Wahre Helden

Betrachten wir als Negativbeispiel Old Shatterhand: Am Anfang des Romans beeindruckt er die Komantschen mit den 24 Schüssen seines Henrystutzens, am Ende des Romans verblüfft er die Kiowas mit der Reichweite seines Bärentöters. Gähn – was für ein langweiliger, ewig gleicher Charakter! Ein vorfabriziertes Lego-Wesen, das uns nur so lange in den Bann zieht, wie die action-orientierte Cowboy-und-Indianer-Roamantik der Kindheit anhält.

In einem guten Text müssen die Helden (Fachausdruck: Protagonisten) etwas "werden": Sie verlassen alle den Roman anders als sie in ihn hineingingen. Entwicklung ist gefragt, der Held muss buchstäblich aus den Ereignissen ‚lernen‘, die Moral wird oft in ihn hineingeprügelt. Und das Ziel liegt keineswegs dort, wo er es sich dachte. Der Konflikt zwischen den eigenen Zielsetzungen des Helden und den Plänen, die der Autor mit ihm hat, die vor allem macht den Reiz eines Textes aus. Drehbuchschreiber nennen dies, abgeleitet von der Verbraucherforschung, die ‚Wants‘ (die oberflächlichen Wünsche und Pläne des Helden) und die ‚Needs‘ (das, was der Held nach Ansicht des Autors wirklich braucht).

Nehmen wir als Beispiel, weil er so schön simpel gestrickt ist, den Film ‚Duell‘, Steven Spielbergs erstes größeres Leinwandopus. Ein preiswerter Budget-Film, weil er im Grunde nur einen großen gebrauchten LKW, einen billigen Kleinwagen und viel amerikanische Landschaft benötigte. Der ‚Held‘ ist ein amerikanischer Durchschnittsangestellter, der seinen Vertreterjob möglichst gut erledigen möchte. Seine ‚Wants‘ sind es, am Ziel der berufsbedingten Autofahrt einen Kunden zufriedenzustellen, nebenher für seine ewig quengelnde Frau noch den Einkauf zu erledigen, und am Abend daheim dann die Füße hochzulegen. Wie man das halt so macht als amerikanischer Handlungsreisender.

Dann funkt ihm aber dieser LKW dazwischen, ganz grundlos und unpersönlich. Von dessen Fahrer sehen wir nie mehr als ein Paar staubige Cowboystiefel. Existent ist nur die Maschine, buchstäblich der sprichwörtliche ‚deus ex machina‚: Dieser LKW wird für den kleinen Mann zu seinem ‚Schicksal mit Dieselmotor‘. Jetzt soll er ‚etwas werden‘ – wir sind bei den ‚Needs‘ angekommen.

Im beginnenden Kampf auf Leben und Tod verwandelt sich der kleine Hasenfuß zusehends. Irgendwann gewinnt er sogar Freude an der Auseinandersetzung, er nimmt das Duell an. Und er reift, während er ständig mit einem Bein im Grab steht, zum Mann. Am Ende des Films sehen wir einen Helden statt eines Wurms.

Ideologisch können wir diese krude amerikanische Verherrlichung von Pioniergeist und Gefahr auch dämlich finden. Archetypisch ist diese Handlung jedenfalls. Ob wir den ‚Wilhelm Meister‘ nehmen, der Künstler werden will und unwissentlich zum Bürger reift. Oder den Franz Biberkopf, der doch nur anständig leben will und stattdessen auf eine Schicksalsreise geht – immer sehen wir den ewigen Konflikt von ‚Wants‘ und ‚Needs‘, den ein allwissender Autor für uns inszeniert. Der ‚innere Konflikt‘ erst macht einen Text interessant. Nichts dagegen ist öder, als ein Held, der einfach nur das erreicht, was er will. Auch deshalb sind glatte Karrieren mit Bausparverträgen und erfüllten Kinderwünschen nur selten literaturfähig …

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