“ ist bis heute nicht abgeschlossen. Bleibt die Frage, wie sich Rückbesinnung und Sinnsuche auf die internationalen Wirtschaftsbeziehungen auswirken werden.
(Fortsetzung folgt)